Grätzltour: Realitätscheck in Fünfhaus

Ehrlich, wandelbar, entspannt. So charakterisiert das Designduo Katharina Mischer und Thomas Traxler den 15. Bezirk, Sitz ihres Studios und Ort langer Spaziergänge.

„Wir vermissen hier ein ordentliches Kaffeehaus“, sagt Katharina Mischer. Seit fünf Jahren hat das Designduo Mischer*Traxler seinen Sitz in der Sechshauser Straße. Zwischen Etablissements für bestimmte Stunden und Asia-Läden. „Der Vermieter hat uns geraten, das Studio Atelier zu nennen. Studios gibt es hier nämlich sehr viele“, sagt Thomas Traxler in Anspielung auf die Amüsierlokale und lacht.

Lebendig, dreckig, sicher

Aber gerade das rege Treiben rundum mache die Gegend zu einer sicheren, zu einer multikulturellen, zu einer realitätsnahen. „Wir sind viel unterwegs, und jedes Mal, wenn wir in den Bezirk zurückkommen, ist das ein Realitätscheck. Das erlebst du im sechsten Bezirk, wenn du dort lebst und arbeitest, einfach nicht“, sagt Mischer. „Das“ inkludiere sowohl den lebendigen Auer-Welsbach-Park mit seinen Picknickern, Grillfesten und spielenden Kindern als auch den Dreck, der hier gefühlt vermehrt auf der Straße liege als anderswo in der Stadt. „Die Schönheit des Bezirks liegt nicht auf Erdgeschoßniveau. Da muss man schon den Blick nach oben richten“, sagt Traxler. Weg vom leer stehenden Geschäftslokal, rauf zur Jugendstilfassade etwa an der Ecke Fünfhaus-/Herklotzgasse. „Ein äußerst gelungenes Objekt steht auch in der Storchengasse“, findet Mischer. Ein Wohnbau der gemeinnützigen Bauträger Neue Heimat und Gewog, der bestehende und moderne Architektur kombiniert.

Seit Jahren heißt es, der 15. sei im Kommen. So wie man das lang vom zweiten Bezirk sagte oder manche vom 20. Bezirk vermuten. Für Rudolfsheim-Fünfhaus stimmt das teilweise. Jedenfalls punktuell und in gemächlichem Tempo. Die Reindorfgasse zwischen Sechshauser Straße und Schwendergasse ist ein gutes Beispiel, eine kurze, doch pulsierende Ader: Die Designboutique Block 44 hat hier ihren Standort, das Taschenlabel Urban Tool ist erst im März vom fünften Bezirk hierhergezogen, ein neuer Modestore – die Schwalbe – eröffnet in Kürze, und im Herbst findet wieder das Reindorfgassenfest statt (15./16. September).

Aufbruchsstimmung

„Wir sind von Floridsdorf in den 15. gekommen, als eine gewisse Aufbruchsstimmung herrschte. Die herrscht noch immer“, sagt Traxler. Lokale wie das Eduard am Sparkassaplatz oder das Augustin in der Märzstraße ziehen ein Publikum an, das einem sonst eher in Neubau begegnet. Sanierungen werten die Gegend auf, wie etwa der Kauerhof, Nähe Diefenbachgasse, ein Lieblingsprojekt der beiden. Das Gründerzeitensemble bietet heute über 20 Nationen in 131 Wohnungen Platz. Derzeit läuft die 2014 gestartete Baublocksanierung der Initiative Reindorf – insgesamt werden bis Anfang 2018 24 Baublöcke mit 270 Liegenschaften hergerichtet. „Die Mieten sind hier immer noch wahnsinnig günstig“, sagt Mischer. Gentrifizierung ist im einkommensschwächsten und multikulturellsten Bezirk Wiens sicherlich schön langsam ein Thema, wenn auch (noch) nicht negativ besetzt. „Der größte Vorteil der Gegend ist die Anbindung“, sagt Traxler. Mit U4 und U6 sind zwei U-Bahnen in Gehdistanz, mit der 18er-Straßenbahn geht es direkt zum Hauptbahnhof, der Westbahnhof ist einen Katzensprung entfernt, sowohl die Innenstadt als auch der Lainzer Tiergarten sind rasch erreicht. „Zentraler geht es nicht“, sagt Mischer und wundert sich, dass dieser Faktor von Standort- und Wohnungssuchenden nicht als USP erkannt wird. Wobei der 15. Bezirk für das Duo eigentlich nur aus Fünfhaus besteht. „Die Schienen beim Westbahnhof bilden eine Grenze“, meint Mischer.

Bei ihren zahlreichen Spaziergängen zum Kopfauslüften und Nachdenken bewegen sich die beiden primär zwischen Linker Wienzeile und Äußerer Mariahilfer Straße, Gürtel und Auer-Welsbach-Park (siehe Karte). Sie stoßen dabei auf Privatstraßen oder verwunschene Backsteingebäude wie gegenüber dem Sechshauserpark. „Das wäre ein Bastlerhit“, sagt Traxler. „Oder ein Luxusobjekt“, ergänzt Mischer. Der Aktionsradius sei ausreichend, für die Arbeit alles in der Nähe: der Galvanisierer, der Elektro- und Schraubenladen, der Supermarkt. Und vielleicht künftig auch ein ordentliches Kaffeehaus? Bei der Grätzeltour entdecken die Designer das eben eröffnete Ein Affe in der Schwendergasse. Nach einem Blick durchs Fenster sagt Mischer: „Das hat Stammlokalpotenzial.“ Man wird sehen – bei einem Realitätscheck.

RUDOLFSHEIM-FÜNFHAUS

Knapp 80.000 Menschen leben im 15. Bezirk, eine Mischung aus hohem Ausländeranteil, Kulturschaffenden, Studenten und alteingesessener Mittelschicht: perfekte Grundlage für eine Gentrifizierung. Diese erfolgt eher punktuell und langsam, Mieten mit sehr gutem Wohnwert sind mit rund 9 Euro/m2 im Bezirksvergleich sehr günstig, jene mit mittlerem Wohnwert liegen zwischen 7,3 und 8 Euro/m2.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.04.2017)

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