Was auf Tellern übrig bleibt: Wenn Kinder nicht essen

Karotten sind bei Kindern meist beliebter – weil sie eher süß sind und eine helle Farbe haben. Im Gegensatz zu Kohlsprossen.
Karotten sind bei Kindern meist beliebter – weil sie eher süß sind und eine helle Farbe haben. Im Gegensatz zu Kohlsprossen. Fotografie Seckinger/ Westend61/picturedesk.com
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Am Mittags- und Abendtisch führen kleine Gemüseschnitzel zu großen Gefechten und fette Sonntagsbraten zu Notlügen.

Jeder hat sie. Diese eine Erinnerung, die das Essen in der Kindheit in einer Geschichte zusammenfasst. Omas Blechkuchen, Mutters Hascheeknödel, die man sich zu jedem besonderen Anlass bestellen durfte – oder umgekehrt die Gemüseeintöpfe und Blunzengröstl, die einem in den kindlichen Rachen gezwungen wurden, weil „gegessen wird, was auf den Tisch kommt“. Wenig prägt uns so sehr wie die Geschmackseindrücke unserer Kindheit. Sie legen den Grundstein für unsere Vorlieben und Abneigungen – und entscheiden, wie wir uns später ernähren. In „Iss doch wenigstens das Fleisch“ lässt Ulrike Sterblich 16 Autoren zu Wort kommen, die über Essen schreiben. Da berichtet Tex Rubinowitz über die Mutter, die nicht kochen kann, und Lucy Fricke über das Mädchen, das wirklich alles von einem Tier essen wollte und später mit einem Fleischhauer glücklich wurde. Gemeinsam haben die Geschichten oft den Ekel vor dem, was einem vorgesetzt wurde (Innereien, matschige Gemüseeintöpfe, Spaghetti mit Ketchup) – und die Assoziation mit Tristesse im Alltag. Essen, das schmeckt auch immer so wie die Situation, in der wir uns befinden.

Das propagiert auch die moderne Ernährungslehre. Die Umgebung, die Farbe und die Form der Nahrung – das alles spielt gerade bei Kindern eine Rolle. Rotes Essen wird von ihnen etwa bevorzugt, gefolgt von blauem – am wenigsten beliebt ist die Farbe Braun (Schokolade ist da eine Ausnahme). Die Farben sind mitunter auch ein Grund, warum Kinder Süßigkeiten lieben. „Weil sie schön bunt sind“, sagt Ingrid Kiefer, Ernährungswissenschaftlerin bei der Agentur für Ernährungssicherheit. Dass Kinder Süßes lieber haben als Bitteres, ist freilich angeboren. „Das Süße wird als sichere und schnelle Energiequelle gesehen“, sagt Kiefer, während Bittergeschmack mit giftigen Lebensmitteln in Verbindung gebracht werde. Karotten, Erbsen oder Mais sind daher meist beliebt, die bitteren Kohlsprossen meist verhasst. Manchmal sind Abneigungen aber überlebensnotwendig. Verweigert ein Kind etwa Obst komplett, könnte das ein Zeichen für eine angeborene Fructoseintoleranz sein. „Wenn ein Kind eine ganze Gruppe von Lebensmitteln ablehnt, dann sollte man sich das anschauen“, sagt Kiefer.

Sonst seien Aversionen gegenüber manchen Lebensmitteln normal. Das Ergebnis aus einem „Zusammenspiel von Genetik, Umwelt und dem Faktor Familie“. Sprich, auch die Eltern prägen einen Gutteil der Essgewohnheiten mit, weil die Kinder von ihnen lernen. Isst ein Vater kein Gemüse, wird auch das Kind meist keines essen, schlingt die Mutter, schlingt das Kind.

Zwingen hilft nicht

Verweigert ein Kind ein bestimmtes Gemüse, ist es laut Kiefer am besten, es dabei zu belassen. Bloß nicht zwingen. „Sonst verstärkt sich die Aversion.“ Meist gehen solche Phasen vorbei. Abneigung gegenüber einer Speise hänge oft mit schlechten Erfahrungen zusammen – die das Kind (unbewusst) auf das Essen projiziert. Isst ein Kind gar kein Gemüse, helfen Tricks. Etwa Karotten unter die Fleischlaibchen mischen. Und nur kleine Portionen ausgeben. „Sonst fühlen sich die Kinder überfordert“, sagt Kiefer. Und selbst ein Vorbild sein, Gemüsesticks auf den Tisch stellen, dem Kind zeigen, wie das Essen zubereitet wird. Denn eine Aversion gegen bestimmtes Essen hat jeder, wie auch die folgenden Erinnerungen der "Presse"-Redakteure zeigen. Manchmal gehen diese vorbei. Und manchmal eben nicht.

ERSCHIENEN

In „Iss doch wenigstens das Fleisch“ lässt Ulrike Sterblich (Herausgeberin) 16 Autoren zu Wort kommen, die über Essen schreiben. Da erzählt Tex Rubinowitz von der Mutter, die nicht kochen kann, Jochen Schmidt von den Eltern, die kein Essen wegschmeißen können, und Katharina Adler von den seltsamen Kochkünsten von Au-pairs.

Rowohlt, 224 Seiten, 12 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2016)

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