Knigge: Respekt und Manieren als Schulfach

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Schon Sokrates hat die Verlotterung der Jugend beklagt. Ihr Benimm beizubringen wird immer öfter Aufgabe der Schule.

WIEN. Am Brighton College in Südengland wird es künftig ein neues Pflichtfach geben: gutes Benehmen. Schülern ab 13 Jahren wird dann einmal pro Woche beigebracht, wie man sich bei Tisch zu verhalten hat, Hemden bügelt oder ein Ei kocht. Kurz, sie sollen „für das gesellschaftliche Leben fit gemacht werden“, so Direktor Richard Cairns.

Hintergrund der Einführung von Knigge-Stunden ist eine im Dezember 2007 veröffentlichte Umfrage unter Führungskräften. Der Tenor: Junge Schulabgänger seien unhöflich und wüssten nicht, wie sie sich in der Gesellschaft richtig zu benehmen hätten.

Das alte Lied von der Verlotterung der Jugend also? Schon im fünften Jahrhundert vor Christus soll Sokrates darüber geklagt haben. „Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten soll. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.“

Zu große Freiheit

Es ist nicht gesichert, ob diese Tirade tatsächlich von Sokrates selbst stammt (seine Reden sind nur in Schriften späterer Autoren wie Platon, Aristophanes überliefert). Thema war der angebliche Sittenverfall für den Philosophen allemal. Er glaubte auch den Grund zu kennen: „Der Lehrer fürchtet und hätschelt seine Schüler, die Schüler fahren den Lehrern über die Nase und so auch ihren Erziehern.“

Kein Respekt also – und keine Manieren. Und schuld sind die Lehrer, die den Kindern zu große Freiheit gewähren. Schon damals sollten also Erziehungsaufgaben der Eltern auf die Schule abgewälzt werden.

Und heute? Laut Heinz Zangerle, Psychologe und Autor des Buchs „Einfach erziehen“, ist die Schule besonders betroffen von dem Trend, Aufgaben und Leistungen aus der Familie „auszulagern wie aus einem Wirtschaftsbetrieb“. Die Schule soll fachliche Kompetenzen vermitteln, Kinder in bildungshungrige Bücherwürmer verwandeln und (vor allem die Mädchen) für Naturwissenschaften motivieren, um den befürchteten Forschermangel entgegenzuwirken. Neben diesem politischen Wunschkonzert soll sie den Schülern auch das mitgeben, was die Familie offensichtlich nicht mehr kann. Den richtigen Umgang mit Drogen, Alkohol, Gewalt und – siehe England – eben gutes Benehmen.

Benimm ist auch an Österreichs Schulen Thema, etwa im Rahmen der Initiative „Faire Schule“ des Bildungsministeriums. An der Volksschule Wängle (Tirol) lernen Kinder richtiges Grüßen, gutes Benehmen bei Tisch, situationsgerechte Kommunikation. Ziel ist, wie bei einem ähnlichen Projekt an der Volksschule Hollersbach (Salzburg), eine „Atmosphäre gegenseitiger Achtung und Wertschätzung“.

Schäfer-Elmayer, wer sonst?

Auch Tanzschulenleiter und Benimmexperte Thomas Schäfer-Elmayer gibt stundenweise Etikette-Unterricht an Schulen, hauptsächlich für 14- bis 17-Jährige. Und, ist das Benehmen der Schüler tatsächlich schlechter geworden? „Das ist je nach Schule sehr unterschiedlich. Sicher ist, dass die Schüler wesentlich weniger von den Eltern mitbekommen. Auf der anderen Seite stehen sie der Sache viel aufgeschlossener gegenüber.“

Aber kann es Aufgabe der Schule sein, Manieren zu lehren? „Die Schule wird das immer stärker übernehmen müssen“, glaubt Elmayer. Denn innerhalb jugendlicher Peergroups (Gruppen Gleichaltriger) würden heute andere Benimmregeln gelten; da brauche es oft kein „Bitte“, „Danke“. Sich gut benehmen können müssten Jugendliche dennoch, privat wie beruflich. „Das ist Teil des Allgemeinwissens.“ Und das lernt man eben in der Schule.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2008)

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