In langen Nächten zum digitalen Unterricht

Beim Quiz am Anfang der Mathematikstunde scannt Michael Fleischhacker die Antworten der Kinder ab. Für seinen Digitaleinsatz hat er unlängst den zweiten Platz beim IV Teacher's Award bekommen.
Beim Quiz am Anfang der Mathematikstunde scannt Michael Fleischhacker die Antworten der Kinder ab. Für seinen Digitaleinsatz hat er unlängst den zweiten Platz beim IV Teacher's Award bekommen.(c) Katharina Fröschl-Roßboth
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An seiner NMS hat der Lehrer Michael Fleischhacker den Unterricht umgedreht. Und bastelt dafür eigene Lernvideos.

Wien. „Jaaaa! Ohhhh“, geht es durch die 1B, als Michael Fleischhacker auf sein Handy tippt. Die Hälfte der gut zwanzig Zehnjährigen in der NMS Kinzerplatz in Floridsdorf hat die Quizfrage richtig beantwortet: „Häufigkeit ist... die Summe aller gezählten Positionen einer Einteilung.“ Nächste Frage: „Wo gilt das Vertauschungsgesetz?“ Als Antwort hält jedes Kind ein laminierte Karte mit einem QR-Code hoch. Je nachdem, welche der vier Möglichkeiten es für richtig hält, zeigt die mit A, B, C oder D markierte Seite nach oben. Fleischhacker scannt sie vom Pult aus mit dem Handy, ein Programm bastelt daraus eine Balkengrafik und färbt die richtige Antwort auf Knopfdruck grün ein. In diesem Fall sind es sogar zwei: Addition und Multiplikation. „3 mal 4 ist 12. Und 4 mal drei? Auch.“

Es ist die digitalisierte Version der klassischen Stundenwiederholung. Auch ohne einzelne Schüler vor die ganze Klasse zu holen, weiß der Lehrer dabei, wer den Stoff verstanden hat und wer nicht: Die QR-Codes sind personifiziert, das Programm spuckt am Ende aus, wie gut Nour, Ana, Sarah oder Samed jeweils abschneiden. Fleischhacker ist ein Vorreiter beim Einsatz digitaler Medien, und das an einer Schule mit vielen Migrantenkindern und sozial Schwachen. Wobei man das Revolutionärste gar nicht sieht: die Idee des Flipped Classroom. Statt in der Schule neues Wissen zu vermitteln, das die Schüler zu Hause alleine üben, schauen sie zu Hause kurze Lernvideos mit neuen Stoffgebieten an – und in der Schule ist Zeit, um Wissen zu vertiefen und Fragen zu beantworten.

„Ich wollte mehr Zeit mit ihnen haben“, sagt der 34-Jährige, der zuvor als Tischler und im Sozialbereich gearbeitet hat. Beim klassischen Unterricht komme oft die Selbstständigkeit zu kurz. Auch die schnelleren Schüler hätten ihm leid getan, weil für sie zu wenig Zeit geblieben sei. „Das hat für mich nicht zusammengepasst“, sagt er. „Daher bin ich auf die Suche nach einem Modell gegangen, bei dem jeder kriegen kann, was er braucht.“ Als er vor gut drei Jahren als Lehrer startete, fing er an, zu experimentieren. Er machte erste Lernvideos für Geometrisches Zeichnen, dann auch für Mathematik. „Da bin ich nächtelang gesessen“, erzählt er. „Diese Videos auf Youtube zu stellen ist am Anfang sehr peinlich“, sagt er. „Denn das sind keine guten Videos. Aber sie sind zweckmäßig.“

Vom Video ins schlaue Buch

Mehrere Dutzend Videos sind aktuell auf dem Youtube-Channel „FLIPP den Fleischhacker“ zu finden, von dem ein Comic-Lehrer mit verkehrtem Klassenzimmer herunterblickt. In 5:28 Minuten gibt es in einer Art Powerpoint-Video mit Äpfeln und live ausgefüllten Tabellen eine Rechenanleitung für die Substraktion, in 5:52 Minuten wird per gefilmtem Geodreieck der Seiten-Seiten-Winkelsatz erklärt. 4:04 Minuten dauert das Video zur Datenerhebung und Darstellung – das sich die Schüler beliebig oft ansehen können. „Hallo und herzlich willkommen bei ,Flipp den Fleischhacker‘“, geht es los. „Heute möchten wir uns wieder in ein neues mathematisches Thema stürzen.“

„Es dauert eine Zeitlang, bis die Kinder verstehen, dass die Videos wirklich ihre Hausaufgabe sind“, sagt Fleischhacker. „Aber dann machen das mehr Schüler.“ Die wichtigsten Punkte notieren sie zu Hause in ihrem „schlauen Buch“ und beantworten online einige Quizfragen. In der folgenden Mathematikstunde schätzen sie ein, ob sie zu Anfängern, Mittelgruppe oder Experten gehören – und bekommen vom Lehrer entsprechende Übungen. Heute sind diese wieder digital: Die Schüler scannen QR-Codes und bekommen Videos von Minecraft-Welten, in denen sie Tiere in verschiedene Kategorien einteilen und in einer Tabelle darstellen.

Gearbeitet wird stets mit der Hardware, die am ehesten verfügbar ist: mit dem Smartphone, in Zweiergruppen. Haben zwei Schüler kein Telefon, bekommen sie für die Stunde ein Tablet. Zu Hause nutzen die Schüler ebenfalls das Handy, den Computer oder das Smartphone der Eltern für die Videos. Wer kein Internet (mehr) hat, bekommt die Videos per USB-Stick.

Selbstverständlich ist es nicht, dass die nötige Infrastruktur vorhanden ist – weder zu Hause noch in der Schule: Immerhin ist die Klientel der NMS Kinzerplatz nicht die finanzkräftigste. „Wir sind eine sogenannte Brennpunktschule“, meint Schulleiter Werner Schuster. Das Projekt des Bildungsministeriums, durch das 20 Tablets und ein W-Lan-Cube für starkes Internet vorhanden sind, läuft Ende des Jahres aus. Die Schule hat dafür inzwischen Microsoft als Partner gewonnen, was neue Tablets bringt. Schuster, seit knapp drei Jahren Direktor, steht voll hinter dem Digitalisierungsprojekt. Er wünscht sich, dass noch mehr Kollegen mitziehen. Ganz alleine steht Fleischhacker aber auch jetzt schon nicht da: Ein Kollegen arbeitet sehr intensiv mit, andere Lehrerinnen und Lehrer nutzen die Videos, die schon im Vorjahr für die zweite Klasse erstellt wurden, für ihren Unterricht.

Auch, wenn es mitunter hakt – wo ist die Fernbedienung? Warum klappt es mit dem Sound nicht? Und warum springt bei einer Schülerin das Internet nicht gleich an? – sind die Schüler zufrieden. „Weil das mit Technik ist, und ich mag Technik“, sagt etwa Yousef aus der 1A, die in Mathematik wie die 1B ebenfalls nach dem Flipped-Classroom-Prinzip unterrichtet wird. „Es ist besser als die altmodische Art.“

Zur Person

Michael Fleischhacker (34) – die Namensgleichheit mit dem Journalisten ist rein zufällig – ist ein Vorreiter, wenn es um den Einsatz digitaler Medien in der Schule geht. An der NMS Kinzerplatz in Floridsdorf – einer klassischen Brennpunktschule – setzt der as Flipped-Classroom-Konzept um. Im Oktober wurde er dafür mit dem Teacher's Award der Industriellenvereinigung ausgezeichnet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2017)

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