Mehr Chancen auch an der Uni

Inklusion von Studierenden mit körperlichen und geistigen Handicaps ist auch für Hochschulen ein wichtiges Thema.
Inklusion von Studierenden mit körperlichen und geistigen Handicaps ist auch für Hochschulen ein wichtiges Thema.(c) Martin Steinthaler | tinefoto.co
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Inklusion. Einschlägige Bildungsprogramme können Menschen mit oder ohne Handicap Wege zu einem besseren Umgang mit Behinderung weisen.

Weihnachten ist die Zeit der Spendenaufrufe – auch für Menschen mit Behinderung. Sie und deren Vertreter sind aber nicht immer glücklich mit dem Bild, das dabei von Personen mit Einschränkungen vermittelt wird: Liebenswerte, aber hilfsbedürftige Menschen und ihre Angehörigen bedanken sich für jede Art der Zuwendung. Um sie tatsächlich in die Mitte der Gesellschaft zu holen, bedürfte es jedoch prinzipiellerer Änderungen, auch im Bildungssystem.

Einen echten Paradigmen-Wechsel hat hier die Pädagogische Hochschule Salzburg Stefan Zweig vollzogen. Seit dem Studienjahr 2017/18 werden im Programm „BLuE“ (Bildung, Lebenskompetenz, Empowerment) auch Studierende mit kognitiven Beeinträchtigungen aufgenommen.

Reguläre Lehrveranstaltungen

Das vierjährige Programm maßt sich nicht an, intellektuell oder psychisch beeinträchtigte Menschen zu einem Studienabschluss zu bringen, will sie jedoch durch individuelle Unterstützung und den Besuch regulärer Lehrveranstaltungen gemeinsam mit anderen Studierenden auf ein unabhängiges Leben vorbereiten. Konkret bedeutet dies eine Ausbildung etwa für einen Assistenzberuf im Bereich Pädagogik, Tourismus oder Verwaltung. Die Erkenntnisse aus „BLuE“ seien auch der Weiterentwicklung der Pädagogischen Hochschule sehr förderlich, nicht nur aufgrund der umfangreichen internen Begleitforschung, sagt der zuständige Vizerektor, Wolfgang Plaute. „Ganz allgemein hat die Diskussion um ,BLuE‘ zu einer noch intensiveren Auseinandersetzung mit Themen wie Inklusion, Diversität, Menschenrechten und gesellschaftlicher Verantwortung geführt. Das scheint in der heutigen Zeit von besonderer Bedeutung.“

„BLuE“, das im November mit dem Österreichischen Inklusionspreis 2018 der Lebenshilfe ausgezeichnet wurde, ist das erste derartige tertiäre Bildungsangebot in Österreich. In Europa gebe es eine kleine Zahl ähnlicher Programme. Vorreiter sei Irland, sagt Plaute. In den USA seien an rund 300 Universitäten derartige Angebote etabliert.

Abgesehen von Programmen für Studierende mit Einschränkungen wie jenem der PH Salzburg gibt es in Österreichs Hochschullandschaft auch zunehmend Studienrichtungen zum Thema Behinderung. Das einzige österreichische Bachelorstudium für „Disability & Diversity Studies“ (DDS) wurde vor fünf Jahren an der FH Kärnten ins Leben gerufen. Das Studium qualifiziert im Besonderen für den Umgang mit den Bedürfnissen und Perspektiven von Menschen mit Behinderung und chronischen Erkrankungen, aber auch mit den sogenannten Diversitätskategorien (Behinderung, Alter, Geschlecht, Ethnie, Religion, sexuelle Orientierung). Die meisten DDS-Studierenden bringen laut Studiengangsleiterin Susanne Dungs eine Vorbildung und Berufserfahrung mit, und zwar in allen möglichen Sparten. „Sie wählen das Studium zielgerichtet aus und kombinieren oftmals ihren vorherigen Beruf mit den Einsatzmöglichkeiten, die sich mit dem DDS-Studium ergeben.“ Es zeige sich zunehmend, dass die Absolventen in allen beruflichen Feldern sehr gut einsetzbar seien, sagt Dungl, „da sich in allen Institutionen und Unternehmen die Frage stelt, wie der Umgang mit Diversität und Disabilities gelingt.“

Ein eigenständiges Masterstudium für „Inclusive Education“ existiert an der Universität Graz. Es steht Bachelors der Pädagogik, Erziehungswissenschaft oder Bildungswissenschaft offen und ist vor allem auf Fragen der Sonderpädagogik fokussiert. „Als wir das Curriculum entwickelt haben, war es uns wichtig, die Tradition der Heil- und Sonderpädagogik zu bewahren und die Expertise in Bezug auf Diagnostik und Intervention bei klinischen Störungsbildern zu vermitteln. Dies wird mit einem intensiv reflektierten Zugang verknüpft und stellt so den Zusammenhang zu aktuellen internationalen Entwicklungen her“, sagt Barbara Gasteiger-Klicpera, Leiterin des Arbeitsbereichs Integrationspädagogik und Heilpädagogische Psychologie der Universität.

Beispiel Südtirol

Gasteiger-Klicpera sieht es als Aufgabe der Bildungsforschung insgesamt, Inklusion im Bildungssystem weiterzuentwickeln. Inklusion führe dazu, der Diversität von Kindern insgesamt besser Rechnung zu tragen und so die Qualität des Bildungssystems zu erhöhen. „Es gibt inzwischen genügend Beispiele dafür, dass dies hervorragend funktionieren kann – Südtirol ist nur eines davon“, sagt Gasteiger-Klicpera. Natürlich sei hier auch die Forschung gefragt. „Deshalb engagieren wir uns in verschiedenen EU-Projekten zu diesen Fragen und versuchen, mit anderen Ländern gemeinsam Ideen und Strukturen zu entwickeln, um die Inklusion im Bildungssystem weiterzuentwickeln.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2018)

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