Stereotype: Lesen? Nichts für Buben

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Das Bildungssystem fördere Leistungsdifferenzen zwischen Geschlechtern, besagt eine Studie. So schneiden etwa in Mathematik die Buben in fast allen Ländern besser ab als Mädchen – in Österreich ist das aber besonders auffällig.

Lesen ist nichts für Buben. Und Mathematik ist nichts für Mädchen. Es sind alte Stereotype, die das derzeitige Bildungssystem nicht nur bestätigt, sondern sogar reproduziert. Denn die Leistungsdifferenzen zwischen Buben und Mädchen gibt es tatsächlich. Zu diesem (gar nicht neuen) Ergebnis kam jetzt eine der zahlreichen Detailauswertung der Pisa-Studie 2006 und anderer internationaler Vergleichstests durch die OECD.

So schneiden etwa in Mathematik die Buben in fast allen Ländern besser ab als Mädchen – in Österreich ist das aber besonders auffällig: Während männliche, 15-jährige Schüler im OECD-Schnitt elf Punkte vorne lagen, waren es an heimischen Schulen 23Punkte. Beim Lesen ist es genau umgekehrt. Hier triumphieren die Mädchen. Im OECD-Schnitt sind sie um 38 Punkte vorne, in Österreich sogar um 45 Punkte.

Schulwesen verstärkt Schwächen

Aber ist das denn tatsächlich das Ergebnis einer unterschiedlichen, geschlechtsspezifischen Begabung? Nein, sagen die Studienautoren. Denn nicht das Geschlecht selbst führe zu Leistungsdifferenzen, sondern der Umgang mit selbigem. Das Bildungssystem (ebenso wie die Entscheidung über die Berufswahl) beruhe noch immer auf Stereotypen, auf Vorurteilen. Die Folge: Die Schule „fördere“ die Geschlechter auf unterschiedliche Weise, und das nicht zu deren Vorteil. Geringe Leistungsunterschiede nehmen so im Laufe der Schulkarriere zu.

Siehe Mathematik: Der Vorsprung, den Buben später haben, zeichnet sich am Ende der Volksschulzeit noch nicht ab. Genauso ist es mit dem Lesevorsprung bei Mädchen. Bei „allgemeiner Problemlösung“ sind Mädchen übrigens ähnlich gut wie Buben. Bei mathematischen Fragestellungen verlasse sie dann aber der Mut, sagen die Experten.

Lösungsansätze für dieses Problem gibt es eine ganze Menge. Einige Bildungsexperten fordern seit Jahren ein teilweises Ende der sogenannten Koedukation. In Österreich wurde der gemeinsame Unterricht für Mädchen und Buben in den 1970er-Jahren eingeführt. Während der Pubertät könne der Lehrer im getrennten Unterricht – etwa in technischen Fächern oder in Sexualkunde – jedoch besser auf die Geschlechterdifferenzen eingehen, so die Annahme. Ein oft diskutierter Vorschlag, der in Österreich bis heute nur als Schulversuch existiert.

Oder gibt es tatsächlich geschlechtsspezifische Defizite, die man mit einem getrennten Unterricht sogar zementiert, wie manche Experten befürchten? Sie wollen lieber einen bewussteren Umgang mit den unterschiedlichen Bedürfnissen. So auch die Studienautoren der OECD, die von den Lehrern fordern, das „Selbstbewusstsein der Schüler zu stärken“. Ein Prozess, der jedoch nur mithilfe des „sozialen Umfeldes“ erfolgreich ist. Denn: Dass die alte Kulturtechnik Lesen doch etwas für Buben ist, das müssten vor allem die Eltern ihren Söhnen vermitteln.

AUF EINEN BLICK

Auf das Leben vorbereitet? Unter dem Titel „Equally prepared for life?“ verglich die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) Bildungschancen von Buben und Mädchen. Das Ergebnis: Die alten Stereotype gelten weiter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2009)

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