Politische Bildung gegen Extremismus

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AUSSENMINISTER KURZ(c) APA/HERBERT NEUBAUER (HERBERT NEUBAUER)
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Integrationsminister Kurz (ÖVP) fordert Politische Bildung als Pflichtfach. Der Bildungsministerin fehlt das Geld. Beratungsstellen sind immer gefragter.

Wien. Als Frankreich am vergangenen Donnerstag während einer nationalen Schweigeminute nahe zusammenrücken und der Terroropfer gedenken wollte, ging das nicht überall reibungslos über die Bühne. Allein an den Schulen kam es zu siebzig Zwischenfällen, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ berichtete. Da gab es Schüler, die sich weigerten, an dem Gedenken teilzunehmen. Andere wiederum hielten die Hände in Form des Buchstaben V in die Höhe, um den „Sieg der Terroristen“ zu feiern.

Die französische Politik reagiert darauf: Es soll eine große Bildungsoffensive geben, um die Werte der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zum Leben zu erwecken. Es soll schon in der Schule angesetzt werden. So will das auch Österreich machen. Man müsse das Problem der Radikalisierung angehen, „indem wir in den Schulen einen wesentlich größeren Schwerpunkt auf Grundwerte und das Zusammenleben legen“, sagt Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP) am Dienstag im ORF-Radio. Denn die gemeinsamen Grundwerte seien die Basis dafür, „dass wir so miteinander umgehen, wie wir das in unserer Gesellschaft wollen“. Daher fordert der Minister die Einführung des Pflichtfachs Politische Bildung ab der fünften Schulstufe. Unterstützung erhielt er vom Wiener ÖVP-Chef Manfred Juraczka. Dieser hält ein verpflichtendes Fach für „ein Gebot der Stunde“.

„Heiße Kartoffel“?

Das Bildungsministerium zeigt sich aber zögerlich – und zwar aus finanziellen Gründen: Gebe es nicht mehr Geld, könne es das Fach Politische Bildung nicht flächendeckend eingeführt werden. „Zusätzliche Forderungen, die über das gemeinsam Beschlossene hinausgehen, brauchen zusätzliche, darüber hinausgehende Mittel“, gibt Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) zu bedenken.

Aus Sicht der Experten ist die Schaffung eines eigenen Faches nicht zwingend notwendig. Derzeit ist die politische Bildung als Unterrichtsfach und als Kombinationsfach (etwa mit Geschichte) verankert. An den Berufsschulen gibt es ein eigenständiges Fach.

„Ob politische Bildung ein eigenes Fach ist oder nicht, ist nicht alleine ausschlaggebend“, sagt Patricia Hladschik, Leiterin des Zentrum „Polis – Politik lernen in der Schule“ am Boltzmann-Institut für Menschenrechte in Wien. Sie habe nicht den Eindruck, dass politische Bildung – wie manche meinen –, durch die derzeitige Regelung „wie eine heiße Kartoffel herumgereicht wird“. Die jetzige Struktur ermögliche, auch wenn sie verbesserungsfähig sei, gute politische Bildung.

Lehrer müssten sich angesichts der aktuellen Ereignisse „ihrer Verantwortung bewusst sein“, so Hladschik. Die Geschehnisse nicht zu besprechen, sei keine Option. „Alles, was in der Gesellschaft passiert, findet Zutritt ins Klassenzimmer. Deshalb sollten Vorfälle wie in Paris auch in der Schule – egal, wie alt die Kinder sind – altersadäquat thematisiert werden.“ Dabei dürften die Lehrer nicht allein gelassen werden.

Das Ministerium verweist darauf, dass es mehrere Angebote zur Radikalismus-Prävention gibt. Etwa die Schulinfo-Hotline des Schulpsychologischen Dienstes. Außerdem gibt es seit 1.Dezember eine unter der Obhut des Familienministeriums agierende „Beratungsstelle Extremismus“, an die sich sowohl Betroffene als auch Angehörige und eben auch Lehrer wenden können, die befürchten, dass sich Personen in ihrem Umfeld radikalisieren.

Konvertierte Jugendliche

Nach den Terroranschlägen in Paris wurde die Beratungsstelle besonders oft kontaktiert. Insgesamt waren es seit der Gründung rund 100 Anrufe. Allein in den vergangenen zwei Tagen sind es mehr als 15 Anrufe gewesen, sagt Verena Fabris, die Leiterin der Beratungsstelle, auf Anfrage der „Presse“. Sie führt das einerseits darauf zurück, dass das Angebot bekannter wurde, andererseits auf die steigende Sensibilität in der Bevölkerung.

Anrufen würden vorwiegend besorgte Eltern. Sie berichten von ihren Kindern, die erst kürzlich zum Islam konvertiert seien oder plötzlich ein Kopftuch trügen. Das sei freilich nicht immer bedenklich. „Doch es ist besser, einmal zu oft anzurufen“, sagt Fabris. Insgesamt seien mehr als 20 Familien betreut worden. In bislang drei Fällen wurde tatsächlich der Verfassungsschutz eingeschaltet. Der Wiener Stadtschulrat hat, wie der „Presse“ bestätigt wurde, seit Herbst sogar schon 20 Fälle gemeldet.

AUF EINEN BLICK

Unterstützung. Wenn Lehrerinnen und Lehrer Probleme orten, die in Richtung Extremismus gehen, gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten.

Hotlines. Die Beratungsstelle Extremismus richtet sich an das Umfeld potenziell Betroffener. Es gibt eine Telefonhotline (0800/202044). Das Bildungsressort hat eine eigene Infohotline eingerichtet, unter der Schulpsychologen Beratung anbieten: (0810/205220).

Online. Auf der Webseite der Beratungsstelle finden sich Antworten auf häufige Fragen (beratungsstelleextremismus.at). Die Stelle ist auch per Mail erreichbar: office@beratungsstelleextremismus.at.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2015)

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