Der schiefe Test von PISA

schiefe Test PISA
schiefe Test PISA(c) Michaela Bruckberger
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Angst vor dem Absturz. Sind die Leistungen der heimischen Schüler wirklich so bedenklich, oder leidet der PISA-Test selbst an methodischen Schwächen?

Österreich wird in der nächsten PISA-Studie schlecht bis katastrophal abschneiden, so die Befürchtung in der Bildungsszene. Offiziell präsentiert werden die Ergebnisse der von der OECD durchgeführten PISA-Testreihe vom Frühjahr 2009 erst am 7. Dezember. Der Schwerpunkt bei den jüngsten Tests lag auf dem Lesen, bei dem die österreichischen Schüler schon bisher unterdurchschnittlich abschnitten. Auch bei der Mathematik und der Naturwissenschaft schlossen die 15- und 16-Jährigen mäßig ab – weit hinter dem Spitzenreiter Finnland. 2009 nahmen weltweit 67 Länder an PISA – dem „Programme for International Assessment“ – teil.

Doch so schlecht seien Österreichs Schüler im internationalen Vergleich gar nicht, argumentieren Kritiker: Mehrere Aspekte würden das Ergebnis verzerren.

1Die Auswahl der Aufgaben

beeinflusst das Ergebnis

PISA fragt nur einen kleinen Bereich der Wissensgebiete ab – geprüft werden kann nur, was auch in allen Ländern gelehrt wird. Nationale Besonderheiten und Schwerpunkte in Lehrplänen, regionale und kulturelle Unterschiede könnten nicht berücksichtigt werden, sagt Stefan Hopmann, Bildungsforscher an der Uni Wien: „Bei der Erstellung der Testfragen muss die OECD möglicherweise genau das wegschneiden, was das bessere Abschneiden eines Landes bei PISA ermöglichen würde.“

2Sprachliche Mängel erschweren das Verständnis von Fragen

Insbesondere der PISA-Testsieger Finnland habe eine höhere Lesekultur als andere Länder, so Hopmann. Und: PISA sei ein „kleiner Sprachtest“. Die Schüler würden in Mathematik und den Naturwissenschaften oft an ungewöhnlichen Formulierungen scheitern – nicht am Fachwissen. Anders sieht das Bildungspsychologin Christiane Spiel: Die Übersetzungen seien gezielt geprüft, ein schlechteres Abschneiden sei deshalb unwahrscheinlich.

3Testmethoden sind für die Schüler unterschiedlich vertraut

PISA setzt zum Teil auf offene, zu einem Großteil aber auch auf Multiple-Choice-Fragen, bei denen die Schüler aus Alternativen die richtige Lösung wählen müssen. An Schulen in den USA oder in Großbritannien sind Multiple-Choice-Fragen gängig, in Deutschland oder Österreich sind sie unüblich – den Schülern könnten daraus Nachteile erwachsen. Ähnliche Kritik wird in Österreich immer wieder an Uni-Aufnahmetests laut. PISA-Österreich-Chef Günter Haider widerspricht: Die bisherigen Tests hätten belegt, dass Österreichs 15-Jährige gut mit Multiple Choice zurechtkommen.

4Auswahl der am Test teilnehmenden Schüler

In Österreich fallen auch Berufsschüler in die Gruppe der 5000 Schüler, die für PISA getestet werden. Kritiker sagen, das würde das Ergebnis drücken. In vielen Ländern gibt es Berufsschulen oder andere Schultypen, in denen tendenziell „Leistungsschwache“ zusammengefasst werden, gar nicht. Günter Haider verweist diesbezüglich aber eher auf die Kinder von weniger gebildeten Migranten, die (nicht nur bei PISA) schlechter als Einheimische abschneiden.

5Die Wertschätzung von Leistung ist ausschlaggebend

Schulische Leistung ist in der österreichischen Gesellschaft weniger anerkannt als in anderen Ländern. Generell herrsche in anderen Ländern ein bildungsfreundlicheres Klima. Wer in Österreich Leistung erbringe, gelte rasch als „Streber“, sagt Spiel. Schüler nehmen PISA-Tests mitunter weniger ernst als ihre asiatischen Kollegen. Wenn es keine Noten gebe, strengten sie sich weniger an, so die Vermutung. Beim 2009 durchgeführten Test drohten zudem Teile der Lehrergewerkschaft und die Bundesschülervertretung mit Boykott.

6Migranteneffekt spiegelt sich in Ergebnissen deutlich wider

In Österreich schneiden Migrantenkinder traditionell schlecht ab. In Regionen oder Bezirken, in denen es kaum Migranten gibt, sind die Ergebnisse deutlich besser – sogar ähnlich gut wie in Finnland. Die Leistungsschwankungen innerhalb eines Landes sind zum Teil enorm. Westösterreich gilt insgesamt als besser als Wien. Städte über 100.000, aber unter einer Million Einwohner sind ebenfalls nachweislich besser als Wien. Die OECD argumentiert aber, dass der höhere Migrantenanteil keine Ausrede für schlechte Ergebnisse sein könne: Global gebe es keinen Zusammenhang zwischen Migrantenanteil und Bildungserfolg, hieß es 2007 anlässlich der Studie.

7Keine Aussagen über Qualität von Schule und Lehrern

PISA lässt nur bedingt einen Schluss auf die Leistung des nationalen Schulsystems zu. Die Aussagekraft steigt, je näher der Test an die Lehrpläne eines Landes angelehnt ist. Viel stärker ins Gewicht fallen oft sozialer Hintergrund sowie kulturelle und sprachliche Unterschiede. Rückschlüsse auf optimale Schulformen, gute didaktische Formate und bestimmte Typen von Lehrerbildung könne man nicht ziehen. „Als Hilfsmittel für die Politik taugt der Test nicht“, so Hopmann. Ein Rat, den man in Österreich nicht befolgen wird: Bereits jetzt bringen sich Landeschefs und Ministerin für Auseinandersetzungen in Stellung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2010)

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