Woran unsere Schule scheitert

(c) Clemens Fabry
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Egal, um welche Bildungsstudien es sich handelt, sie alle haben eines gemein: Österreichs Schüler schneiden zumeist schlecht ab. „Die Presse“ hat die Fehler und Versäumnisse des Schulsystems analysiert.

1) Die Chancen auf Aufstieg sind gering

Familie. Bildung wird in Österreich vererbt: Drei Viertel der Schüler, die bei den Bildungsstandards scheitern, kommen aus bildungsfernen Familien. Nur jeder Vierte schafft laut OECD in Österreich überhaupt einen höheren Abschluss als die Eltern. Die großen Probleme: Die Schule gleicht schlechtere Startbedingungen, die die Kinder von zu Hause mitbringen, nicht aus – Potenziale werden also oft gar nicht erst erkannt, Nachteile mitunter sogar verstärkt. Eltern aus bildungsfernen Schichten wiederum treffen teilweise Entscheidungen, die einem Aufstieg hinderlich sind: So schicken sie ihr Kind bei gleicher Leistung seltener ins Gymnasium. Je später die Schulwahl stattfindet, desto geringer ist aber dieser Effekt, sagt der Linzer Soziologe Johann Bacher. Und: Nachteile könnten in Ganztagsschulen eher ausgeglichen werden.

2) Die Migranten hinken hinten nach

Herkunft. Egal, welche Studie – eines scheint klar zu sein: Die Schüler mit Migrationshintergrund hinken hinterher. Mehr als ein Drittel von ihnen schaffen die Bildungsstandards nicht. Allein an der Herkunft liegt es allerdings nicht. Soziologen sind sich einig, dass soziale Schicht und Bildungsstand der Eltern die größere Rolle spielen (siehe Punkt eins). In Österreich fallen die Faktoren – anders als in Ländern wie Kanada oder Australien, wo Migranten gut abschneiden – oft zusammen. Klar ist: Auch die Sprache ist eine Hürde für Migrantenkinder – in Österreich mehr als in anderen Ländern. Das dürfte mitunter daran liegen, dass lange nicht auf die Zuwanderung reagiert wurde, während anderswo längst systematische Sprachförderung entwickelt wurde.

3) Spitzenleistung wird zu wenig gefördert

AHS. Eigentlich haben die Gymnasien Grund zur Freude: Sie schnitten bei den Bildungsstandards klar besser ab als die Haupt- und Neuen Mittelschulen. Die schlechten Ergebnisse bei internationalen Bildungsstudien könnten also getrost den anderen Schultypen zugeschrieben werden. Ganz so ist es aber nicht. Denn auch an der Spitzenförderung hapert es. Das zeigt nicht zuletzt die PISA-Studie. Zwar werden die Gymnasien dabei nicht gesondert ausgewertet. Es zeigt sich aber, dass es in Österreich nur eine kleine Gruppe an Schülern gibt, die Spitzenleistungen erbringen. Und zwar sowohl im Bereich Lesen wie auch in Mathematik und in den Naturwissenschaften.

4) Transparenz hat keine Tradition

Evaluierung. Die heimischen Schulen waren lange eine Blackbox – für Politik, Direktoren, Eltern. Während andere Länder seit Langem die Leistungen ihrer Schulen überprüfen (in Finnland melden sich Standorte sogar freiwillig), hat Transparenz in Österreich keine Tradition. Der PISA-Test im Jahr 2000 war diesbezüglich eine (unrühmliche) Premiere. Bildungsstandards sind sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Auch wenn hier Vorwürfe laut werden, es würden nicht genügend Informationen veröffentlicht – Stichwort NMS oder Schuldaten. Testen allein bringt natürlich nichts – es müssen auch Konsequenzen gezogen werden (siehe Punkt sieben).

5) Es mangelt schon an der Vermittlung der Grundlagen

Volksschule. Der Grundstein für den Bildungserfolg wird in der frühen Kindheit gelegt – doch schon die österreichischen Volksschulen schneiden hier nicht besonders gut ab. Laut den jüngsten internationalen Studien PIRLS und TIMSS sind die heimischen Schüler – jedenfalls beim Lesen und Rechnen – auf einem relativ niedrigen Niveau. Bei der Lesekompetenz liegt Österreich auf dem letzten Platz von 14 vergleichbaren Ländern. Auch im Bereich Mathematik sind die heimischen Schüler nicht viel besser. Hier belegen sie den viertletzten Platz. Allein bei den Naturwissenschaften haben sich die heimischen Schüler etwas verbessert. Es hapert also schon bei der Vermittlung der Grundkompetenzen.
Immer wieder werden daher Rufe laut, die Volksschule müsse sich stärker auf die Vermittlung der Kompetenzen Lesen, Rechnen und Schreiben konzentrieren – anstelle von Projektunterricht. Die Frage ist, ob Lehrer die tatsächlichen Kenntnisse ihrer Schüler überhaupt richtig einschätzen können. Studien zeigen etwa, dass Lehrer die Leseleistungen der Volksschüler oft völlig falsch beurteilen. Trotz großer Leseschwäche haben drei Prozent der Risikoschüler in der Volksschule ein „Sehr Gut“ im Zeugnis, hat etwa das BIFIE herausgefunden. Die Wiener Stadtschulratspräsidentin Susanne Brandsteidl will die Resultate standardisierter Überprüfungen daher künftig auch in die Noten einbeziehen. Das könnte auch den Druck vonseiten der Eltern mindern: Denn vor allem gegen Ende der Volksschulzeit üben immer wieder Mütter oder Väter Druck auf die Lehrerinnen aus – um ihrem Kind die Note zu sichern, die es für den Übertritt ins Gymnasium braucht.

Dass es speziell beim Lesen hapert – und Schüler mit Migrationshintergrund hier zwar etwas besser abschneiden als beim letzten Mal, aber immer noch deutlich schlechter –, weist auch auf die Problematik der Sprachförderung hin. Auch Nichtsprachenlehrer müssen diesbezüglich fit für Migranten werden – und die Ausbildung muss die Themen Mehrsprachigkeit und Spracherwerb abdecken.

6) Der Lehre fehlt das gute Image, Talente gehen verloren

Berufsausbildung. Während in anderen Staaten – etwa in der Schweiz – ein Lehrberuf eine ehrenvolle Alternative zur höheren Schule ist, gilt er hierzulande zumeist als Sackgasse. Zwar sind die Jobaussichten für Lehrabsolventen (laut Erwerbskarrieren-Monitoring der Statistik Austria) gut. Die Chancen auf eine spätere Weiterbildung – etwa auch akademischer Natur – jedoch nicht. Nicht nur deshalb hat die Lehre in Österreich ein Imageproblem.

Einen Lehrberuf ergreift nicht, wer bei sich etwa ein handwerkliches oder verkäuferisches Talent erkennt – sondern vor allem derjenige, der aus dem Schulsystem kippt. Die Schulen kämpfen unabhängig von den Begabungen um den Verbleib der Jugendlichen im System. Die Lehre ist damit eher der letzte Ausweg, denn eine wirkliche Alternative. Das spiegelt sich in den Grundkompetenzen jener, die dann doch eine Lehre beginnen, wider: Lehrherren klagen über verheerende Schreib- und Rechenkenntnisse, auch um die Umgangsformen sei es schlecht bestellt.
Die Durchlässigkeit der Systeme ist gering: Für wen eine Lehre infrage kommt, ist zumeist schon im Alter von zehn Jahren vorbestimmt (siehe Punkt eins). So haben nur 0,7 Prozent aller Lehrlinge eine AHS–Unterstufe als schulische Vorbildung, 36 Prozent hingegen stammen aus einer polytechnischen Schule.

7) Es werden keine Konsequenzen aus schlechten Tests gezogen

Reformen. Die Selbstreflexion scheint keine Stärke des heimischen Bildungssystems zu sein. Anders kann man es nicht erklären, dass trotz des stetig schlechten Abschneidens bei internationalen Bildungstests (zu) lang nicht am Leistungsvermögen des eigenen Systems gezweifelt wurde, sondern vor allem an der Aussagekraft der Tests.
Auch wenn den Bildungstests kleine Unschärfen inhärent sind und damit nur ein kleiner Wissensbereich überprüft wird, haben sie alle eines gemein: Österreich schneidet im internationalen Vergleich immer schlecht ab. Die Studien sollten also ein deutlicher Warnhinweis sein. Waren sie aber nicht. Anders in Deutschland: Dort reagierte man schnell – Bildungsstandards wurden eingeführt und eine Qualitätsentwicklung an den einzelnen Schulstandorten aufgebaut. Außerdem wurden die Schulen besser miteinander vernetzt. Die Folge: Während Deutschland seit der PISA-Testung im Jahr 2000 vom hinteren Mittelfeld in das oberste Drittel der verglichenen Länder aufrückte, fiel Österreich immer weiter zurück. Unterrichtsministerin Claudia Schmied (SPÖ) beharrt darauf, dass Österreich dennoch auf einem guten Weg sei. Um Erfolge zu sehen, brauche es eben Zeit, die Reformen würden erst in einigen Jahren greifen. Da sieht auch PISA-Macher Andreas Schleicher so. Österreichs Weg sei besser als die Umsetzung oberflächlicher Maßnahmen.

Dem widerspricht der Salzburger Erziehungswissenschaftler Ferdinand Eder: Er glaubt an kurzfristige Maßnahmen. So würde eine gut vorbereitete Leseoffensive in allen Schulstufen helfen können. Generell habe sich Österreich bei der Bildungsdiskussion „verzettelt“. So hätten etwa die Umsetzung der Bildungsstandards und die Diskussionen mit der Gewerkschaft zu lange gedauert. Außerdem müsse Österreich erst lernen, wissenschaftliche Erkenntnisse auch in der Praxis zu nutzen. Denn derzeit würden Reformen – obwohl es wissenschaftliche Erkenntnisse gibt – oft lediglich auf „Entscheidungen, die aus dem Bauch heraus getroffen werden“ fußen, sagt Eder.

Eine Studie im Auftrag des ÖGB, für die 300 mit Lehre befasste Fachleute befragt wurden, zeigte zahlreiche Verbesserungsmöglichkeiten auf – darunter die Entwicklung von mehr überfachlichen Kompetenzen in Lehrberufen, um später Umstiege zu erleichtern und eine bessere Durchlässigkeit zwischen schulischer und beruflicher Ausbildung zu ermöglichen. Verbessert werden muss auch die Didaktik bei der Umsetzung der Lehrinhalte in Berufsschulen. Der Gewerkschaftsbund sieht ein solches breites Ausbildungsspektrum vor allem in überbetrieblichen Lehrwerkstätten gesichert. Zudem drängt er auf die Wiedereinführung von Zwischenprüfungen im Zuge der Lehrlingsausbildung. Damit soll der hohen Durchfallquote bei den Abs

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