Ist keine Mutter besser als die halbe?

Lisa Cossham
Lisa Cossham(c) Olga Kessler
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Auszug aus dem Buch: Lisa Cossham und ihr Exmann, Jan, beschließen, sich die Kinderbetreuungzu teilen.

Früher als ich hat Jan verstanden, was es bedeutet, Teilzeiteltern zu werden. „Du raubst mir die Hälfte ihrer verbleibenden Kindheit“, sagt er. „Ich werde Jahre mit meinen Töchtern verlieren.“ Wütend sagt er das während einer der letzten Auseinandersetzungen in unserem gemeinsamen Zuhause, und ich finde, er übertreibt. „So kann man das nicht rechnen“, antworte ich, „Leben lässt sich nicht kalkulieren, Jahre nicht gegeneinander aufrechnen.“

Heute verstehe ich ihn. Der Verlust der gemeinsamen Zeit ist unauffällig, er wird von einer neuen Normalität überdeckt. Dennoch müssen wir uns von der selbstverständlichen Nähe zu unseren Kindern verabschieden. Wir teilen Räume, Erlebnisse, Freunde nur mehr halb. Es wird immer mehr in Marthas und Louises Leben geschehen, das ich nicht gesehen oder gehört habe, wovon ich vielleicht nie erfahren werde. Als wären sie plötzlich zwanzig, muss ich sie gehen lassen. Aber daran denke ich nicht, als ich bei meiner Freundin Hanna einziehe. Ich habe nicht geplant, Teilzeitmutter zu werden.


Co-Parenting. Es gibt Menschen, homosexuelle wie heterosexuelle, die sich bewusst dafür entscheiden, eine Elternschaft zu teilen. Das Familienmodell nennt sich Co-Parenting, ihm liegt keine Liebesbeziehung zugrunde. Die Eltern, die sich meist über das Internet kennengelernt haben, leben in getrennten Haushalten und erziehen gemeinsam ein Wunschkind.

Teilzeiteltern stolpern weniger auf- und abgeklärt in dieses Lebensmodell. Sie kämpfen mit den Nachwirkungen der Trennung und müssen verarbeiten, dass sie mit dem, was sie eigentlich wollten oder gesucht haben, gescheitert sind. Und während die Hilfsmaßnahmen anlaufen, Anwälte eingeschaltet und Mediationsgespräche geführt werden, wird man zu dieser halben Mutter, die man auch Teilzeitmutter nennen kann, als wäre das Erziehen bloß noch halb so arbeitsintensiv und halb so anerkannt wie bei Vollzeitmüttern.


Wie will ich mein Kind? In kurzer Zeit muss man Entscheidungen treffen. Es geht nicht mehr um die Frage, ob man ein Kind will oder nicht, mit der sich manche Paare jahrelang beschäftigen. In wenigen Wochen muss man herausfinden: Wie will ich mein Kind? Wie kann ich ihm Mutter sein und bleiben? Darüber habe ich mir vor meiner Trennung keine Gedanken gemacht. Das Was-wäre-wenn-Spiel habe ich nie gespielt. Eines aber weiß ich sofort: dass Jan unsere Töchter in Zukunft nicht weniger sehen soll als ich. Dass wir uns die Erziehung teilen werden. So, wie wir es bisher gemacht haben.

Das Buch

„Plötzlich Rabenmutter“
Blanvalet
224 Seiten
10,30 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2017)

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