Ziffernnoten sagen wenig aus, alternative Beurteilung hat auch Tücken

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Noten von "Sehr gut" bis "Nicht genügend" beschreiben weniger Leistung als Anpassungsfähigkeit. Bei verbaler Beurteilung können aber Missverständnisse entstehen.

Ziffernnoten sagen wenig über das Leistungsniveau und viel darüber aus, wie Schüler mit den Spielregeln und Verhaltensnormen von Schule zurechtkommen, sagt Bildungsforscher Bernhard Hemetsberger von der Uni Wien. Alternative Beurteilungen seien als Rückmeldung für Schüler aussagekräftiger. Sie müssten jedoch auch für Eltern mit niedrigem Bildungsniveau verständlich sein, betonen NGOs.

Kinder mit anderen kulturellen Hintergründen und Erstsprachen haben laut Hemetsberger oft mehr Schwierigkeiten, sich an das soziale Setting Schule anzupassen, als Kinder aus sogenannten bildungsnahen Familien. "Das macht es politisch scheinbar relativ einfach, mittels Schulnoten diese Differenz zu markieren. Wenn man noch eines draufsetzt, indem man Sitzenbleiben kann oder Schüler ausschließen kann, kann man damit Sozialpolitik betreiben", sagt der Wissenschafter mit dem Forschungsschwerpunkt Notengebung.

Die Ziffernnoten würden auch nicht dazu führen, dass Eltern einen besseren Eindruck bekommen, wo ihr Kind steht. "Isolierte Bezeichnungen helfen niemandem wirklich weiter, außer dass vielleicht einmal das Geldtascherl der Oma aufgeht, wenn man einen Einser bekommt." Soll eine Leistungsbeurteilung sinnvoll sein, müssten Kinder und Eltern mit der Rückmeldung gemeinsam mit der Schule produktiv weiterarbeiten können.

Gespräche Kind, Eltern, Lehrer

Als Beispiel nennt der Forscher die an Neuen Mittelschulen (NMS) üblichen und künftig auch an anderen Pflichtschultypen vorgesehenen Kind-Eltern-Lehrer-Gespräche (KEL-Gespräche). Ausgangspunkt dabei ist eine Präsentation des Kindes (z.B. Lernportfolios oder -tagebücher), als Abschluss wird von allen eine schriftliche Zielvereinbarung unterschrieben. Das Ziel: mehr Zuversicht und Verantwortung der Schüler für ihr Lernen und bessere Kommunikation zwischen Schule und Elternhaus.

Alternative Methoden der Leistungsbeurteilung sind allerdings nicht uneingeschränkt die bessere Methode. "Wenn Rückmeldungen in einer Art und Weise an Eltern herangetragen werden, die ihren Lebenszusammenhängen eher ferner stehen oder vielleicht auch schwierig zu verstehen sind, könnte ein gewisses Missverständnis oder sogar Unverständnis bedient werden", so Hemetsberger.

Schwierig für Benachteiligte

Diese Erfahrung hat man auch bei Romano Centro gemacht, einem Verein, der jedes Jahr über 100 Roma-Kinder aus Familien mit niedrigem Bildungsniveau betreut. Problematisch ist aus Sicht des pädagogischen Leiters Ferdinand Koller vor allem die sogenannte "Leistungsbeurteilung im Gespräch" ohne jegliche Niederschrift.

Vielfach werden diese Gespräche ohne Dolmetscher geführt und die Eltern bekämen deshalb wenig mit. Zusätzlich würden sie oft nur das hören, was sie auch hören wollen - "nämlich dass die Kinder eh brav sind" - und folglich den Ernst der Lage nicht erkennen. Hier wäre aus Kollers Sicht der Einsatz von Dolmetschern oder interkulturellen Mediatoren, wie Romano Centro sie stellt, sinnvoll. Allerdings gebe es zu wenige, um den tatsächlichen Bedarf zu decken.

Auch verbale Benotung auf dem Zeugnis in wertschätzender Sprache, die an den Schüler adressiert ist, eigne sich nur bedingt, um Eltern mit wenig Bildungserfahrung über die Leistungen der Kinder zu informieren. "Wenn bei einem Kind in der zweiten Klasse steht: 'Übe im Sommer noch die Buchstaben', ist jedem, der den Volksschullehrplan kennt, klar, dass das eine absolute Katastrophe ist." Wenn dies allerdings den Eltern nicht eindeutig kommuniziert werde, seien Ziffernnoten "fast besser. Denn wenn ein Fünfer drinnen steht, sehen sie, was Sache ist."

Das sei allerdings keineswegs als grundsätzliches Plädoyer für Ziffernnoten zu verstehen, betont Koller. Wesentlich hilfreicher und verständlicher seien zum Beispiel Arbeitsmappen, in denen etwa mit Smileys das Niveau des Kindes in den diversen Teilgebieten ausgewiesen wird. "Da können die Eltern selbst verstehen, ob es Förderbedarf gibt."

Kommunikation mit Eltern

Auch bei der Diakonie hat man mit Leistungsrückmeldung in Form von Leistungs- und Lernzielmappen gute Erfahrungen gemacht. "Das verstehen alle Eltern", so Sozialexperte Martin Schenk. Klar sei aber auch: "Wenn Eltern Noten gewohnt sind und die Arbeiten des Kindes nicht verstehen, dann müssen die Pädagogen erstens in Kommunikation mit den Eltern investieren und zweitens Formen des Feedbacks entwickeln, die verständlich sind."

Er warnt außerdem grundsätzlich davor, die Entscheidung, ob das Kind Nachhilfe braucht, der Familie zu übertragen. "Die pädagogische Förderarbeit haben die Pädagogen zu machen, das hilft gerade den Kindern aus einkommensschwächeren Haushalten ." Lehrer könnten dem Kind etwa - in Absprache mit den Eltern - ein Lerncafé oder Nachhilfeinstitut nahelegen.

Sinnvolle Begleitmaßnahmen bei der alternativen Leistungsrückmeldung wären aus Schenks Sicht neben Dolmetschern etwa eine schriftliche Zusammenfassung auf einer A4-Seite. Die Ausweitung der KEL-Gespräche sieht er ebenfalls als Chance, den Eltern sinnvolle Rückmeldung darüber zu geben, was ihr Kind kann und wo es Unterstützung braucht - vorausgesetzt, die Lehrer seien dafür entsprechend ausgebildet.

Kinder verlieren Freude

Ziffernnoten stehen für Schenk in den ersten Volksschuljahren im Widerspruch zu entwicklungspsychologischen Erkenntnissen. Kinder können da noch schwer zwischen sich selbst als Person und der Note unterscheiden, was dazu führt, dass die Sechsjährige sich selbst als "Nicht Genügend" sieht, nicht ihre Rechenleistung. Die Schüler würden dadurch auch sofort auf das Ziel konditioniert, einzig für die Note zu arbeiten. "Was Kinder dann als erstes verlieren, ist die Freude und noch problematischer fürs Lernen: die Neugier." Studien würden außerdem belegen, dass Ziffernnoten stark vom jeweiligen sozialen Status von Lehrer und Schüler abhängig sind.

(APA)

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