Ich bin dein Ghost

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Bei Johannes Karl kann man Diplomarbeiten bestellen. Als Ghostwriter hat er schon mehr als 50 wissenschaftliche Arbeiten geschrieben. Schlechtes Gewissen hat er keines. Doch manchmal verschweigt er seinen Job lieber.

Johannes Karl schreibt Diplomarbeiten. Und zwar gern. Sechs Abschlussarbeiten hat er bereits abgeben – aber nicht an Professoren, sondern an seine Kunden. Denn Karl ist Ghostwriter.

Der 29-Jährige checkt ständig seine E-Mails. Da trudeln mehrmals täglich Anfragen ein. Gefallen ihm Thema, Honorar und Umfang, bewirbt er sich für den Auftrag. Ob er ihn tatsächlich bekommt, entscheidet sein Arbeitgeber, die Ghostwritingagentur Acad Write. Doch meistens, sagt Karl, klappt es. So hat er in seinen zwei Arbeitsjahren bereits mehr als 50 Aufträge erhalten – von Seminararbeiten über Essays bis hin zu Bachelor- und Diplomarbeiten im Bereich Literatur-, Sprach-, Kultur- und Kommunikationswissenschaft. Karl selbst hat Anglistik und Amerikanistik studiert. Macht jetzt noch das Doktorat. Seinen ersten Job als Magister hatte er am Fließband – und das in der Nachtschicht. Das war ernüchternd. Alles, was er wollte, war Schreiben. Er versuchte es als selbstständiger Texter, konnte sich damit aber nur schwer über Wasser halten. Die Ghostwritingagentur war eine gute Alternative. „Ich wollte vom Schreiben leben – und das tue ich jetzt“, sagt Karl.

In Österreich nicht verboten. Gewissensbisse hat er keine. Wissenschaftliche Arbeiten zu verkaufen ist in Österreich nicht verboten. Lediglich solche zu kaufen und als eigene Arbeit einzureichen, ist nicht erlaubt. Er sei nicht schuld an der Nachfrage, sagt Johannes Karl. Er biete lediglich eine Hilfeleistung (Nachsatz: „Also zumindest kann man es sich so schönreden“). Seine Familie und Freunde wissen, womit er sein Geld verdient. Begeistert sind sie nicht. Wirklich böse ist ihm aber auch niemand – zumindest niemand in Karls persönlichem Umfeld.

An der Uni, wo er ja selbst noch seine Dissertation schreibt, dürfte das anders sein. Bewusst hat er Kollegen und Professoren nichts von seinem Beruf erzählt. Selbst der Nachname Karl, mit dem er offiziell auftritt, ist seiner Fantasie entsprungen. „Das ist natürlich eine moralische Grauzone“, gesteht Karl ein. Aber: „Die Professoren würden schockiert bis beleidigt sein. Sie haben immer noch eine romantische Vorstellung von dem, was sie tun.“

Karl ist hingegen Pragmatiker. Er erfüllt die Wünsche seiner Kunden – egal, weshalb diese einen Ghostwriter engagieren. Dabei fehlt selbst ihm manchmal das Verständnis. Etwa, wenn Studierende kurzfristig entscheiden, lieber nach Thailand zu fliegen, als über das Wochenende eine Seminararbeit zu schreiben und ohne langes Zögern 600 Euro für Karls Dienste hinblättern. Die meisten wenden sich aber wegen der Unvereinbarkeit von Studium und Beruf an einen Ghostwriter. Karl erinnert sich an eine alleinerziehende Mutter, die neben der Arbeit das Studium beenden wollte. Ihre Diplomarbeit war bereits weit fortgeschritten. Dann wurde die Frau ernsthaft krank und musste pausieren. Währenddessen kam ein neuer Studienplan. Die Diplomarbeit war hinfällig. „Ein Systemopfer“, nennt Karl sie.

Karl trifft Kunden nicht persönlich. Persönlich lernt er die Kunden nie kennen. Das ist verboten. Ghostwriter und Kunden kommunizieren meist per E-Mail. Und auch das nur über Umwege. Die Agentur ist zwischengeschaltet. 24 Stunden pro Tag filtern Agenturmitarbeiter die Nachrichten, anonymisieren sie und leiten sie dann weiter.

Manchmal wird telefoniert. Doch auch hier rufen sich Kunde und Ghostwriter nicht einfach an, sondern wählen sich in ein System der Agentur ein. In den Telefonkonferenzen wird zuerst über die Themenauswahl, dann über die Methodik und Ghostwriter Johannes Karl verdient pro Diplomarbeit bis zu 4000 Euro. die Wünsche des Kunden gesprochen („Ich bin kein Einserstudent, also bitte keine perfekte Arbeit. Das würde auffallen“, habe man ihn schon gebeten, erzählt Karl). Handelt es sich um eine Diplomarbeit, in der auch Interviews enthalten sind, so wird der Leitfaden vom Ghostwriter ausgearbeitet, die Interviews werden aber vom Kunden geführt und abgetippt („Transkribieren kostet extra“).

Eine 80-seitige Arbeit stellt Karl im Schnitt in 160 Arbeitsstunden – also innerhalb von vier Wochen – fertig. Oft dauert es auch länger. „Die Professoren sind die größten Zeitbremsen, weil sie oft ewig auf ihr Feedback warten lassen“, so Karl. Sobald die Arbeit komplett fertig ist, gibt es ein ausführliches Vorbereitungsgespräch für die Diplomprüfung („Die Arbeit zu lesen reicht dafür oft nicht.“) Dass Kunden mit seiner Arbeit reüssieren, stört Karl in den meisten Fällen nicht. Manchmal aber doch. „Wenn mich das Thema sehr interessiert oder wenn die selbst verfasste Arbeit unter einem anderen Namen in wissenschaftlichen Zeitschriften publiziert wird, dann tut das schon weh.“ Nicht nur unbeholfene oder gestresste Studenten, sondern auch Wissenschaftler zahlen für die Dienste des Ghostwriters.

Bis zu 4000 Euro pro Arbeit. Die finanzielle Abgeltung dürfte den Schmerz lindern. Der Job als Ghostwriter ist durchaus lukrativ. Für eine Bachelorarbeit kassiert Karl 2000 bis 3000 Euro, für eine Diplomarbeit sind es 3000 bis 4000 Euro (je nach Seitenzahl, Arbeitsaufwand und Zeitvorgabe). Für eine Dissertation würden bis zu 10.000 Euro für Karl rausspringen. „Zuerst schreibe ich aber einmal meine eigene“, so der Ghostwriter.

Wie viele Diplomarbeiten in den Uni-Bibliotheken gehortet werden

1975 Aus diesem Jahr stammt die älteste Diplomarbeit in der Bibliothek der Uni Wien.

82.637 Diplom- und 3907 Masterarbeiten haben sich seither dort gesammelt.

Der Bestand wuchs allein seit Jänner des Vorjahres um 5400 Diplom- und 1937 Masterarbeiten. Sie bleiben dort übrigens für immer.

19.865 Hochschulschriften (Diplom-, Master- und Habilarbeiten) stehen in der Bibliothek der Wirtschaftsuniversität.

7000 Diplom- und Masterarbeiten wurden im vergangenen Jahr an der WU-Bibliothek entlehnt.

13 Bachelorarbeiten liegen in der Bibliothek der Uni Innsbruck.

658 Habilitationen bewahrt die Bibliothek der Uni Innsbruck.

41.500 Master- und Diplomarbeiten gibt es in der Bibliothek der Uni Graz.

33.078 Diplom- bzw. Masterarbeiten sind in der TU-Bibliothek Wien verfügbar.

5713 davon gibt es zusätzlich auch als digitalen Volltext.

23.000 Master- und Diplomarbeiten zählt die TU Graz. 2000 davon werden jährlich entlehnt und 8000 downgeloadet

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