Optionaler Beistrich, falscher Apostroph

Historisch gesehen ist die Rechtschreibung eine relativ junge Disziplin. Ihre Beherrschung gilt vielfach als Indiz für Bildung.
Historisch gesehen ist die Rechtschreibung eine relativ junge Disziplin. Ihre Beherrschung gilt vielfach als Indiz für Bildung.(c) imago/Westend61 (Valentina Barreto)
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Auf Unsicherheiten nach der letzten Rechtschreibreform reagieren manche mit Verweigerung, andere mit Weiterbildung – speziell bei beruflichem Bedarf.

Ein Wörterbuch sei kein Sittenbuch, sondern ein wissenschaftliches Unternehmen, heißt es im Vorwort zum 1854 erschienenen ersten Band des „Deutschen Wörterbuchs“ („DWB“). „Selbst in der bibel gebricht es nicht an wörtern, die bei der feinen gesellschaft verpönt sind“, befand Jacob Grimm in konsequenter Kleinschreibung. Die Aufbruchstimmung Mitte des 19. Jahrhunderts bildet nicht nur den Hintergrund für die Gründung dieser Zeitung, sondern auch für die Entstehung ihrer orthografischen Norm – des berühmten Nachschlagewerks der Gebrüder Grimm. Jacob und Wilhelm Grimm brachten es zu Lebzeiten zwar nur bis zum Buchstaben F, mit der Dokumentation von Wörtern auch der „unfeinen“ Gesellschaft revolutionierte „Der Grimm“, wie das „DWB“ auch genannt wird, dennoch die Standards der deutschen Sprache, die seit 1880 vom bekannten „Duden“ gehütet werden.

Reform hat auch verunsichert

Seither zogen drei große Rechtschreibreformen ins Land, deren letzte 1996 (mit drei Änderungen ab 2004) viele Vereinfachungen brachte, aber auch manche Verunsicherung zurückließ. „Wer weiß schon so genau, welche Beistriche verpflichtend, welche optional sind? Welche Wörter zusammengeschrieben werden, welche nicht? Darf man bei Eigennamen und Lokalen einen prinzipiell falschen Apostroph verwenden?“, nennt Verena Minoggio-Weixlbaumer, Leiterin des Verlags Goldegg, Beispiele für Rechtschreibthemen, die auch Profis immer wieder zu schaffen machen. Hinzu komme die natürliche Veränderung jeder lebenden Sprache. „Früher wären Schlagzeilen wie ,So muss Zukunft!‘ undenkbar gewesen, doch beeinflusst von Social-Media-Abkürzungen und dem Alltag der Sprache ist hier vieles in Bewegung.“

Minoggio-Weixlbaumer ist auch Trainerin der Goldegg Training Medienakademie, eines auf das Verlagswesen spezialisierten Fortbildungsunternehmens. Das Wiener Institut bietet neben einem Lektoratslehrgang und diverser Weiterbildung für Profis einen Rechtschreibkurs für jedermann unter dem Titel „Besonderheiten, Spezial- und Zweifelsfälle der neuen deutschen Rechtschreibung“ an. Im Lehrgang Professionelles Lektorat und Korrektorat bemerke man steigende Nachfragen aus anderen Berufsgruppen. „Journalisten, Sachbearbeiter, Mitarbeiter in PR-Agenturen, Lektoren, aber auch Privatpersonen möchten die sichere Rechtschreibung beherrschen. Gerade im Self-publishing-Bereich tut sich vieles, und diese Autoren wissen, dass Bücher, die vor Fehlern strotzen, ein schlechtes Licht auf sie werfen“, sagt die Verlagsleiterin.

Die großen Weiterbildungsinstitute bieten Rechtschreibkurse eher für eine fortgeschrittene Klientel an. So richtet sich der Kurs Rechtschreibtraining des BFI Wien an Personen mit guten Deutschkenntnissen, die die korrekte Anwendung orthografischer Regeln für den Verwaltungsbereich, für die Sekretariatsarbeit oder Sachbearbeitung trainieren wollen. Neben dem 25 Unterrichtseinheiten umfassenden Kurs Rechtschreibtraining können in den BFI-Lehrgängen für Büro und Organisation und für Medizinische Verwaltungsassistenten Rechtschreibmodule extra gebucht werden. Auch im Businessservice werde Rechtschreibung nachgefragt, sagt Angelika Stur, die den Lehrgang Büro und Organisation leitet. Der Bedarf an Rechtschreib-Know-how stelle sich in den Lehrgängen als hoch heraus. Am meisten Schwierigkeiten bereiteten die s-Schreibung sowie Getrennt-/Zusammenschreibung, aber auch die Verwendung von Genetiv und Dativ sowie von Präpositionen.

Im Wifi werden in mehreren Bundesländern meist eintägige Seminare angeboten. Junge Leute, die in ihrer Ausbildung nur die aktuellen Orthografieregeln gelernt hätten, entwickelten naturgemäß keinen Widerstand gegen die Änderungen, sagt Erika Karel, Trainerin im Seminar Kompetent und sicher in der aktuellen Rechtschreibung des Wifi Wien. „Schwieriger war es für jene, die in Schule oder Ausbildung im Lauf von einigen Jahren einmal oder sogar zweimal mit Rechtschreibreformen konfrontiert waren und oft bis heute eine gewisse Verwirrung nicht ablegen können. Auch Personen, deren Deutschlernerfahrungen schon lange Zeit zurückliegen und die sich nun – zum Teil auf Wunsch der Arbeitgeber – die reformierten Schreibweisen aneignen sollen, finden das meist eher schwierig und hinterfragen vermehrt die Logik und Sinnhaftigkeit der aktuellen Regeln.“

Orthografie als Stolperstein

Ob das Ziel, mit der letzten Rechtschreibreform die Orthografie der deutschen Sprache zu vereinfachen, in allen Bereichen gelungen sei, werde wohl unterschiedlich beantwortet, sagt Karel. Dies gelte etwa im Hinblick auf die Eindeutschung mancher Fremdwörtergruppen, auf die komplexen Regelungen für die Getrennt- oder Zusammenschreibung oder sogar auf die Rücknahme mancher Details im Lauf der zweiten Reformstufe. „Bei manchen Studienaufnahmeverfahren, für angehende Pädagogen oder für Polizeischule-Anwärter, scheint gerade der Deutschtest ein Stolperstein zu sein.“

Die häufigsten Fehler sind laut Karel die korrekte Verwendung von „dass“/„das“, das Erkennen von manchen substantivierten Wörtern und deren Großschreibung, vor allem in Redewendungen, die Unterscheidung, welche Wortkombinationen als Zusammensetzung und welche als Wortgruppe zu betrachten sind, sowie die Kommasetzung in komplexen Satzgebilden.

Web:www.goldegg-training.com,www.bfi.at, www.wifi.at

INFORMATION

Rechtschreibnachschlagewerke

Der „Duden“: Erstveröffentlichung 1880 als „Vollständiges Orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache“; seine Neuauflagen gelten seither als Definition der deutschen Standardschreibweise. Heute als Buch und in elektronischen Formaten im Verlag Bibliographisches Institut (Berlin) verlegt. Onlinesuche: www.duden.de

„Österreichisches Wörterbuch“: Verzeichnet auch österreichische Vokabeln und Besonderheiten wie in Österreich abweichende Artikel. Erstveröffentlichung: 1951 nach Verordnung des damaligen Unterrichtsministers, Felix Hurdes; bis heute im Auftrag des Bildungsministeriums vom Österreichischen Buchverlag (Wien) herausgegeben. Status eines „fachlichen Nachschlagewerkes für die Gemeinsame Normdatei“: Schreibweisen des „ÖWB“ sind maßgeblich etwa für Einträge in Datenbanken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2018)

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