Die paradoxe Welt virtuellen Lernens

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Blended Learning: Je mehr E-Learning-Tools im Studium, umso wichtiger ergänzende Präsenzzeiten. Gefeilt wird an technischen Möglichkeiten – und an der perfekten Balance.

Vorlesung, Gruppenarbeit, Austausch von Lernstoff – dafür muss man das heimische Sofa nicht unbedingt verlassen. E-Learning ist vor allem aus der berufsbegleitenden Weiterbildung nicht mehr wegzudenken – und hat doch seinen Siegeszug einem Zusatzelement zu verdanken, das ihm eigentlich widerspricht: der Kombination mit der traditionellen Art des Lernens, nämlich physisch vor Ort, an der Uni zu sein.

Erst der Mix mache den Erfolg aus, meinen Experten wie Gerold Wagner, Professor für Wirtschaftsinformatik an der FH OÖ. Er setzt seit 2003 auf Blended Learning. „Wurde früher noch viel Aufwand in die Erstellung von Infrastruktur gesteckt – wie etwa den Aufbau eigener Lernplattformen –, so gibt es heute viele Standardlösungen, auf die auch die Hochschullehre zurückgreifen kann“, sagt er. Dazu wären etwa soziale Medien wie Twitter oder Google+ genauso zu zählen wie Plattformen wie Youtube. „Zwar wird an vielen Ecken und Enden immer noch an eigenständigen Lösungen gebastelt, wie etwa an Apps für Tablets und Smartphones, die Notwendigkeit dazu schwindet aber.“

Herr Professor, bitte antworten!

Er selbst setzt unter anderem Google+ ein, warnt aber insgesamt davor, Faktoren wie die mangelnde Vertraulichkeit der Informationen sowie notwendige Verhaltensänderungen bei den Lehrenden aus den Augen zu verlieren. „Wer neue Medien einsetzt, muss auch deren Rahmenbedingungen berücksichtigen. Sonst könnte das Online-Lernerlebnis getrübt werden.“ Das heißt nichts anderes, als dass auch Lehrende über soziale Netzwerke gut erreichbar sein müssen. „Dass sie tagelang auf Anfragen nicht reagieren, geht einfach nicht.“

An der FH Joanneum setzen heute von den 39 angebotenen Studiengängen 37 auf E-Learning-Tools. „Die Intensität unterscheidet sich von Studiengang zu Studiengang“, sagt Jutta Pauschenwein, Leiterin des Kompetenzzentrums „ZML – Innovative Lernszenarien“. Auch in der Weiterbildung von Lehrkräften würden Blended-Learning-Konzepte zum Einsatz kommen – wie etwa im Falle eines aktuellen Projekts. Konkret bekommen hier die Teilnehmer in Präsenzzeiten Experteninput, der Rest – unter anderem das Abarbeiten von Lerninhalten sowie der Austausch mit den anderen Teilnehmern – spielt sich online ab. „Dabei handelt es sich um einen sehr kreativen Prozess“, sagt Pauschenwein.

Tanja Jadin von der Fakultät für Informatik, Kommunikation und Medien der Fachhochschule Oberösterreich rechnet damit, dass der Einsatz von E-Learning-Tools weiter zunehmen wird – vor allem in der Weiterbildung. „Wir werden von vielen Unternehmen darauf angesprochen, wie sie E-Learning für Mitarbeiterschulungen sinnvoll einsetzen können“, so Jadin. Gründe für diese Entwicklung wären einerseits ökonomische Überlegungen – das Sparen von Schulungskosten – sowie die zunehmende Bedeutung von Social Media.

„Soziale Medien bieten sich deshalb an, weil sie einerseits an der Lebenswelt der Teilnehmer andocken und vermehrt formelles und informelles Lernen verknüpfen.“ Nachsatz: „Hier hat die Vielfalt an Interaktions- und Gestaltungsmöglichkeiten eindeutig zugenommen.“
Auf Blended Learning setzt auch der Tiroler Weiterbildungsanbieter Microtraining. Er versucht, Inhalt und Methode gezielt am knappen Zeitbudget von Berufstätigen zu bemessen. Tatsächlich fällt das Präsenztraining mit 3,5 Stunden auffallend kurz aus. „Wir vermitteln hier weniger Theorie und setzen stattdessen verstärkt auf praxisrelevante Übungen. Das Erlernte soll bereits am nächsten Arbeitstag umgesetzt werden können“, sagt Geschäftsführer Christian Bader.

Soziale Kontakte – und Kontrolle

Bevor allerdings der erste Präsenztermin ansteht, bei dem „alles behandelt wird, was im Selbststudium nicht abgedeckt werden kann“, müssen sich die Lernenden mit Unterlagen auf die Materie vorbereiten. In der „Nachbereitung“ soll dann ein selbst entwickeltes Tool beim Lernen helfen: Stellt etwa das System während der Arbeitszeit keine PC-Aktivität fest, so wird ein Lernvorschlag abgesendet. „Dieser kann angenommen oder abgelehnt werden“, so der Microtraining-Geschäftsführer. Inhaltlich decken die Seminare in erster Linie Soft Skills – der Geschäftsführer spricht von „Aktivposten“ – wie Kommunikation, Verkaufen, Motivation sowie Zeit- und Beziehungsmanagement ab. „Soziale Intelligenz ist schließlich eines der wichtigsten Skills in unserer Gesellschaft“, begründet Bader das Angebot.

„Trotz der steigenden Bedeutung von E-Learning werden Präsenzeinheiten nach wie vor wichtig bleiben. Die Studenten wählen ganz bewusst Studien mit einem hohen Anteil an Präsenzstunden aus“, so Jadin. Auch Wagner bezeichnet sich als „Verfechter der Präsenzzeit“. „Ich möchte sie aber nicht für das Vortragen von Inhalten verschwenden, die die Studenten selbst erarbeiten können.“ Wichtiger sei es, „mehr herauszuholen“ und jene Kompetenzen zu vermitteln, die auch im Berufsleben wichtig sind. Er hofft, dass durch den verstärkten Einsatz von E-Learning mehr Vielfalt in den Lehralltag Einzug hält – und die Präsenzeinheiten genau dafür genutzt werden können.

Auf einen Blick

Was rar ist, ist begehrt: Das gilt auch für das persönliche Gespräch mit dem Professor, den man sonst nur online hört. Gefeilt wird beim Blended Learning an drei Punkten: den technischen Möglichkeiten des E-Learnings, der Nutzung der Präsenzzeiten und der perfekten Kombination beider Bereiche.

WEITERE INFORMATIONEN UNTER

www.fh-joanneum.ac.at

www.microtraining.at

www.fh-ooe.ac.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2012)

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