Wie viel Religion darf in den Kindergarten?

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Reden über Gott, Basteln für Feste, Essen mit Regeln: Wie gehen katholische, islamische und jüdische Kindergärten im Wiener Alltag mit Religion um?

Wenn Eltern einen Kindergarten wählen, kann Religion eine Rolle spielen. Muss aber nicht. Sonst wären nicht etwa 20 Prozent der Kinder, die in Wien in einen der 81 katholischen Kindergärten gehen, ohne Bekenntnis und 4,25 Prozent Muslime.

Dennoch ist die Frage der Religion in Kindergärten ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Ausgangspunkt war diesmal keine Debatte darüber, ob christlich-kulturelle Feste wie der Nikolaus zu kurz kommen, sondern eine Vorstudie über islamische Kindergärten in Wien, die nahelegt, dass es schon hier eine Tendenz zur Parallelgesellschaft gibt. Seither fragt man: Wie religiös darf es denn bei den Kleinsten zugehen? Der Gesetzgeber sagt dazu nicht viel. Als 2009 der Bildungsrahmenplan für österreichische Kindergärten veröffentlicht wurde, kam Religion kaum vor. Deshalb wurde von einem katholischen Team ein religionspädagogischer Bildungsrahmenplan erstellt. Dieser wird seither an katholischen Kindergärten verwendet, in manchen Bundesländern wie Oberösterreich oder dem Burgenland wurde er auch an öffentliche ausgegeben. Wien, dessen Kindergartengesetz dazu schweigt, will nun einen Religionsleitfaden für alle konfessionellen Betreuungseinrichtungen erarbeiten.

Wenn man nachfragt, wie derzeit Religion in Kindergärten gelebt wird, stößt man bei katholischen, muslimischen und jüdischen Kindergärten auf viele Gemeinsamkeiten – Beten, Singen, Basteln, Begehen von Feiertagen–, aber auch auf Unterschiede: „Was einen Kindergarten islamisch macht, ist die Infrastruktur“, sagt Zeynep Elibol, Direktorin der Islamischen Fachschule für soziale Bildung, die aber auch in der Aus- und Fortbildung von Kindergruppenbetreuern tätig ist. Konkret geht es darum, dass sich die Eltern darauf verlassen können, dass kein Schweinefleisch serviert wird, dass das Essen halal ist und gewisse Hygieneregeln eingehalten werden. „Und dass auch vor dem Essen ein Bittgebet gesprochen wird.“ Meist auf Deutsch. „In homogenen Gruppen kann es sein, dass das etwa auf Arabisch gemacht wird.“ Von einer religiösen Ausbildung könne aber keine Rede sein, sagt sie. Vielmehr geht es um den Alltag im muslimischen Kontext. Dazu gehören Feste. Da werden in der Pilgerzeit Nachbildungen der Kaaba in Mekka gebastelt. Aber auch nicht muslimische Feiern werden thematisiert. „Ich empfehle das“, sagt Elibol, „weil es ja zur Mehrheitsgesellschaft gehört.“

Vieles hänge aber davon ab, was die Eltern wollen: Dass gesungen wird oder Geburtstage gefeiert werden, würden einige Muslime nicht gutheißen – weil das unislamisch sei. „Da gibt es manche Eltern mit einer sehr orthodoxen Haltung, die nicht wollen, dass ihre Kinder bei einer Geburtstagsfeier mitmachen.“ Das sei aber nicht gut für die frühkindliche Erziehung, so würden die Kinder isoliert. Auch gebe es Eltern, die ihre Kinder nicht mit Puppen spielen lassen wollen: „Das sind orthodoxe Ansichten. Sie gibt es nicht extrem häufig, aber sie haben in den vergangenen vier, fünf Jahren zugenommen, vor allem wegen der Flüchtlinge aus manchen Ländern.“ Insofern würden Kindergruppen hier Integrationsarbeit leisten.

Während man in muslimischen Kindergärten hin und wieder nicht muslimische Kinder findet, ist das bei jüdischen Kindergärten eher ausgeschlossen: Wer sein Kind in den Kindergarten des Zwi Perez Chajes Campus (inkludiert auch Volksschule und Gymnasium) schicken will, muss Mitglied der Kultusgemeinde sein. „Meistens waren schon die Eltern bei uns“, sagt die pädagogische Leiterin, Petra Kuba. 140 Kinder werden derzeit betreut. Wie in muslimischen Kindergärten ist die Infrastruktur wichtig. Die Mahlzeiten sind koscher, die Mitnahme von Essen ist laut Homepage nicht gestattet.

Identität lernen

Religion sei aber nur „ein Angebot“, sagt Kuba, ein Baustein von vielen. Zwei Stunden pro Tag stünden Religionspädagogen den Gruppen zur Verfügung. Wenn Eltern mehr wollen, gibt es auch ein tägliches zwanzigminütiges (kostenpflichtiges) religiöses Zusatzangebot. Sonst, sagt Kuba, seien aber 80 Prozent der Pädagogen nicht jüdisch. Die Kindergartensprache ist Deutsch, eine Betreuerin pro Gruppe spricht Hebräisch. Generell stuft man sich als liberal religiös ein.

Der Kindergarten in der Malzgasse ist dagegen explizit „orthodox“. Was das heißt? „Dass Orthodoxe ihre Kinder zu uns schicken. Sie wollen, dass die Kinder eine jüdische Identität lernen, die Community kennen, sich traditionell anziehen können“, sagt Leiter Rabbiner Yaacov Frenkel. Widerspruch zur Integration sei das keiner – „im Gegenteil, Integration ist unser Hauptthema“. Etwa 60 Prozent der Kinder seien Migranten, der Fokus liege daher auf dem „profanen Unterricht“: Es gehe weniger um Religion, mehr um Deutsch und Mathematik, „später um gute Noten“.

Und wie sieht es bei den Katholiken aus? Etwa 6000 Kinder betreut die St.-Nikolaus-Stiftung der Erzdiözese in Wien. „Wie Religion in den Alltag einfließt, bleibt den Leitern der einzelnen Standorte und den Pädagogen überlassen“, sagt Elmar Walter, Geschäftsführer der Stiftung. Als Leitfaden hat die Stiftung mit der Caritas Linz und Experten 2010 einen „religionspädagogischen Bildungsrahmenplan“ herausgebracht – mit Ideen für Pädagogen, wie man mit Kindern über Gott und die Welt sprechen kann. „Viele Themen bringen die Kinder auch selbst ein“, sagt Walter. „Kinder sind von Natur aus religionsbegabt“ und zögern nicht, große Fragen zu stellen: Woher kommen wir? Was passiert, wenn wir sterben? Auch über heikle Themen werde gesprochen, wenn Kinder fragen. Auch Mädchen und Buben, deren Eltern homosexuell sind, besuchen katholische Kindergärten. „Jedes Kind ist bei uns willkommen“, sagt die pädagogische Leiterin der Stiftung, Susanna Haas.

„Fixe Zeiten, die der Religion gewidmet sind, gibt es nicht, einen Religionsunterricht schon gar nicht“, sagt Walter. Religion wird, sagt Haas, „implizit gelebt“. Christliche Feiertage werden „religionssensibel“ gestaltet – damit nicht katholische Kinder mitfeiern können. Die Vielfalt an Religionen und Kulturen stellt auch die Pädagogen vor Herausforderungen: Eine interreligiöse Arbeitsgruppe arbeitet an einen Leitfaden zum Thema Interreligiosität.

Ganz ohne

Es geht aber natürlich auch ohne Religion: „Gar keine Rolle“ spielt sie bei den privaten „Kinder in Wien“-Kindergärten, kurz Kiwi. Zwar erheben die Kindergärten die Religion der insgesamt 6500 Kinder, doch diese sei nicht wichtig, sagt Geschäftsführerin Monika Riha. Feste wie Ostern oder Weihnachten würden gefeiert, aber sie sehe das nicht religiös, sondern traditionell. Den einzelnen Pädagogen werde dabei viel Freiraum gelassen. Einen Leitfaden zum Thema Religion gebe es nicht. Aber: „Wir leben halt in Österreich in einer christlichen Tradition“ – doch gerade an Standorten, wo viele Kinder einen anderen Hintergrund haben, werden auch andere Feste gefeiert.

Mit den Eltern habe es in den vergangenen zwanzig Jahren keine Probleme wegen des Feierns oder Nichtfeierns religiöser Feste gegeben, sagt Riha. „Ich habe das Gefühl, dass sie unsere Haltung respektieren.“ Doch wie reagiert man auf existenzielle Fragen, die Kinder stellen? Wenn sie wissen wollen, was passiert, wenn jemand stirbt? Das wisse sie ja selbst nicht, sagt Riha, dafür könne sie keine Empfehlung geben.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2015)

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