Jugend: Das ungenutzte Potenzial Europas

Jugend: Das ungenutzte Potenzial Europas
Jugend: Das ungenutzte Potenzial Europas(c) EPA (JOSE GOULAO)
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Sie sind besser ausgebildet als ihre Eltern, mobiler und flexibler: Nach der Krise könnte ihre Zeit kommen.

Wien. Derzeit sind sie die Sorgenkinder Europas: 5,7 Millionen Jugendliche im Alter von 15 bis 24 Jahren sind in der EU arbeitslos. Doch anders betrachtet bilden sie ein gewaltiges ungenutztes Potenzial für Wachstum und ökonomischen Erfolg. Eurofound, eine Forschungsstiftung der EU, hat errechnet, dass der europäischen Volkswirtschaft durch die arbeitslose Jugend derzeit 153 Milliarden Euro jährlich verloren gehen. Das entspricht 1,21 Prozent des BIPs der Europäischen Union. Diese Kosten setzen sich aus dem verlorenen Potenzial für die Wirtschaft in Form von Arbeitskräften und Konsumenten sowie aus den Kosten für Sozialleistungen zusammen, die arbeitslose Jugendliche derzeit benötigen.

Je Mitgliedstaat ist die Situation freilich unterschiedlich. Verlieren Länder wie Griechenland, Ungarn oder Italien jährlich deutlich mehr als 2,0 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung durch ihren hohen Anteil an Jugendarbeitslosigkeit, kommt Deutschland oder Luxemburg gerade einmal auf ein Minus von 0,6 Prozent.

Sozialer Zusammenhalt in Gefahr

Solange die Kraft der Jugend nicht genutzt wird, geht der EU allerdings nicht nur ökonomisch ein Wert verloren, sie verliert auch an Innovationskraft, Flexibilität und an kulturellem Schaffen, das besonders von jungen, aktiven Menschen getragen wird. Insgesamt bedeutet das einen deutlichen Image- und Wettbewerbsnachteil gegenüber Asien oder den USA. Außerdem nimmt die Gefahr sozialer Spannungen zu. „Wenn das so bleibt, laufen wir Gefahr, dass gesellschaftlicher Zusammenhalt schwindet und politischer Extremismus wächst. Wir würden auf ein ökonomisches wie gesellschaftliches Desaster zusteuern“, warnt der zuständige EU-Kommissar László Andor.

Die EU hat sich das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2020 75 Prozent der aktiven Bevölkerung eine Beschäftigung zu bieten. Doch dieses Ziel ist bisher ein frommer Wunsch geblieben. Die Arbeitslosigkeit ist durch die Finanz- und Schuldenkrise weitergestiegen. Die Union selbst hat wenig Möglichkeiten, um politisch gegenzusteuern. Denn Sozial- und Arbeitsmarktpolitik sind Kompetenzen der Mitgliedstaaten geblieben. Für den Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit sind im EU-Budget gerade einmal sechs Milliarden Euro freigemacht worden. Ein Tropfen auf den heißen Stein.

Dennoch hat die EU bereits mehrere Initiativen gestartet, die Beschäftigungssituation der Jugend zu verbessern. So wurde bereits 2009 eine Jugendstrategie entwickelt, um Jugendlichen den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern. Das Programm „Jugend in Bewegung“ versucht, die Mobilität von jungen Menschen innerhalb der EU zu erhöhen.

Das European Policy Centre (EPC), das sich in einem jüngsten „Policy Brief“ mit der aktuellen Situation der Jugend in Europa auseinandergesetzt hat, warnt davor, die Problematik aus rein nationaler Sicht zu betrachten. „Jugendarbeitslosigkeit in einem Land – so wie jede andere ökonomische Disfunktion – hat starke Auswirkungen auf andere Mitgliedstaaten.“ Dies wurde beispielsweise jüngst durch die verstärkte Zuwanderung junger arbeitsloser Spanier und Griechen nach Deutschland deutlich.

Besonders ungerecht erscheint die aktuelle Situation der Jugend, da sie höher ausgebildet ist als ihre Elterngeneration. Sie ist flexibler und mobiler, kann diese guten Voraussetzungen aber nicht für sich selbst nutzen. Das geht aus Auswertungen von Eurostat, dem Statistischen Amt der Europäischen Union, hervor. Haben von den 55- bis 59-Jährigen heute immerhin 39Prozent keinerlei Fachausbildung, so sind es bei den 25- bis 29-Jährigen lediglich 20Prozent. Im Gegenzug hat fast ein Drittel (30 Prozent) der 25- bis 29-Jährigen in der EU heute eine höhere Ausbildung (Universität, Fachhochschule). Die Elterngeneration kam lediglich auf 18 Prozent. Auch hier sind die Unterschiede je EU-Mitgliedsland durchaus deutlich. So sind beispielsweise in Belgien 78 Prozent der 19-Jährigen noch in einer Ausbildung, in Deutschland 70Prozent. In Österreich oder Großbritannien sind es weniger als 50 Prozent.

Darüber hinaus ist belegt, dass die jungen EU-Bürger heute mobiler und risikobereiter sind als ihre Eltern. 2010 haben rund 583.700 Jugendliche die Möglichkeit genutzt, in einem anderen EU-Land zu studieren. Das ist mehr als je zuvor. Viele der Jugendlichen sind auch bereit, selbst ein Unternehmen aufzubauen. Neun Prozent der 25- bis 29-Jährigen in der EU betreiben ein eigenes Unternehmen. In den letzten Jahren ist ihr Anteil an allen Beschäftigten aufgrund der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen allerdings nicht mehr angestiegen.

Jugend bringt Standortvorteile

Trotz aller aktuellen Probleme gibt es auch für Europas Jugend ein Licht am Ende des Tunnels. Obwohl sie heute eine Hauptlast in der Finanz- und Schuldenkrise trägt, könnte sie nach dem Ende der Krise der Gewinner auf dem Arbeitsmarkt werden. Trotz längerer Lebensarbeitszeit werden in der Europäischen Union nämlich in den nächsten vier Jahrzehnten mehr ältere Menschen aus dem Arbeitsprozess aussteigen, als es für sie Ersatzkräfte auf dem Arbeitsmarkt gibt. Während die Zahl der unter 15-Jährigen in der EU von derzeit 77,6 Millionen bis 2060 auf 71,0 Millionen sinkt, steigt in demselben Zeitraum die Zahl der über 65-Jährigen von 87 Millionen auf 152 Millionen.

Selbst bei einer weiteren Steigerung der Produktivität pro Arbeitskraft und einem höheren Anteil aktiver Älterer werden künftig vor allem im boomenden Dienstleistungssektor junge Arbeitskräfte gesucht werden. Sollten Fachkräfte wie erwartet in den nächsten Jahrzehnten auf dem Arbeitsmarkt Mangelware werden, dürfte auch ihre Entlohnung deutlich ansteigen. Die Anzahl junger Menschen in einer Region wird künftig auch für den Standort von Unternehmen entscheidend sein. Eine Studie des Rostocker Zentrums für demografischen Wandel ergab, dass beispielsweise einige spanische und französische Regionen künftig wegen ihrer großen Humanressourcen – der jungen Arbeitskräfte– einen „demografischen Standortvorteil“ haben werden. Probleme gebe es hingegen in Randregionen der EU, aus denen sich die Jugend zurückziehe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.05.2013)

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