Ist der Papa entspannt . . .

(c) FABRY Clemens
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Eine neue Studie zeigt, dass der Einfluss gestresster Väter auf die Entwicklung vor allem der Söhne bisher unterschätzt wurde.

Im richtigen Leben ihrer Kinder sind viele Väter längst angekommen – in wissenschaftlichen Untersuchungen über deren Entwicklung spielen sie aber immer noch eine Nebenrolle. „Es gibt jede Menge Forschung über die Rolle der Mütter, wesentlich weniger zum Gesamtbild beider Eltern, und niemand beschäftigt sich mit den Vätern“, berichtet Tamesha Harewood, Spezialistin für den Bereich Kindesentwicklung am Institut für Humanentwicklung und Familienstudien der US-amerikanischen Michigan State University (MSU), im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. „Jetzt, da die Väter beginnen, eine so viel größere Rolle abseits jener des Ernährers zu spielen, ist es nötig, genauer hinzuschauen, um ein holistisches Bild zu bekommen.“

Eine Aufgabe, der sie sich gemeinsam mit ihrer Kollegin und Dozentin Claire Vallotton im Rahmen zweier Studien gewidmet hat. In „More Than Just the Breadwinner: The Effects of Fathers' Parenting Stress in Children's Language and Cognitive Development“ haben sich die Forscherinnen mit den Auswirkungen beschäftigt, die gestresste Väter auf die frühkindliche Entwicklung ihres Nachwuchses haben, und sind dabei zu teils erwartbaren, teils aber auch überraschenden Ergebnissen gekommen.

„Bis jetzt hat die Wissenschaft dem Mythos, dass Mütter so viel wichtiger als Väter sind, wenig entgegengesetzt“, so Vallotton, „aber unsere Untersuchung zeigt, dass die seelische Gesundheit der Väter einen genauso starken Einfluss auf die Entwicklung der Kinder hat wie jene der Mütter.“ Teilweise sogar darüber hinaus: So zeigen die Daten, die aus der Untersuchung von 730 Familien in den USA gewonnen wurden, dass vor allem die Buben übermäßig stark von der seelischen Ausgeglichenheit ihrer Väter profitieren – oder in ihrer Entwicklung zurückbleiben, wenn diese etwa depressiv sind. Hier lassen sich signifikante Unterschiede besonders in der sprachlichen Entwicklung von Buben nachweisen.

„Die Väter haben einen deutlich größeren Einfluss auf die Sprache der Söhne“, so Harewood, „und auch wenn dabei eine Menge Faktoren mitspielen, lässt sich doch oft feststellen, dass Mädchen früher einen größeren Wortschatz haben als Buben. Wenn die Väter gestresst oder depressiv sind, verfügen die Söhne über eine merklich geringere Zahl an Worten.“ Wobei sich natürlich die Frage stellt, ob die Ursache für den geringeren Wortschatz bei Buben in der potenziell häufigeren Abwesenheit der Väter liegt oder Mütter vielleicht tendenziell mehr mit ihren Töchtern als mit den Söhnen sprechen. „Darauf kann unsere Studie keine Antwort geben“, so Vallotton, „aber Fragestellungen wie diese zeigen auf, dass es dringenden Bedarf für weitergehende Untersuchungen gibt.“

Wie groß der Einfluss der Väter auf die Entwicklung ihrer Kinder ist, zeigt die aktuelle Untersuchung aber auch durch ein anderes Ergebnis auf: So lässt sich aus den Zahlen folgern, dass sogar in familiären Situationen, in denen die Kinder nicht mit beiden Elternteilen zusammenleben, das psychische Wohlbefinden des Vaters jenem der Mutter als bestimmendem Entwicklungsfaktor um nichts nachsteht. „Solange die Väter in das Leben der Kinder involviert waren, gab es auch diesen Einfluss“, erklärt Vallotton – ein Ergebnis, das auch die beiden Studienautorin durchaus überraschte.


Langzeitfolgen. Zusammengefasst lässt sich aus der Untersuchung folgern, dass gestresste oder deprimierte Väter die Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten ihrer Kleinkinder deutlich verlangsamen. Untersucht wurde hier konkret der sprachliche und kognitive Entwicklungsstand der Kinder im dritten Lebensjahr. Aber auch über dieses Stadium der frühkindlichen Entwicklung hinaus lassen sich Folgen für den Nachwuchs dieser Väter nachweisen, wie eine zweite jüngst veröffentlichte Studie der beiden MSU-Wissenschaftlerinnen zeigt. Unter dem Titel „Child Behavior Problem: Mother's And Father's Mental Health Matters Today And Tomorrow“ haben die beiden Wissenschaftlerinnen untersucht, welche Langzeitwirkungen Stress und Depressionen der Eltern während der frühkindlichen Entwicklungsphase haben. Dabei wiesen jene Kinder – untersucht wurden Schulkinder bis zur fünften Klasse des amerikanischen Schulsystems, das Durchschnittsalter liegt hier bei zehn bis elf Jahren –, deren Eltern unter entsprechenden psychischen Belastungen litten, ein überdurchschnittlich hohes Maß an Problemen mit Hyperaktivität, mangelnder Selbstkontrolle und bei der Interaktion mit anderen auf. „Auch hier hat sich gezeigt, dass die väterlichen Depressionen einen sehr starken Einfluss auf die sozialen und emotionalen Kompetenzen der Kinder hatten“, so Vallotton.

Was aber heißt das nun für die Zukunft der Elternschaft? Wenn es nach den beiden Studienautorinnen geht, ist vor allem ein Umdenken in Sachen seelische Gesundheit bei den Vätern, aber auch in der Gesellschaft nötig. „Zum einen müssen wir in der Gesellschaft eine höhere Akzeptanz dafür schaffen, dass auch Männer und Väter etwas für ihr psychisches Wohlbefinden tun, und sie ermutigen, sich im Bedarfsfall Hilfe zu holen“, so Vallotton. Zum anderen liege es auch an den Männern selbst, ihrer psychischen Gesundheit einen höheren Stellenwert zukommen zu lassen und im Bedarfsfall aktiv etwas zu unternehmen, um Stress und Depressionen zu überwinden. Wenn schon nicht für sich selbst, dann zumindest für ihre Kinder. „Männer müssen lernen, dass es nicht reicht, der Ernährer der Familie zu sein und ihren Kindern ein materiell stabiles Zuhause zu geben, sondern dass sie auch seelisch stabil, präsent und ansprechbar sein müssen“, so Vallotton.

Was aber bekanntlich nicht ganz so einfach ist, wenn man die aktuelle Realität vieler Väter betrachtet: „Derzeit ist es einfach noch so, dass Männer nicht zum Therapeuten gehen; viele vermeiden es ja, auch nur zum Arzt zu gehen“, so Harewood. „Sie müssen als Väter einfach lernen, besser auf sich aufzupassen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2016)

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