Soziologie: „Die Themen liegen auf der Straße“

Wohin die Gesellschaft geht und welche Konsequenzen die eingeschlagenen Wege haben, das ist Gegenstand der Soziologie.
Wohin die Gesellschaft geht und welche Konsequenzen die eingeschlagenen Wege haben, das ist Gegenstand der Soziologie.(c) Getty Images/iStockphoto (doble-d)
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Unsere Gesellschaft verändert sich rasant, und kaum ein Studienfach beschäftigt sich tiefer mit diesem Wandel als die Soziologie. An fünf Universitäten kann man sich mit gesellschaftlichen Entwicklungen auseinandersetzen.

Arbeit, Bildung, Einkommen, Geschlechterrollen oder Ansprüche, die an den Staat gestellt werden – zu diesen Themen und noch zu vielem mehr forschen Soziologen. „Wir setzen uns mit gesellschaftlichen Entwicklungen auseinander, die soziologische Perspektiven brauchen“, sagt Ulrike Zartler-Griessl, Studienprogrammleiterin am Institut für Soziologie an der Universität Wien. Es gebe aktuell eine Unmenge von gesellschaftlichen Umbrüchen, etwa bei der Digitalisierung, der Demografie oder der Mobilität und der Familie. Dort sei es beispielsweise spannend, herauszufinden, wie sich die Generationen zueinander verhalten. „Ich sage unseren Studierenden immer, dass unsere Forschungsthemen auf der Straße liegen“, sagt Zartler-Griessl.

Neugierde und Kritikfähigkeit

„Studierende der Soziologie sollten Neugierde und Kritikfähigkeit mitbringen, dazu gehört die Bereitschaft, die eigenen Sichtweisen zu hinterfragen“, sagt Kristina Stöckl, Leiterin des Soziologie-Instituts an der Universität Innsbruck. Wer dieses Fach wählt, lernt neben den gesellschaftlichen Zusammenhängen die dazu notwendigen Methoden empirischer Forschung. Doch werden in Innsbruck auch Theorien vermittelt: „Soziologische Theorien sind das Rüstzeug, um gesellschaftliche Entwicklungen der Vergangenheit zu analysieren und aktuelle Entwicklungen einzuordnen.“ Handlungsempfehlungen ließen sich daraus nicht zwingend ableiten, „wohl aber eine Wissensbasis für Entscheidungsprozesse“, erläutert Stöckl. Menschen zu sagen, was sie zu tun hätten, stehe der Soziologie nicht zu, meint auch Brigitte Aulenbacher, Leiterin der Abteilung für Gesellschaftstheorie und Sozialanalysen am Institut für Soziologie der Johannes Kepler Uni Linz (JKU). Allerdings kann sie „Analysen bieten, auf mögliche Folgen gewählter Wege hinweisen, ihr Wissen im Austausch mit der Praxis hinterfragen und weiterentwickeln, Aktionsforschung im Sinne unmittelbarer Beteiligung an der Praxisgestaltung betreiben und vieles mehr“.

Keine Gesellschaftsingenieure

Die Idee von einem „Gesellschaftsingenieur“ habe die Soziologie schon vor Längerem aus gutem Grund verworfen, „aber die wichtigste Botschaft ist: Gesellschaftlicher Wandel ist normal, und man kann ihn gestalten. Man sollte keine Angst vor Wandel haben – er passiert ja sowieso –, vielmehr sollte man ihn als Herausforderung sehen und aktiv damit umgehen“, sagt Martin Weichbold, Dekan der Kultur- und Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät an der Universität Salzburg und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie. Er bringt das Beispiel Migration. Auch sie habe es immer gegeben, weshalb man überlegen sollte, „wie man sie steuern kann und wie man sie positiv nutzen kann – Migration bietet ja unglaublich viele Chancen!“. Herausforderungen müsse man aktiv angehen, „und die Soziologie kann hier wichtige Inputs leisten“.

Hinsichtlich der beruflichen Einsatzmöglichkeiten sind vor allem jene Absolventen gefragt, „die sich in Sozialforschung auskennen oder Praktika gemacht haben“, erklärt Markus Hadler, Leiter des Instituts für Soziologie an der Universität Graz. Dort sind die Studierendenzahlen in den vergangenen zehn bis 15 Jahren rasant gestiegen. Vergleichsweise viele entscheiden sich für dieses Fach, nachdem sie anderweitige Erfahrungen gemacht haben, „unter Umständen deshalb, weil das Fach Soziologie unter Maturanten weniger bekannt ist, da es ja kein entsprechendes Fach in den Oberstufen gibt“. Auch an der JKU macht man diese Erfahrung: „Viele Studierende sind bereits berufstätig und nutzen das Soziologiestudium zur Weiterbildung“, sagt Aulenbacher.

Eine Schwerpunktsetzung mit einem Masterstudium kann karrieretechnisch von Vorteil sein. An der Uni Innsbruck können Bachelors das Masterstudium zu sozialer und politischer Theorie absolvieren oder das interfakultäre Masterstudium „Gender, Kultur und sozialer Wandel“. Die Uni Wien lässt im Masterstudium unter verschiedenen Forschungsspezialisierungen wählen, etwa Wissenschaftsforschung, Kultur und Gesellschaft oder Familie, Generation, Lebenslauf. Das Postgraduate Center bietet zudem einen Lehrgang zu Europäischen Studien an, an dem das Soziologie-Institut beteiligt ist.

Event

Soziologie-Kongress in Salzburg: Wie haben sich in Österreich Einstellungen und Lebensformen in den letzten Jahrzehnten verändert? Das wird vom 26. bis 28. September 2019 an der Universität Salzburg beim Kongress „Alles im Wandel – Dynamiken und Kontinuitäten moderner Gesellschaften“ eines der Schwerpunktthemen sein. Veranstaltet wird der Kongress von der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie. www.oegs.ac.at

Web: www.soz.univie.ac.at

www.uni-salzburg.at

www.soziologie.uni-graz.at

www.jku.at/institut-fuer-soziologie

www.uibk.ac.at/soziologie

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2019)

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