Kleine Kinder sind noch keine Partner

Michael Winterhoff warnt vor düsteren Konsequenzen, wenn Eltern nicht lernen, anders zu erziehen.

Der deutsche Kinderpsychiater Michael Winterhoff erstellt in seinem Buch „Warum unsere Kinder Tyrannen werden – Oder: Die Abschaffung der Kindheit“ einen einfachen Befund. Die Eltern getrauten sich nicht mehr, ihre Kinder „vertikal“ zu erziehen – aus der Sicht des Älteren, Weiseren und Stärkeren –, sondern behandelten sie wie gleichberechtigte Partner. Dadurch würden die Kinder gleichzeitig überfordert, weil sie dieser Rolle auf Grund ihrer psychischen Entwicklung nicht gewachsen seien, und unterfordert, weil sie auf dem Entwicklungsniveau von Kleinkindern stecken blieben.

Das spätere Verhalten der Kinder werde – mit altersbedingten Variationen – geprägt vom ständigen Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, dem Lustprinzip (nur das zu tun, was sie gerade wollen), der Verweigerung von Leistung in der Schule (und später im Beruf).

Keine Regeln, kein Respekt

Winterhoffs Kriterien sind praktischerweise breit genug, um darin jedes Kind unterzubringen, das sich irgendwie auffällig benimmt: vom Kleinkind, das seinen Eltern dauernd dazwischenredet, bis zum Zehnjährigen, dem in der Schule alles egal ist. Schließlich passt auch noch das jüngste Schreckgespenst der westlichen Gesellschaft, die Jugend, hinein.

Die Ursache für dieses vielfältige Fehlverhalten ist Winterhoffs Meinung nach immer dieselbe: Eltern, die keinen Konflikt mit ihren Kindern mehr aushielten und die bereits kleine Kinder als „Partner“ behandelten, anstatt sie unter Zuhilfenahme klarer Regeln und Grenzen zu erziehen, verstießen gegen neurologische Gesetze und hemmten dadurch die Entwicklung des Kindes hin zu einem gemeinschaftsfähigen Wesen. Stattdessen versteinere der Kern der Persönlichkeit auf dem Niveau des frühkindlichen Narzissmus, inklusive Beziehungsunfähigkeit.

Aus seiner Diagnose leitet Winterhoff eine beängstigende Prognose ab: Wenn dieser Trend nicht gestoppt würde, drohe, dass die Gesellschaft ihre gemeinschafts- und beziehungsunfähigen Kinder später einmal hassen würde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.10.2008)

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