Bildungsreform: Gesamtschule, Erwin Pröll und das liebe Geld

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Wird es einen Schulversuch zur Gesamtschule in allen Wiener Bezirken geben? Bis zum morgigen Abgabetermin der Reform ist noch einiges offen.

Die Regierung wird wohl ihre selbst gesetzte Frist einhalten und morgen, Dienstag, eine Bildungsreform präsentieren. Die Verhandlungen dazu sollen bis zuletzt geführt werden, heißt es. Die heißen Eisen sind dabei nicht nur die Verwaltung der Lehrer, sondern auch Modellregionen für die Gesamtschule.

Bei der Lehrerverwaltung komme enormer Druck auch von Erwin Pröll in Niederösterreich - obwohl der gar nicht am Verhandlungstisch sitzt und die Verhandlergruppe eigentlich verlassen hat, wie das Ö1-Morgenjournal berichtet. Ein Kompromiss könnten demnach sogenannte Bildungsdirektionen sein, in denen Bund und Länder zusammenarbeiten. Aber: Wer würde diese künftig leiten? Die Länder signalisierten bereits, dass an dieser Frage die Reform scheitern könnte. Dies taten sie offenbar auch gestern wieder.

Gesamtschule in ganz Wien?

Spannend ist jedenfalls auch diese Frage: Inwiefern wird Wien zur Modellregion für die gemeinsame Schule der Zehn- bis 14-Jährigen? Sprich: Könnte die Gesamtschule in allen Wiener Bezirken realisiert werden? Im Interview mit der "Presse" sagte Wiens neuer Stadtschulratspräsident Jürgen Czernohorszky: "Was wir uns von der Reform auch erhoffen, ist - wie bereits bekannt - die Möglichkeit einer wienweiten Modellregion für die Gemeinsame Schule."

Wiens Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) setzt sich für Modellregionen ein - und brachte das Thema vergangene Woche erneut aufs Tapet. Aber auch ÖVP-Politiker können Modellregionen etwas abgewinnen, Günther Platter in Tirol etwa oder auch sein Salzburger Kollege Wilfried Haslauer. Vor allem Tirol und Vorarlberg drängen auf die Möglichkeit, echte Modellregionen zu schaffen. 

Bislang können einzelne Bundesländer nicht einfach eine Modellregion für die Gesamtschule einführen. Da gibt es einige rechtliche Hürden. Denn wenn ein Bundesland die Gesamtschule als Schulversuch einführen will, müssen an jedem teilnehmenden Schulstandort je zwei Drittel der Lehrer und Eltern zustimmen. Außerdem darf bundesweit kein Schulversuch an mehr als zehn Prozent der Gymnasien stattfinden, an denen es für einen Gesamtschulversuch Veränderungen geben müsste. Eine Lösung dafür, die Tirol und Vorarlberg seit Längerem einfordern: eine Änderung der Gesetze auf Bundesebene mit Zweidrittelmehrheit im Parlament.

Die Verhandler

Die Gruppe ist zur Hälfte aus SP-und VP-Vertretern und zu gleichen Teilen aus Regierungsmitgliedern und Landeshauptleuten besetzt: Auf SPÖ-Seite gehören ihr Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek und Kanzleramtsminister Josef Ostermayer, der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser und der Wiener Bürgermeister Michael Häupl an.

Aufseiten der ÖVP verhandeln Tirols Landeshauptmann Günther Platter, Staatssekretär Harald Mahrer, Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer gegenüber.

Beim Thema Schulautonomie dürfte es jedenfalls eine Einigung geben. Hier geht es etwa um die finanzielle, personelle und pädagogische Eigenständigkeit der einzelnen Schulen. Details, auf die sich die Verhandler geeinigt haben dürfen, wurden schon im Vorfeld bekannt.

Lehrerverwaltung: Wer hier wie rechnet

Ganz anders bei der Frage, wer künftig die Lehrer verwalten soll: Bund oder Länder. Wenn es um die Kosten der Schulverwaltung geht, hat jeder seine ganz eigene Wahrheit: Die Befürworter einer Verländerung halten diese für die günstigste Variante, die Gegner sprechen von der teuersten. „Die Presse“ hat sich die unterschiedlichen Berechnungen genauer angeschaut.

Das Bildungsministerium geht davon aus, dass die komplette Verwaltung der Schulen durch die Länder rund 470 Millionen Euro pro Jahr teurer wäre als in Bundesverwaltung. „Der Presse“ liegen die Details dazu vor. Das Bildungsressort berechnete sechs verschiedene Verwaltungsvarianten: von einer Übernahme der gesamten Verwaltung durch den Bund (unmittelbare Bundesverwaltung) bis hin zu einer reinen Verwaltung durch die Länder (mittelbare Bundesverwaltung).

Landesposten teurer als Bundesposten

Würde der Bund die Aufgabe komplett übernehmen, käme das laut Ministerium rund 220 Millionen Euro billiger als bisher. 112 Millionen Euro würde man sich allein deshalb sparen, da die Länder den Stellenplan nicht mehr überziehen und damit nicht mehr Lehrer als vereinbart einsetzen könnten. Weitere 77 Millionen Euro würde man sich durch die „Effizienzsteigerung der Landeslehrer“ sparen (ein Landesposten ist laut Ministerium teurer als ein Bundesposten) und 27 Millionen Euro durch Einsparungen bei den Pensionen.

Würden die Länder die komplette Verwaltung übernehmen, dann würde das laut Ministerium 250 Millionen Euro mehr kosten als bisher. Die Überziehung des Stellenplans würde 90 Millionen Euro kosten, der Effizienzverlust bei den Landeslehrern 77 Millionen Euro und jener bei den Bundeslehrern 48 Millionen Euro.

IHS gegen schwarz geführten Bundesländer

Zahlen, die sowohl die Grünen als auch das Institut für Höhere Studien (IHS) nachvollziehen können. Nicht aber die schwarz geführten Bundesländer bzw. das Institut für Föderalismus. Letzteres hält die Ministeriumszahlen für „in höchstem Maße unseriös“. Die Personalkosten der klassische Schulverwaltung – also die Kosten, die rein durch die Beamten, die am Schreibtisch sitzen, entstehen – würden insgesamt nur 120 Millionen Euro ausmachen. Einsparungen von mehreren hundert Millionen Euro seien somit gar nicht möglich.

Auch der mit 90 Millionen Euro Einsparung bezifferte größte Brocken, die Überziehung der Stellenpläne durch die Länder, wird bestritten. Diese sei durch zu wenige Bundeslehrer für die Neuen Mittelschulen (weswegen Landeslehrer eingesetzt werden), die Vorgabe einer fixen Maßzahl für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf (trotz höherer realer Zahl) sowie die Senkung der Klassenschülerhöchstzahl von 30 auf 25 bedingt.

Das Institut für Föderalismus sowie die Salzburger Landesregierung sehen in einer Verländerung der Schulverwaltung ein Einsparungspotenzial von mindestens 20 Millionen Euro im Jahr. Auch dazu gibt es Modellrechnungen. Allein die Abschaffung der Landesschulräte und die Übernahme der Schulverwaltung durch die Länder bringe zehn Millionen Euro. Hinzu kommen drei Millionen durch den Wegfall der Leitungsfunktionen in den Landesschulräten, 3,6 Millionen Euro durch Personaleinsparungen im Ministerium und 2,3 Millionen Euro durch eine Vereinheitlichung der Abbrechnung der Lehrerbezüge.

(j.n./ Red.)

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