Polytechnische Schulen: Angeschlagenes Image seit 45 Jahren

Misslungener Start verhinderte eine klare Definition. Schüler umgehen die Schule zunehmend. Viele brechen höhere Schulen nach Ende der Schulpflicht ab.

Als sinnvolle Berufsorientierung sehen sie die einen, als bildungspolitische Einbahnstraße zur dualen Ausbildung die anderen: die Polytechnischen Schulen (PTS). Der einjährige Schultyp kämpft seit seinem Start 1966 mit einem angeschlagenen Image. Kritiker nennen die fehlende Durchlässigkeit, das Sackgassensyndrom und die Wertlosigkeit des Abschlusses bei weiterführenden Bildungseinrichtungen. Dadurch würden die "Polys" vielerorts zur "Restschule" verkommen, die von zahlreichen Eltern und Schülern bewusst umgangen wird.

"Die Poly hängt ein bisschen in der Luft", meint Mario Steiner vom Institut für Höhere Studien (IHS). "Was an ihr kritisiert wird, ist, dass sie die Einbahnstraße hin zum dualen System darstellt. Und das wiederum ist nicht immer jenes, das die besten Beschäftigungschancen eröffnet." Hat man einmal die Poly absolviert, ist es schwierig, wieder in das Schulsystem einzusteigen. Aus diesem Grund weichen viele dem Poly aus: "Viele Jugendliche landen orientierungslos in den falschen Schulen und brechen sie dann ab, sobald sie die Schulpflicht abgesessen haben", erklärt Steiner die hohen Drop-Out-Raten an allgemeinbildenden höheren (AHS) und berufsbildenden mittleren und höheren Schulen (BMHS) vor allem nach der neunten Schulstufe.

Viele Schulabbrecher in AHS, BHS

Laut einem Bericht des IHS (2006) bricht in der AHS-Oberstufe jeder Zehnte nach der fünften Klasse ab, an den Handelsakademien (HAK) 15 Prozent nach der ersten Klasse, an den Höheren Technischen Lehranstalten (HTL) 19,5 Prozent und an den Handelsschulen (HAS) sogar 34 Prozent. Jedenfalls wechseln immer weniger Schüler nach Hauptschule bzw. AHS-Unterstufe in ein Poly. Wählten im Schuljahr 1980/81 noch 30 Prozent des entsprechenden Schülerjahrgangs die PTS, sank dieser Anteil stetig auf 19,4 Prozent (2009/10). Dem entsprechend ist die Zahl der PTS-Schüler von durchschnittlich 30.000 in den 1970er und 1980er Jahren auf nur noch 19.300 im Jahr 2009/10 gesunken.

Der langjährige Direktor einer PTS in Salzburg, Peter Jäger, sieht den Grund für das seit 45 Jahren bestehende schlechte Image im "misslungenen Start" des Schultyps. "Hier wurde überhastet ein Schultyp eingeführt, weil man lange nicht gewusst hat, was man mit dem neunten Schuljahr tun soll", so Jäger. "Erst mit der Einführung der Fachbereiche 1997 war langsam klar, was diese Schule überhaupt macht."

OECD sieht Reformbedarf

Auch die OECD sah 2010 "Reformbedarf bei der Polytechnischen Schule" und eine generelle "Gefahr einer zu engen Spezialisierung in der beruflichen Bildung in Österreich". Beim Poly bestehe das Problem der "doppelten Übergänge" der Schüler vom achten auf das neunte und vom neunten auf das zehnte Schuljahr. Diese könnten sich negativ auf den Lernerfolg auswirken. Bei PISA-Tests kristallisierte sich an den Polys eine große Gruppe von Risikoschülern heraus.

Poly-Absolventen können aber keinesfalls über einen Kamm geschoren werden, meint Michael Landertshammer, Leiter der Bildungsabteilung der Wirtschaftskammer (WKÖ). "Man muss hier zwischen ländlichem und urbanem Raum unterscheiden", so Landertshammer. "Am Land, wo das Poly als einzige oder maximal zweite Alternative vorhanden ist und wirklich auf den Berufseinstieg vorbereitet, sind die Betriebe mit den Lehrlingsanfängern sehr zufrieden." Eine Aufwertung müsse daher vor allem im städtischen Bereich geschehen. "Dort sind die Polys eher zu Restschulen verkommen - für all jene, die nicht in eine AHS oder BMHS gehen." Das trifft offenbar vor allem auf Schüler mit Migrationshintergrund zu. So haben in Wien laut Statistik Austria 61 Prozent der PTS-Schüler Migrationshintergrund.

Feindseliger sozialer Umgang

Auch an den Schulen selbst sieht man Probleme. In einer 2009 in Wien durchgeführten Schulumfrage beklagten Schüler und Lehrer den konfliktträchtigen bis feindseligen sozialen Umgang. "Probleme hat es immer gegeben", meint auch Walter Maitz, Wiener Bezirksschulinspektor und zuständig für die PTS. Dass die Poly-Schüler als "der Rest" bezeichnet werden, weist er aber zurück. "Der Schultyp war in der öffentlichen Meinung nie sehr angesehen, die Lehrer haben immer einen starken Veränderungsdruck verspürt", so Maitz. "Aber es gibt in Österreich keinen Schultyp, der so offen ist für Veränderungen wie die Polytechnischen Schulen."

(APA)

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