"Was bildet ihr uns ein?" - Eine Generation revoltiert

(c) Clemens Fabry
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Das Deutsche Bildungssystem ist selektiv und ungerecht. Das finden jedenfalls 30 junge Menschen, die persönliche Erfahrungen und wissenschaftliche Analysen in einem Buch zusammengefasst haben.

Sie fordern nicht weniger als eine „Bildungsrevolution“ für Deutschland. Die Gruppe, die diese Forderung erhebt, ist nicht etwa ein deutscher Ableger des Bildungsvolksbegehrens. Es handelt sich um ein junges Autorenkollektiv, das auf mehr als 250 Seiten unter dem Titel „Was bildet ihr uns ein? Eine Generation fordert die Bildungsrevolution“ klarmacht, wie es das deutsche Bildungssystem sieht: Sie bezeichnen es als ungerechten und selektiven Hürdenlauf. So umreißt das Buch, das jetzt in Deutschland erschienen ist, vom Kindergarten über das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg bis hin zur Bolognareform die „Hürden“ des deutschen Bildungssystems.

Der Zugang ist ein interessanter: Im Buch wechseln sich persönliche Erlebnisse und Geschichten aus dem Schul- und Uni-Alltag mit wissenschaftlicher Analyse sowie Interviews und Studien zum Thema Bildungschancen ab. „Mit den persönlichen Geschichten haben wir die Möglichkeit, den Zahlen, die immer wieder genannt werden, Leben einzuhauchen“, erklärt Bettina Malter, Mitherausgeberin und Autorin des Buches im „Presse“-Gespräch. Viele Menschen könnten sich das Ausmaß der Bildungsbenachteiligung nicht vorstellen, da diese außerhalb ihrer Erfahrungswelt liege, sagt Malter. Deshalb habe man sich dazu entschlossen, einfach lesbar, aber wissenschaftlich unterfüttert, diese Geschichten mit der Welt zu teilen.

Hauptschule als große Hürde

So hat etwa Mitherausgeber Ali Hotait das Kapitel „Ich werd' die Hauptschule nicht mehr los“ beigesteuert. Hotait, der libanesische Wurzeln hat, beschreibt lebhaft, wie er fünfmal die Schule wechseln musste, wie er trotz guten Notenschnitts und perfekter Deutschkenntnisse nach der Grundschule nur eine Hauptschulempfehlung bekam und es trotzdem auf die Realschule schaffte. Dennoch sei das Bild des „Hauptschülers, der zudem noch Ali heißt“ nicht aus den Köpfen der Lehrer zu bekommen gewesen. Später sollte der berühmte Satz aus der Vornamenstudie von Julia Kube – „Kevin ist kein Name, sondern eine Diagnose“– sein nicht beweisbares Gefühl der Ungerechtigkeit bestätigen. Denn „Kevin“ könne man in dem Fall genauso gut durch „Ali“ ersetzen.

Dass er auf dem zweiten Bildungsweg mit 25 ein Fachabitur gemacht, ein Fachhochschulstudium abgeschlossen hat und heute für eine Promotion an einer Universität kämpft, ist nur eine von vielen Geschichten im Buch, die die Kritik an zu früher und unfairer Selektion am Bildungsweg laut werden lässt.

Alte Forderungen, neuer Zugang

So ist es nicht verwunderlich, dass eine der zentralen Forderungen, die die Autoren erheben, jene nach der Gesamtschule, die sich in Deutschland Gemeinschaftsschule nennt, ist. Auch wollen sie keine Noten mehr, der strenge Leistungsgedanke müsse aus dem Bildungssystem verbannt werden und überhaupt müssten sich der Zugang zur und die Sichtweise auf Schule und Bildung grundlegend verändern. Anders gesagt: Die Zeit der „Reförmchen“ sei vorbei, man brauche eine echte Revolution.

Obwohl die Forderungen nicht unbedingt neu sind, bietet das Buch – vor allem deshalb, weil es von Menschen verfasst wurde, die sich im Bildungssystem befinden – einen spannenden und unterhaltsamen Zugang zum Thema.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2012)


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