Latein: Vom Schülerschreck zur Trendsprache?

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Latein verspricht heute wieder einen Bildungs-Vorsprung. Den Trend zu Latein spiegeln auch Verkaufserfolge wie Harry Mounts „Latin Lover“ oder Fibeln mit Titeln wie „Schimpfen und Flirten auf Latein“ wider

Wer kennt sie nicht, jene Sorte Lateinlehrer, die ihre Schüler mit seitenlangen Übersetzungen von Vergil, Ovid oder Sallust quält, unerbittlich Vokabellisten, Substantivdeklinationen und Konjunktivverbformen im Plusquamperfekt abprüft und nicht lockerlässt, bis ein Schüler das Versmaß des Hexameters mit der richtigen Betonung vortragen kann?

Manch einer mag dieses Bild für überzeichnet halten. Hört man sich aber bei ehemaligen Lateinschülern um, erntet man regelmäßig saure Gesichter – und Klagen über das verursachte Kopfweh. Lateinunterricht, das verbinden viele noch immer mit der Aura des Staubtrockenen, Langweiligen und Mühsamen. Latein – ein Auslaufmodell?

Aktuelle Zahlen des Unterrichtsministeriums sprechen hingegen eine andere Sprache: Nahmen im Schuljahr 2001/02 österreichweit an rund 340 AHS 52.514 Schüler am Lateinunterricht teil, waren es im Schuljahr 2006/07 bereits 68.798. Auch die Zahl der Altgriechischlernenden stieg in diesem Zeitraum von 994 auf 1706. „Latein erfährt eine immer größere Beliebtheit“, sagt Andreas Schatzl von der AHS-Abteilung des Ministeriums. Die Gründe für diesen eklatanten Anstieg – plus 16.000 Schüler – sind vielfältig.

Zunächst: Seit dem Schuljahr 2004/05 sind an österreichischen Schulen neue Lehrpläne in Kraft. Latein wird heute anders unterrichtet als noch vor ein paar Jahren, der gefürchtete Lateinlehrer gehört der Vergangenheit an. Nicht mehr die möglichst vollständige Lektüre einzelner Autoren steht auf dem Programm; unterrichtet wird heute in themenbezogenen Modulen. Das macht vor allem in der Oberstufe den Unterricht spannender: Der Mensch in seinem Alltag, Eros und Amor, die Idee Europa – Themenblöcke, die Bezüge zur heutigen Zeit herstellen, mit vielfältigen Autorentexten (bis hin zur Neuzeit) sind nun vorgesehen. „Das Fach wird wieder beliebt“, sagt Schatzl. „Latein ist heute nicht nur ein Sprachfach, sondern auch ein Kulturfach.“

Eben dieses kulturelle Wissen, das die Sprache vermittelt, dürfte vielen Eltern heute wieder wichtig sein: Latein ist Wissen, das bleibt. Das ist gerade in einer schnelllebigen Welt wichtig und begehrtes Topping im Bildungsbereich.

Den Trend zu Latein spiegeln auch Verkaufserfolge wie Harry Mounts „Latin Lover“ oder Fibeln mit Titeln wie „Latein für Angeber“ oder „Schimpfen und Flirten auf Latein“ wider: Wer möchte nicht mit der Frage „Quo vadis?“ auftrumpfen oder erklären können, was das berühmte „PS“ am Ende des Briefes bedeutet? Die Kenntnis von Latein-Small-Talk verspricht Distinktionsgewinn.

All-inclusive-Bildung

„Latein ist ein bisschen wie ein All-inclusive-Programm“, sagt Irene Presoly, Lateinprofessorin am Gymnasium Maroltingergasse in Wien-Ottakring. Drei ihrer Schülerinnen sind auf die ersten Plätze bei der Wiener Lateinolympiade gekommen. „Die Mythen sind spannend“, sagt Sarah Schwarzl. Und Nata?a Kivaranovi? pflichtet der Kollegin bei: „Latein hilft beim Erlernen anderer Sprachen.“

Auch Experten betonen den (späteren) Nutzen des Erlernens „toter Sprachen“ wie Latein und Griechisch. Das logische und vernetzte Denken werde gefördert; Menschen, die Latein gelernt haben, täten sich auch beim Erlernen lebender Fremdsprachen ungleich leichter. Und schließlich sei da noch die Kenntnis von Fremdwörtern und Fachausdrücken, die im späteren (Berufs-)Alltag weiterhelfe – ebenso wie jenes Bündel an Wissen, das gerne als „humanistische Bildung“ beschworen wird.

Doch gerade das humanistische Bildungsideal sieht so mancher Lateinlehrer heute in Gefahr. Denn es nimmt vor allem die Zahl der Schüler zu, die „nur“ Kurzlatein (ab der Oberstufe) belegen. Seit einem Jahrzehnt bieten die AHS mehr Wahlfreiheit in den Ausbildungswegen: „Vollwertige Gymnasien“, wie Lateinlehrer Viktor Streicher, Organisator der Lateinolympiade (siehe Bericht unten) sie nennt, werden weniger – zumindest in Wien. Die Bundes-AHS seien da noch „konservativer“, meint der Vollblutlateiner, der seine Sympathien für das traditionelle Modell nicht verschweigt.

Zwei Jahre weniger Latein – „ein mächtiger Unterschied“, der die Schüler zwei Jahre Autorenlektüre koste. Tatsächlich beginnt der Lektüreunterricht erst nach den ersten beiden Jahren, in denen vor allem Grammatik gepaukt wird. Wenn Latein ein „Sprungbrett für andere Sprachen“ sein soll, sagt Streicher, müsse man mit der alten Sprache beginnen. Rechtzeitig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2009)

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