PISA-Chef Günter Haider über Mängel an der Volksschule als "Gesamtschule" und asiatische Vorreiter. In der Volksschule müsse noch mehr Verantwortung fürs Lesen übernommen werden, so Haider.
Die Presse: Österreich ist in allen drei PISA-Disziplinen abgerutscht. Beim Lesen liegt es auf Platz 31 von 34. Was muss die Politik kurzfristig tun?
Günter Haider: Leseförderung passiert bei den Eltern, aber auch im Unterricht und schon in Kindergärten. Das Geld muss aber endlich dort ankommen. Die Gruppen in den Kindergärten müssen kleiner werden, mit maximal 15 Kindern. Und die Volksschullehrer haben es mit sehr heterogenen Gruppen zu tun: Teils können Schulanfänger schon lesen, teils können sie kaum Deutsch. Hier braucht es Zweitlehrer und geteilte Gruppen.
Jeder dritte Bub kann mit 15 kaum lesen. Was könnte helfen?
Die Situation entsteht in der Volksschule. Und dort haben wir ja einen Gesamtunterricht mit Leseunterricht. Aber natürlich müsste auch dort noch mehr Verantwortung fürs Lesen übernommen werden. Pädagogisch überhaupt nicht akzeptabel ist, dass später, mit 13, 14 Jahren, alle schlechten Leser in der dritten Leistungsgruppe sitzen.
PISA-Neuling Shanghai hat alle in den Schatten gestellt. Was kann man von den Shanghai-Chinesen lernen?
Eines ist sicher: Die strengen sich richtig an. Das Bewusstsein, dass man durch Bildung vorankommt, ist in Asien viel stärker ausgeprägt.
Sind die Österreicher zu faul? Haben sie den Ernst der Lage verkannt?
Das will ich so nicht sagen. Wir haben auch Spitzenschüler. Aber es muss von der Gesellschaft Unterstützung für eine moderne Schule kommen. Weil Eltern etwa wegen ihres Berufs ihre Kinder oft nicht stark fördern können, brauchen wir rasch mehr Ganztagsschulen.
Organisation oder Inhalt: Was muss als Erstes reformiert werden?
Alles gleichzeitig, von der besseren Lehrerfortbildung bis zum Direktor, der einen schlechten Lehrer auch abziehen darf. Die gemeinsame Schule ist rasch umzusetzen. Wir wissen längst, was zu tun ist.
Ist PISA der Weisheit letzter Schluss?
PISA gibt keinen umfassenden Eindruck, aber der Test liefert gute Indikatoren, wie es läuft. Hinter uns sind nicht mehr viele. Deutsche und andere haben es ja auch geschafft. Also, packen wir's an!
Zur Person
Günter Haider (58) ist seit dem Jahr 2008 Direktor des Bundesinstituts für Bildungsforschung (Bifie) und war Leiter des PISA-Forschungszentrums in Salzburg, das im Bifie aufgegangen ist. Haider beriet schon die frühere ÖVP-Bildungsministerin Elisabeth Gehrer und leitete ihre „Zukunftskommission“ zu Bildungsfragen.
Auch Claudia Schmied (SPÖ) berät sich regelmäßig mit Günter Haider. Er hat das Lehramt für Volks-, Haupt- und Polytechnische Schulen und ist promovierter Erziehungswissenschaftler. [APA]
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.12.2010)