Schulsystem: Eine Klasse für sich

(c) Die Presse (Michaela Bruckberger)
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Ein wirklich gutes Schulsystem braucht vor allem eines: gute Lehrer. Wer ein „Superlehrer“ sein will, muss Kinder mögen, Beziehungen aufbauen können, die Schubladen beim Denken zulassen – und mit seinen Kollegen ein starkes Team bilden.

Stavros Louca ist Mathelehrer. Schon seit Jahren wurden seine Schüler als die besten in ganz Schweden ausgezeichnet. Heute ist Louca so etwas wie ein Superlehrer. Mit sieben weiteren pädagogischen Kapazundern unterrichtete er vor laufenden Kameras ein halbes Jahr lang die 9a-Klasse, die Abschlussklasse der Johannesschule in Malmö. Die Schule hatte einen fürchterlichen Ruf, stand kurz vor der Schließung.

Die Dokusoap über die 9a, im öffentlich-rechtlichen Sender SVT ausgestrahlt, wurde zum Hit. Und die 9a zu einer der besten Klassen Schwedens. Wie das geht? „Die Schüler müssen mich mögen“, sagt Louca. „Dann mögen sie auch das Fach, das ich mag.“ Und wollen ihn nicht enttäuschen.

In Schweden hat die Dokusoap eine hitzige Debatte ausgelöst. Gute Lehrer heißen dort seither „9a-Lehrer“. Auch Sabine Czerny ist so eine 9a-Lehrerin. Die 37-jährige bayrische Grundschullehrerin hat sich massive Probleme eingehandelt – weil ihre Kinder zu gute Noten hatten. Das könne nicht mit rechten Dingen zugehen, mutmaßten Schulen und Behörden. Dabei klingt es eigentlich ganz einfach, was sie sagt.

Das Wichtigste für gute Lehrer sei der innere Wunsch, sich um jedes einzelne Kind zu kümmern, sagt Czerny. Dann müsse man an das volle Potenzial eines Kindes glauben, vielmehr: „Man muss davon überzeugt sein.“ Und schließlich müsse man dafür sorgen, dass auch jedes Kind selbst zur Überzeugung kommt, dass es fähig ist. „Das muss man eben so arrangieren. Denn wenn ein Kind glaubt, es kann nicht rechnen, dann geht auch nichts.“

Die Unternehmensberatung McKinsey hat im Jahr 2007 Staaten und Regionen untersucht, die beim Pisa-Test Bestnoten erzielten. Herausgefunden hat sie, dass ein Schulsystem nicht durch die Klassengröße gut wird oder durch das investierte Geld. Sondern durch die Lehrer.

Wären Schulen Unternehmen, würden Headhunter nach Leuten wie Czerny und Louca suchen. Doch was macht gute Lehrer eigentlich aus?

Ein guter Lehrer mag Kinder. Das klingt banal, ist es aber nicht. Er interessiert sich nicht nur für sein Fach. Das schon auch: „Ein Mathelehrer ist dann gut“, meint die Lehrerin Natalie Ross, „wenn er funkelnde Augen bekommt, wenn er von Mathe redet.“ Genauso sehr interessiert er sich aber für das Wesen und die Entwicklung der Kinder. „Gute Lehrer mögen nicht nur die leistungsstarken, sondern auch die schwachen Kinder“, schreibt der Schweizer Kinderarzt und Entwicklungsforscher Remo Largo in seinem neuen Buch „Schülerjahre“. Sie verstünden sich als „Spezialisten für lernende Kinder und Jugendliche“.

Ein Schlüsselwort dabei ist Respekt. Er ist sogar das oberste Prinzip, sagt der deutsche Journalist Christian Füller, der innovative Schulen analysiert hat. Natalie Ross unterrichtet an einer dieser Schulen. Sie sagt: „Voraussetzung für einen guten Lehrer ist, dass er die Schüler wertschätzt und ernst nimmt.“

Gute Schulen setzten daher konsequent bei den Stärken der Kinder an. Selbst wenn diese Stärken nicht in Schulfach-Schubladen passen. Natalie Ross erzählt von einem türkischen Mädchen, dessen schulische Leistungen „unterirdisch“ waren. Sie riet ihm zum Trommeln. Zu sehen, wie das Mädchen im Konzert brillierte, war auch für Ross ein Erfolgserlebnis. Für sie muss ein Lehrer gut zuhören und beobachten können. Und souverän sein. Drastisch ausgedrückt: „Wenn ein 13-jähriger Pubertierender mich scheiße findet, darf mich das nicht angreifen. Im Zweifelsfall hat es mehr mit dem Kind zu tun als mit mir.“


Lehrer sind Sozialarbeiter. Früher war ein guter Lehrer einer, der viel wusste, sagt Füller. „Heute muss ein Lehrer mehr können – Wissen vermitteln und Beziehungen aufbauen.“ Er müsse tatsächlich auch Sozialarbeiter sein. Den wichtigsten Satz, so Füller, habe ihm eine Lehrerin in einer Wiesbadener Brennpunktschule gesagt: „Es geht nicht um pädagogische Kniffe, es geht darum, verlässliche Beziehungen herzustellen.“ Für viele Kinder ist der Lehrer die wichtigste Bezugsperson nach den Eltern. Und viele tragen einen großen Rucksack an sozialen Problemen mit sich herum. Die könne man nicht alle lösen, weiß Füller. Ausblenden dürfe man sie aber genauso wenig.

All das müsste angehenden Lehrern schon in der Ausbildung klar werden. Die sei aber zu kopflastig, zu fächerzentriert, sagt Füller. In der Pädagogik würden Fachwissen, Methodik und Didaktik dominieren, schreibt auch Largo. „Doch ein Lehrer, der keine gute Beziehung zu einem Schüler aufbauen kann, wird nie ein guter Lehrer sein.“

Im Mittelpunkt guten Unterrichts steht nicht der Lehrplan, sondern das Kind, das neugierig sein darf und sich Dinge in seinem eigenen Tempo erarbeitet. Frontalunterricht hat da ausgedient. Wochenplan und Freiarbeit, Projekte und Lernlabore sind die erfolgreichen neuen Formen, die Füller beobachtet hat. Dass da die Lehrer selbst noch lernen, ist selbstverständlich. Dass sie Blogs und Wikis nutzen können und auch schon einmal Counter-Strike gespielt haben, sollte es ebenfalls sein.

Lehrer als Teamspieler. Wenn Lehrer unter Burn-out leiden, sei das zu einem guten Teil darauf zurückzuführen, dass sie als Einzelkämpfer im stillen Kämmerlein werken, meint Füller. Dass das auch anders geht, zeigt eine der „schlauen Schulen“. Dort erstellen 16 Lehrer gemeinsam Wochenpläne für ihre Schüler. Sie tauschen sich aus und unterstützen sich. Füller: „Es ist unglaublich, welche Kraft von so einem starken Team von Lehrern ausgeht.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2009)

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