Interdisziplinarität: Ein Blickwinkel ist oft zu wenig

Bei komplexen Themen ist eine ganzheitliche, interdisziplinäre Herangehensweise angemessen.
Bei komplexen Themen ist eine ganzheitliche, interdisziplinäre Herangehensweise angemessen.(c) Pixabay
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Fächerübergreifende Studien sollen helfen, komplexe Phänomene der Gegenwart und Zukunft besser zu verstehen.

Aristoteles, Leonardo da Vinci oder Alexander von Humboldt – die lange Tradition der Universalgelehrten scheint heute der Vergangenheit anzugehören. Doch nun könnte eine Rückkehr der fächerübergreifenden, ganzheitlichen Betrachtung bevorstehen. Denn die zentrale Kompetenz der Zukunft lautet: Komplexität beherrschen. Egal ob es um Migrationsdebatten, Verwaltungsreformen oder künstliche Intelligenz geht, es braucht nicht nur geistige Beweglichkeit, sondern vor allem Verständnis – über möglichst viele Disziplinen hinweg.

Eine Institution, die disziplinenübergreifendes Denken und zugehörige Soft Skills lehren möchte, ist die Universität für angewandte Kunst. An der ehemaligen Kunstgewerbeschule treffen im vierjährigen Bachelorstudium „Cross-Disciplinary Strategies Applied Studies in Art, Science, Philosophy and Global Challenges (CDS)" Themen der Molekularbiologie auf Networking, Menschenrechte auf Roboter und Kunst und Kultur auf Finanzmärkte.

Keine linearen Denkmuster

Lehrveranstaltungen wie „Cross-Disciplinary Capabilities" oder „Artistic Strategies" vermitteln, Kontextualisierung anzuwenden und neue Szenarien zu entwickeln. Die Welt sei schließlich nicht von linearen Denkmustern und Kausalitäten, von wahr oder unwahr, ja oder nein geprägt, sondern von „in sich brechenden und vernetzten" Verbindungen, sagt Rektor Gerald Bast. „Gerade Mehrdeutigkeit wird zu einem politischen Problem. Man darf sich nicht wundern, wenn Menschen nach einfachen Antworten suchen, wenn sie die Komplexität bestimmter Sachverhalte nicht wahrnehmen oder verdrängen." Robert Trappl, AI-Experte und Vortragender an der Angewandten, ergänzt: „Das CDS-Studium ist ein Versuch, Universalisten und Überblicksexperten hervorzubringen." Trotzdem sei es wünschenswert, vermehrt auch praktische Kompetenzen wie Programmieren zu vermitteln.

Von allem ein bisschen, aber nichts wirklich? Wolfgang Bliem, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Bildungsforschung (IBW), sieht beim Versuch, Universalisten auszubilden, das Problem der „wahllosen Kompetenzansammlung". „Aus- und Weiterbildung darf nicht beliebig werden, Expertise nicht verloren gehen. Die Wirtschaft braucht Leute, die Zusammenhänge verstehen, aber Experten in ihrem Fach sind."

Interdisziplinärer Dialog

Optimal sei es etwa, als angehender Robotiker Expertise im Maschinenbau zu haben und zusätzliche Kompetenzen wie Psychologie oder Biologie zu erlernen. „Keine Person wird alles vereinen können", ist sich Bliem sicher. „Es braucht Teams, die zusammenarbeiten. Der Informatiker muss mit dem Finanzexperten auf Augenhöhe kommunizieren können." Hier seien Ausbildungsinstitutionen gefordert, die notwendigen Strukturen zu schaffen: Querschnittsfelder statt enger Fachbereiche, die es möglich machen, dass Maschinenbauer auf Betriebswirte und Juristen treffen und miteinander kommunizieren. Universitäten sind oft zu sehr in Departments gegliedert. Fachexpertise muss nicht an starre Bereiche geknüpft sein."

Bereits bestehendes Expertenwissen müssen Studierende des Joint-Study-Programms „Middle European Interdisciplinary Master's Programme in Cognitive Science (Mei:CogSci)" an der Uni Wien vorweisen. Das Studium setzt sich mit Kognition und Verhalten, Wahrnehmung und Emotion auseinander. Den Themen nähert man sich interdisziplinär – über Neurowissenschaft, Philosophie und Linguistik oder Anthropologie. Das Studium ist ein „Bündel an Disziplinen, die sich mit Kognition als Informationsverarbeitungsprozess auseinandersetzen", erklärt Programmleiter Markus Peschl. Die Studenten mit abgeschlossenem Bachelorstudium kommen aus den Geistes-, Natur- oder Formwissenschaften, sind Künstler oder Designer und müssen je nach Vorwissen Kurse in den jeweils anderen Disziplinen belegen.

Phänomen im Zentrum

Zentrales Element des Studiums ist das „phenomenom based learning": Studierende stellen sich nicht wahllos Inhalte zusammen, sondern entscheiden sich für komplexe Phänomene, die sie aus dem Blickwinkel mehrerer disziplinärer Perspektiven erforschen. Der Pfad jedes Studenten wird gemeinsam mit Professoren zusammengestellt, was laut Peschl dank kleiner Kohorten von 25 Studierenden pro Jahrgang möglich ist. „Es reicht nicht mehr, ein enges Methodenset anzuwenden und die Uni auf einen Ort der Wissensvermittlung zu beschränken", sagt Peschl. Vielmehr müsse die Universität ein Ort der Zukunft sein, an dem gemeinsam Wissen verhandelt und generiert und Innovation geschaffen werde.

( "Die Presse", Print-Ausgabe, 02.02.2019)

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