Zehn Jahre gegen die Hysterie

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Von vielen Untergangsszenarien über den meist männlich dominierten Hass auf digitalen Kanälen bis zu täglichen medialen Hysterien der vergangenen zehn Jahre: Warum es sich auszahlt, nicht mitzumachen.

Für das Journal der nicht eingetretenen Weltuntergangsszenarien waren die vergangenen zehn Jahre besonders lohnend. Der Euro ist nicht zerbrochen. Das internationale Finanzsystem nicht implodiert. Es kam nicht zu weltweiten Ausschreitungen oder Hungersnöten. Zur Hyperinflation kam es auch nicht – eher dem Gegenteil davon.

Die Flüchtlingskrise war zwar eine politische und anfangs infrastrukturelle Krise – bzw. ist sie es teilweise noch immer wie am Mittelmeer oder in Libyen –, aber die öffentliche Ordnung hielt. Die Flüchtlinge wurden versorgt, Asylverfahren eröffnet, Asylwerber akzeptiert oder abgewiesen, der Zustrom gedrosselt. Nach dieser so prägenden Dekade steht Europa, steht Österreich, stehen wir mehrheitlich nicht schlechter da als vorher, sondern tendenziell besser, wie ein Blick auf die meisten Kennzahlen zeigt. Das heißt nicht, dass die rosa Brille das ideale Accessoire für diesen und kommende Sommer ist. Es gibt Probleme und Herausforderungen: auf Ebene der EU, wirtschaftlich und lokal. Vom anhaltenden Zinsniveau (dank dessen die Sparer die zögerliche Entschuldung vieler Staaten mitfinanzieren) über Konflikte in Nahost bis zur Ukraine reichen allein die Problemfelder Europas. Der Terrorismus ist ebenso wenig besiegt wie die Arbeitslosigkeit. Vom Klimawandel ganz zu schweigen. Aber: Vieles ist machbar, was zehn Jahre andauerndes weltweites und kontinentales Krisenmanagement bewiesen hat.

>> Zehn Jahre „Die Presse am Sonntag"

„Soziale“ Medien. Diese Zeitung ging inmitten einer globalen Wirtschafts- und Finanzkrise an den Start und wurde bei aller gebotenen Bescheidenheit ein Erfolgsprodukt. Ein Grund mag der Verzicht sein, nicht bei jeder Hysterie mitzumachen, nicht nach jedem Angriff auf jedes Thema einzusteigen, nicht in jeden Panikchor einzustimmen. Die Apokalypse ist nur ein Hollywood-Inhalt, die modernen Nachahmer von Nostradamus sind Mitmenschen mit Aufmerksamkeitsdefizit. Eines ist leider nicht passiert: Obwohl wir ohne mobiles Netz nicht mehr leben können und wollen, haben wir uns noch immer nicht auf Umgangsformen geeinigt.

Da wird gehetzt, gelogen und beleidigt, sodass die Bezeichnung „soziale Medien“ fast wie ein Hohn klingt. Gelingt uns neben dem technischen nicht auch der kulturelle Fortschritt, haben wir ein ernstes Problem. Die immer wieder formulierte Erklärung, dass manche das Netz nicht verstehen, gilt nicht. Digital Natives stellen (zum Glück) bald die Mehrheit. Das Erwachsenwerden bringt meist mehr Verantwortung. Auch wenn die mühsam ist.

rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2019)

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