Gesamtschule. Derzeit bleiben die Fähigkeiten tausender Kinder unentdeckt – aus Angst vor der „Gleichmacherei“.
Die heimische Gesamtschuldebatte ist tot. Zerstört von ideologischen Vorbehalten, die jede inhaltliche Auseinandersetzung mit Konzepten einer gemeinsamen Schule schwierig machen. Und zerstört von einer nicht funktionierenden „Neuen Mittelschule“, der landläufig zwar das Etikett der Gesamtschule umgehängt wird, die aber in Wahrheit keine ist.
Tatsächlich ist die Gesamtschulfrage für das Funktionieren des Schulsystems zweitrangig – neue äußere Strukturen allein führen zu keiner Verbesserung. Trotzdem wären die Vorteile einer gemeinsamen Schule aller Zehn- bis 14-Jährigen groß. Wenn man sie richtig gestaltet. Nicht die „Gleichmacherei“ muss im Mittelpunkt stehen, sondern Chancengleichheit. Der Aufstieg in die höhere Bildung sollte von der Leistung abhängen – nicht vom Elternhaus. Eltern, die ihre Kinder im urbanen Raum derzeit in eine Hauptschule stecken, stempeln diese zu Bildungsverlierern. Hauptschüler scheitern häufiger in weiterführenden Schulen, vielen mangelt es an Grundkompetenzen. Der Staat sollte es sich nicht leisten, unentdeckte Potenziale derart zu vergeuden.
Der Schlüssel zu einer erfolgreichen Gesamtschule ist die individuelle Förderung jedes Einzelnen – und damit die viel zitierte „interne Differenzierung“. Andere Staaten machen es vor: In Kanada bekommt jeder einen maßgeschneiderten Lehrplan, ähnlich in Finnland. Anderswo werden Schüler verschiedener Klassen flexibel in Kleingruppen zusammengefasst – je nach Können im jeweiligen Fach und nach ihrem Interesse. Damit das funktioniert, braucht es gute Lehrer – und mehr Lehrer in jeder Klasse.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2011)