Bifie-Direktor: "PISA für machtpolitische Spiele genutzt"

BifieDirektor PISA fuer machtpolitische
BifieDirektor PISA fuer machtpolitische(c) Clemens Fabry
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Das Bifie-Institut führt in Österreich den PISA-Test durch. Direktor Lucyshyn kritisiert die fehlende Reformbereitschaft in der Bildungspolitik und fordert eine Aufwertung der Lehrerausbildung.

Die Presse: Die anstehende Veröffentlichung des PISA-Tests sorgt seit Tagen für Aufregung. Zu Recht?

Josef Lucyshyn: Ich verstehe überhaupt nicht, warum sich die Leute aufregen. Das Bifie (Bundesinstitut für Bildungsforschung) hat den Test für die OECD gemacht und ausgewertet. Veröffentlicht werden die Ergebnisse erst am kommenden Dienstag, sie sind also noch nicht bekannt. Die Aufregung kann nur einen Grund haben: Es werden bereits vorab Dinge kolportiert, um politisch den einen oder anderen in Misskredit bringen.

Können die Aussagen des Tests überhaupt eine seriöse Grundlage für bildungspolitische Reformen sein?

Wenn ich mir die Medien-Berichte ansehe, wird PISA bei dem bestehenden bildungspolitischen Klima nicht für bildungspolitische Reformen genutzt, sondern für machtpolitische Spiele. Auch in den Vorjahren wurden die Erkenntnisse, die wir aus PISA gewonnen haben, in Österreich nur ungenügend berücksichtigt. Andere Länder haben Konsequenzen gezogen und sich verbessert. Wenn Politiker internationale Studien in Auftrag geben, sollte man eigentlich die Bereitschaft erwarten, auf die Ergebnisse nicht nur mit Abwehrhaltung zu reagieren.

Innenpolitisch wird vor allem über die Lehrerkompetenzen diskutiert. Ist das unser größtes Problem?

Es ist ein Problem, aber nicht unser größtes. Wesentlich schlimmer ist, dass es Österreich im Gegensatz zu anderen Ländern nicht gelingt, die Schere zwischen guten Schülern und jenen, die schlechte Performanzen zeigen, zu schließen. Der Anteil jener Gruppe, die später schwer beschäftigungsfähig ist, wird größer. Das ist nicht nur ökonomisch ein Wahnsinn, sondern auch menschlich gesehen ein schlechtes Zeugnis für Österreich. Hier müssen wir investieren, damit mehr Menschen befähigt werden, beruflich und privat ein würdevolleres Leben zu führen.

Was also könnten wir uns von anderen Ländern abschauen?

Unser Problem ist sicher die Qualität des Unterrichts. Um das zu lösen, müssen wir die Lehrer in den Fokus nehmen und uns fragen, ob sie entsprechend ausgebildet sind.

Und sind sie richtig ausgebildet?

Größter Schwachpunkt ist die Uni. Die Lehrerausbildung ist dort das fünfte Rad am Wagen. Das zeigt die geringe Stundenanzahl an Didaktik und Pädagogik, mit der Lehrer in den Schulalltag entlassen werden. Es gibt keinen einzigen Lehrstuhl für Grundschuldidaktik oder für vorschulische Erziehung. Jedes Fach müsste zudem fachdidaktisch abgesichert sein, damit wir nicht nur auf der Praxissuppe dahinschwimmen.

An den PH wiederum wird die fehlende Fachausbildung kritisiert.

Die wissenschaftliche Grundierung dieser Institution fehlt. Es wurde bei der Umgründung von Pädagogischen Akademien in Hochschulen übersehen, den Forschungsanspruch sicher zu stellen.

Die neue Lehrerausbildung sieht vor, dass alle Lehrer an einer Institution ausgebildet werden. Eine gute Idee?

Das ist ein international erfolgreiches Modell. Ich habe in Toronto eine Lehrerbildungs-Uni besucht. Dort werden aller Lehrer, vom Kindergarten bis hin zur Sekundarstufe II, methodisch, didaktisch, diagnostisch, gruppendynamisch auf ihren Job vorbereitet. Anders als in Österreich dominieren hier Didaktik und Pädagogik, die fachwissenschaftliche Komponente kommt je nach Schultyp hinzu. Diese Lehrer sind nicht nur fachlich bestens ausgebildet, sondern haben auch das Methodenhandwerk, das Lehrer heute einfach brauchen.

Welche Methoden sind das?

Da geht es um Sprachkompetenz, interkulturelle Kompetenz, Teamfähikeit. Unsere Lehrer sind auch für den Umgang mit Heterogenität nicht gerüstet. Die Idee der homogenen Lerngruppen, die von der AHS-Lehrerschaft gepflogen wird, ist nur ein Mythos. Ich kann nicht für 20 Schüler in einer Klasse, die alle auf unterschiedlichen Levels sind, dasselbe aufbereiten. Das führt zur Demotivation. Den Großteil der Schüler „erwischen“ sie als Lehrer so gar nicht. Sie pflegen ein Mittelmaß, mehr nicht. Das kann nicht unser Anspruch sein. Heterogenität zu managen, ist eine Kunst.

Die AHS-Lehrer fürchten, ihren Ruf als Bestausgebildete zu verlieren, wenn künftig alle Lehrer gemeinsam ausgebildet werden.

Falls die AHS-Lehrer darunter leiden, sind sie zu bemitleiden. Es ist schlecht für das Image der Lehrer, abgestufte Abschlüsse zu haben. Wir müssen höchste Ansprüche an alle stellen, bereits und vor allem an Kindergartenpädagogen.

Künftig sollen nur noch jene unterrichten, die einen Master-Abschluss haben. Wer nur den Bachelor hat, wird für die Nachmittagsbetreuung eingesetzt.

Das ist mein einziger Kritikpunkt an der neuen Ausbildung. Wenn wir sehen, dass Millionen Euro für Nachhilfe ausgegeben werden, weil die Kinder aus dem Vormittagsunterricht Defizite haben, brauchen wir am Nachmittag, idealerweise in einer Ganztagsschule, mehr als nur teilgeprüfte Lehrer oder Aufsichtspersonen. Die Lehrer werden auch verkraften müssen, dass wir künftig mehr Psychologen oder Sozialhelfer an Schulen brauchen. Mit denen müssen sie kommunizieren.

Zur Person

Josef Lucyshyn leitet gemeinsam mit Günter Haider seit 2008 das Bifie (Bundesinstitut für Bildungsforschung). Zuvor war der Kärntner AHS-Direktor,Landesschulinspektor und Mitglied ministerieller Steuergruppen (etwa zur Schulreform). Das Bifie führt in Österreich für die OECD den PISA-Test durch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2010)

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