Schmied: "Herkunft zählt mehr als Talent"

Die SPÖ-Unterrichtsministerin kritisiert die heimische Integrationspolitik, fordert mehr Chancen für "Arbeiterkinder" und will nach den schlechten PISA-Ergebnissen "an allen Ecken handeln".

Nach dem Absturz Österreichs bei PISA: Wurden die Ergebnisse von der "negativen Stimmung" des Vorjahres beeinflusst - oder sind unsere Schüler tatsächlich so schlecht?
Wirklich beantworten werden wir diese Frage wohl nie können. Etwas genauer beurteilen können wir die Situation beim nächsten PISA-Test 2012. Da zeigt sich, ob es ein einmaliger Zacken nach unten bleibt oder ob es sich um einen Trend handelt. Faktum ist, dass wir einfach zu schlecht sind, und zwar in allen Bereichen. Wir dürfen ja mit den Ergebnissen in Mathematik und Naturwissenschaften als Industrieland auch nicht zufrieden sein.

Eine ganz naive Frage: Warum können denn die österreichischen Schüler so schlecht lesen?
Die Lesekompetenz ist ganz entscheidend von der Motivation der Schüler, aber auch vom Bildungsniveau der Eltern abhängig. Beim Lesen geht es ja nicht nur um die Technik, sondern auch um die Emotion und die Freude daran. Da müssen wir ansetzen. Ich verspreche mir hier sehr viel von Kunst- und Kulturpartnerschaften mit Schulen, bei denen Künstler und Autoren direkt mit den Schülern interagieren. Lesen muss wieder zum Erlebnis werden. Dafür benötigen wir auch motivierte Lehrer. Freude am Lernen kommt durch Freude am Lehren. Aber auch die Eltern sind wichtig. Bildung muss wieder als Wert anerkannt werden.

Wie kann man das von staatlicher Seite steuern?
Es muss uns gemeinsam gelingen, auf allen Ebenen zu vermitteln, dass die Zukunftschancen unserer Kinder entscheidend von der Bildung abhängen.

Rund 15 Prozent der Schüler verlassen das Bildungssystem mit so geringen Kentnissen, dass sie dauerhaft Probleme auf dem Arbeitsmarkt haben...
Das alarmiert mich besonders. Die Gruppe der Benachteiligten, der Risikoschüler wird immer größer. Das österreichische Bildungssystem ist seit Jahrzehnten so aufgebaut, dass aus Arbeiterkindern Arbeiter werden und die Herkunft mehr zählt als Talent. Wir schaffen den Chancenausgleich ganz schlecht.

Besonders schlecht haben die Migranten abgeschnitten. Ist das das Ergebnis der verfehlten Integrationspolitik in Österreich?
Österreich ist ein Zuwanderungsland. Um diese Tatsache haben wir uns eine Zeit lang herum gedrückt. Wir müssen das aber zur Kenntnis nehmen. In Wien wird bei 50 Prozent der Kinder zu Hause eine andere Sprache als Deutsch gesprochen. Alle diese Kinder bestimmen in zehn, 15 Jahren den Wohlstand unserer Landes. Wir dürfen daher keinesfalls in die „Ausländerfalle“ tappen, sonst verspielen wir die Chancen unseres Landes.

Wie können Maßnahmen ausschauen, die sich speziell an Migranten richten?
Ein erster Schritt war sicher das verpflichtende Kindergartenjahr. Ganz zentral ist auch die gesetzlich vorgesehene Deutsch-Förderung in den Pflichtschulen, von der Volksschule bis zu AHS-Unterstufe. Ohne gute Deutschkentnisse ist kein Bildungserfolg möglich.

Sind diese Maßnahmen tatsächlich ausreichend?
Im städtischen Bereich benötigen wir dringend Offensivmaßnahmen, also etwa verpflichtende Deutschkurse in den Pflichtschulen und am neuralgischen Punkt der Berufsbildenden Mittleren Schulen.

Die meisten Ihrer Reformen werden erst ab 2015 wirksam. Haben Sie es in den vergangenen Jahren verabsäumt, auch kurzfristige Projekte zu starten?
Wir müssen jetzt an allen Ecken handeln. Dazu benötigen wir auch den Mut zur Gleichzeitigkeit. Daher fordere ich auch den Wegfall der Zehn-Prozent-Grenze bei den Neuen Mittelschulen, die den Ausbau behindert.

PISA trifft keine Aussagen über die Leistungsfähigkeit einzelner Schultypen. Wie also argumentieren Sie in diesem Zusammenhang den Ausbau der Neuen Mittelschule?
Weil dieser Schultyp genau an den abgefragten Grundkompetenzen ansetzt. In Deutsch, Mathematik, Englisch arbeitet die Neue Mittelschule mit zwei Lehrern pro Klasse. Die Individualisierung wird groß geschrieben.

Wie wollen Sie die ÖVP überzeugen, dem Wegfall der Zehn-Prozent-Grenze zuzstimmen?
Mit steigendem öffentlichen Druck steigt auch die Chance auf Reformen. Wir haben schon einiges erreicht, was lange Zeit undenkbar war. Etwa das verpflichtende Kindergartenjahr oder ganztägige Schulformen. Auch das Abschaffen des Sitzenbleibens (das jetzt im Entwurf des ÖVP-BIldungspapiers enthalten ist, Anm.) war lange Zeit ein Tabu in der ÖVP. Es wird gelingen, mit den konstruktiven Kräften in der ÖVP voran zu kommen.

Zur Person

Claudia Schmied (51) ist seit 2007 Unterrichtsministerin. Davor war die SPÖ-Politikerin im Vorstand der Kommunalkredit. Schmied sorgte mit ihren Plänen zur Schulreform mehrfach für Verärgerung bei den Lehrervertretern und der ÖVP. Unstimmigkeit herrscht vor allem bei Gesamt- und Ganztagsschule sowie in der Frage der "Verländerung" des Schulsystems.

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