Studienabbrecher: Vom Hörsaal in die Berufsschule

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Das Studium schmeißen und eine Lehre beginnen: Das macht derzeit kaum jemand. Das Wirtschaftsressort überlegt Beratungsprojekte.

Als es darum geht, sich an der Uni für ein Fach zu entscheiden, zögert Mariella Schuller keine Sekunde. Schon seit einem Schnupperpraktikum als 14-Jährige, auf das mehrere Ferialjobs folgten, steht für sie fest: Sie will Pharmazie studieren. Sie schreibt sich in Wien ein, nebenbei jobbt sie in der Apotheke, es läuft ganz gut. Bis es nach sieben Semestern heißt: Nichts geht mehr. „Ich bin an der Chemieprüfung hängen geblieben“, erzählt die 22-Jährige. „Der praktische Teil hat super geklappt – die Theorie leider auch beim vierten Antritt nicht.“

Gut ein halbes Jahr später steht Mariella Schuller in der Marienapotheke in Eisenstadt und mischt Ringelblumentinktur mit einer Salbengrundlage – eine typische Aufgabe für pharmazeutisch-kaufmännische Assistenten. „Ich hätte das Studium in Graz nochmals probieren können“, sagt Schuller. „Ich habe mich aber dafür entschieden, eine Lehre zu machen. Ich will einfach einmal etwas in der Tasche haben.“
Wenn alles gut geht, schließt sie die eigentlich dreijährige Ausbildung in gut anderthalb Jahren ab. Um wie viel die Lehrzeit in solchen Fällen verkürzt wird, dafür gibt keine genaue Vorgabe. Es gibt im Berufsausbildungsgesetz die Möglichkeit, Vorbildung individuell anzurechnen. Mariella Schuller muss jedenfalls genauso in die Berufsschule wie andere Lehrlinge.

Von der Uni in die Lehre: Das ist in Österreich ungewöhnlich. Von den insgesamt 115.000 Lehrlingen haben laut Lehrlingsdatenbank der Wirtschaftskammer exakt 45 ein abgebrochenes Studium als Vorbildung angegeben. Ein paar Abbrecher könnten sich noch in den Zahlen der Lehrlinge mit Matura verstecken. Auch die sind aber wenige: Rund 1500 haben Matura.

Studienabbrecher – oder jedenfalls: Studierende, die irgendwann beginnen, an ihrem Fach oder an der Uni an sich zu zweifeln – gibt es dagegen recht viele. In Deutschland hat die Politik das vor einer Weile als Potenzial erkannt – und wirbt aktiv um jene, die das Studium geschmissen haben: Im Rahmen von „Jobstarter Plus“ werden Projekte finanziert, mit denen Studienabbrecher für eine duale Ausbildung gewonnen werden sollen.

Das könnte es demnächst auch in Österreich geben, wie „Die Presse“ aus dem Wirtschafts- und Wissenschaftsressort erfahren hat: Das Lehrlingscoaching soll bis 2015 österreichweit ausgerollt werden. Dabei könnte ein Beratungsschwerpunkt geschaffen werden, der sich speziell an Abbrecher richtet.

Eine der Annahmen dahinter: Wer ein Studium zumindest angefangen hat, bringt womöglich bessere Voraussetzungen mit als andere potenzielle Lehrlinge, über deren teilweise gewaltige Bildungslücken ja laufend geklagt wird. „Für Betriebe können Studienabbrecher aufgrund ihrer bisherigen Ausbildung und ihrer Erfahrung eine Bereicherung darstellen“, sagt Minister Reinhold Mitterlehner (ÖVP).

Zukünftige Führungskräfte?

Mathias Kastler wurden bei seiner Lehre als Speditionskaufmann von Anfang an verantwortungsvollere Aufgaben übertragen. Immerhin hatte der heute 26-Jährige die Matura gemacht, danach vier Semester an der Wirtschaftsuni studiert. Vier Semester, an denen sich herauskristallisierte, dass die Universität nicht das Richtige für ihn ist. „Ich bin ein eher praxisbezogener Mensch“, sagt er. Er entschied sich, das Studium sein zu lassen – und begann eine Lehre beim Salzburger Logistikunternehmen Lagermax.

Eine Entscheidung, die im privaten Umfeld nicht nur positiv aufgenommen wurde. „Aber es wurde alles in allem weniger als Abstieg gesehen – und eher als etwas, bei dem ich mein Potenzial ausleben kann.“ Ohnehin studiert Mathias Kastler – seit zwei Jahren mit der Lehre fertig – inzwischen wieder: berufsbegleitend, an der FH Steyr. Sein berufliches Ziel: das mittlere oder höhere Management.
Für seinen Chef Leopold Wimmer ist das durchaus positiv: „Für uns ist das ja auch interessant. Wir suchen immer wieder Personen, die Führungsfunktionen übernehmen können.“ Was bei Lagermax funktioniert – mit europaweit rund 3000 Mitarbeitern kann man solche Ambitionen im Unternehmen ausleben – ist bei kleineren Betrieben etwas schwieriger: Immerhin gibt es da nur wenige (oder keine) Führungsfunktionen zu vergeben.

Thomas Job, Chef der Eisenstädter Marienapotheke, ist skeptischer, was Studienabbrecher (und Maturanten) als Lehrlinge angeht. „Das sind natürlich extrem wertvolle Kräfte, die mit sehr viel Eigenverantwortung arbeiten. Aber ich habe keine guten Erfahrungen, was die Dauerhaftigkeit betrifft: Höherqualifizierte gehen irgendwann.“ Mariella Schuller hat er dennoch genommen – weil sie schon während des Studiums bei ihm jobbte. „Ich hätte sie nicht hängen lassen.“ Auch bei ihr ist aber klar: Mit der Lehre wird es nicht getan sein. Sie überlegt, danach vielleicht doch noch ein Studium anzuhängen.

Auf einen Blick

Tag der Lehre. Am Mittwoch und Donnerstag findet im Wiener MAK (Weiskirchnerstraße 3, 1010 Wien) der Tag der Lehre statt. Rund 50 Unternehmen und Beratungsinstitutionen informieren kostenlos über Lehrberufe. Erstmals besteht heuer auch die Möglichkeit, die Veranstaltung in den Abendstunden zu besuchen. Heute von 17 bis 19 Uhr ist die Messe auch für berufstätige Eltern geöffnet. Anmeldung unter tag-der-lehre.at.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2014)

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