Pädagogen werden laut Lehrergewerkschaft von ihren Schülern teilweise attackiert, beschimpft und im Internet gemobbt. Wie viele Fälle es wirklich gibt, ist schwer zu eruieren. Lehrer orten eine hohe Dunkelziffer.
Wien. Lehrer schlagen Alarm: Pädagogen würden immer öfter von ihren Schülern angegriffen – verbal und auch körperlich. „Das Phänomen wächst – und zwar quantitativ wie qualitativ“, schildert der oberste Pflichtschullehrervertreter, Paul Kimberger, im Gespräch mit der „Presse“. Es gehe dabei um körperliche Attacken, um Beschimpfungen, um Cybermobbing: „Da wird die ganze Bandbreite bespielt.“
Die „Kronen Zeitung“ hat zuvor unter Berufung auf die Lehrergewerkschaft von verschiedensten Fällen berichtet: von einem Schüler, der seine Lehrerin an den Haaren zu Boden riss, oder von einem anderen, der die Tafel so heftig zuschlug, dass er der Pädagogin zwei Finger brach. Auch Zahlen wurden genannt: 1600 Strafanzeigen soll es laut inoffiziellen Informationen der Polizei allein im Vorjahr an Wiener Schulen gegeben haben. Eine Zahl, die die Wiener Polizei gegenüber der „Presse“ jedoch weder bestätigen noch nachvollziehen kann. Die Statistik sei so gar nicht auswertbar.
Laut Lehrervertreter Kimberger sind im Vorjahr rund 70 „gravierende Fälle“ bei der Gewerkschaft gelandet. Dabei handle es sich um Attacken, bei denen Gefahr im Verzug gewesen sei, bei denen auch die Polizei und die Behörden eingeschaltet wurden. Wie oft das in den Jahren davor passiert ist, hat er nicht parat. Aber die Zahl der Fälle, für die die Lehrergewerkschaft zu Hilfe gerufen werde, steige tendenziell. „Die Ereignisse, die durch die Medien gegangen sind, sind jedenfalls bei Weitem keine Einzelfälle“, sagt Kimberger.
Schlag in die Magengrube
Beleidigung sei für die verbalen Attacken mancher Schüler ein sehr harmloser Begriff, sagt Kimberger. Bisweilen würden Drohungen gegenüber Lehrern ausgesprochen. Im Internet würden Lehrer gemobbt, bis hin zu Rufschädigung: So würden etwa Unterrichtssequenzen mitgefilmt und verfremdet. Und es gebe auch körperliche Gewalt, Kimberger schildert etwa den Fall einer Lehrerin, die einen so heftigen Schlag in die Magengrube bekam, dass sie im Krankenhaus behandelt werden musste.
„Was mir sehr große Sorgen macht, ist, dass es sicher eine große Dunkelziffer gibt, die da dahinterliegt“, sagt der Gewerkschafter. Über viele Vorfälle wisse man gar nicht Bescheid, weil sie der Lehrergewerkschaft gar nicht mitgeteilt würden. Wohl auch, weil sie den Lehrerinnen und Lehrern mitunter unangenehm seien, wie er meint. „Ich kann nur allen Lehrern raten, sich sofort an die Gewerkschaft zu wenden, falls etwas passiert.“
Diesen Appell gibt es auch vom Stadtschulrat, wiewohl man dort prinzipiell keinen Anstieg an Anfragen wegen aggressiven Verhaltens gegen Pädagogen ortet. Konkrete Zahlen gibt es keine; Wenn etwas erfasst wird, dann nach einer Anzeige und von der Polizei, heißt es aus dem Stadtschulrat zur „Presse“. Gibt es Vorfälle, sollen sich Lehrer aber unbedingt melden, sagte Stadtschulratspräsident Heinrich Himmer (SPÖ) im ORF.
„Wenn man das Gefühl hat, man kann sich an niemanden wenden oder man traut sich nicht, dann wenden Sie sich bitte zumindest an mich“, sagt Himmer. „Ich kann versprechen, dass Dinge vertraulich unter vier Augen passieren.“ Dann finde man auch eine Lösung. Außerdem sollen Schulen bei Problemfällen zusätzliche Psychologen und Sozialarbeiter anfordern können – mehr Unterstützung ist eine der Kernforderungen der Lehrer, neben eigenen temporären Klassen für Problemschüler und Sanktionen für Eltern, die in solchen Fällen nicht kooperieren.
Im Bildungsministerium verweist man auf den geplanten bedarfsgerechten Einsatz von Unterstützungspersonal wie Sozialarbeiter und Schulpsychologen und auf zahlreiche auch neue Initiativen zu Gewaltprävention. Zahlen zu Vorfällen gibt es auch hier nicht, man habe aber auch keine Evidenzen, dass die Aggression an Schulen zuletzt signifikant gestiegen sei.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2018)