Hausgeschichte: Sichtbar und sicher machen

Beim Umbau des Frauenhauses Graz galt es für Leb Idris Architektur, größtmögliche Sicherheit und einladendes Ambiente unter einem Dach zu vereinen.

Auch am internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, dem 25. November, ist das Frauenhaus Graz leider unabdinglich. Dennoch präsentiert sich das umgestaltete Sechzigerjahregebäude in der Fröhlichgasse hell und einladend. „Die größte Herausforderung war die Aufgabe der geheimen Adresse“, erinnert sich Jasmin Leb-Idris, deren Büro den Wettbewerb für die Umgestaltung gewonnen hat. Denn es galt nicht nur, den Bestand zu erneuern, sondern diese Erneuerung auch mit dem neuen Konzept des Vereins Frauenhäuser Steiermark zu vereinen. „Ziel war, das Thema Gewalt in der Familie durch den Umbau sichtbar zu machen“, erzählt die Architektin. Unter dem Motto „Sichtbar und sicher“ musste sie den Spagat zwischen größtmöglicher Sicherheit einerseits und einem ansprechenden, offenen Ambiente andererseits schaffen. „Die Frauen suchen hier Schutz, deshalb muss das Gebäude einladend und nicht wie ein Gefängnis wirken“, sagt Leb-Idris.

Rampe statt Zaun

Eine großzügige Rampe plus Treppe führt heute zur Eingangstür, ehemals lag der Vorgarten hinter einem Zaun. Rechts der Rampe bietet ein überdachter, in hellem Gelb gestrichener Vorbau Unterstellmöglichkeiten für Fahrräder und Kinderwagen. Danach folgt die Sicherheitsschleuse vor der Rezeption, die 24 Stunden am Tag besetzt ist. Von ihr hat man sowohl die Straße als auch den Garten im Blick. Auch der vor 15 Jahren an der Südseite des Hauses angebaute Lift wurde versetzt – um das Stiegenhaus besser belichten zu können. Fenster sorgen nun an der dadurch frei gewordenen Gartenfront für Helligkeit im Stiegenhaus.

Statt der früheren Einzelzimmer mit einer Großküche gibt es jetzt in den oberen vier Stockwerken des insgesamt sechsgeschoßigen Gebäudes, das über rund 2000 Quadratmeter Nutzfläche verfügt, fünf Wohngemeinschaften sowie je zwei Kleinwohnungen und Garçonnièren. Sie alle besitzen eigene Küchen und Bäder. Auch die Therapieräume sind in den oberen Stockwerken angesiedelt. Im Erdgeschoß und ersten Stock hingegen befinden sich Büros, verschiedene Gemeinschaftsräume sowie Räume zur ambulanten Beratung mit Wartezone. Neu ist auch ein eigener Kinderbereich mit Kinderbetreuung sowie ein Kindertherapieraum. „Das Haus ist auf 25 Frauen und meist doppelt so viele Kinder ausgelegt“, erklärt Leb-Idris. Der ebenfalls neu gestaltete Garten ist über eine Terrasse sowohl vom Kinderbereich als auch vom Bewegungsraum, der sich ebenfalls im Erdgeschoß befindet, zugänglich.

Farben und Berühmtheiten

Ein eigens entwickeltes Farb- und Leitsystem sorgt für bessere Orientierung: Während in den Erschließungszonen und im Erdgeschoß Gelb dominiert, gesellen sich in den Wohngeschoßen noch Rot und Cassis dazu. Das Leitsystem wurde gemeinsam mit dem Verein und Pengg Design entwickelt. Es hat sich berühmte Frauen zum Vorbild genommen: Ihre Unterschriften an den Wänden führen zu den nach ihnen benannten Wohneinheiten. Kinder hingegen können sich an Tieren orientieren.

Und auch für die Einrichtung zeichnet Leb-Idris verantwortlich: „Wir haben angesichts des begrenzten Budgets nach teilweise pragmatischen, aber dennoch sehr individuellen Lösungen gesucht“, erzählt die Architektin. In den Räumen, in denen alte Holzböden erhalten werden konnten, wurden diese renoviert. Ebenso blieb der ursprüngliche Terrazzo im Stiegenhaus erhalten.

Sechzigerstyle

Um den Bogen zu den 1960er-Jahren, der Entstehungsperiode des Gebäudes, zu schließen, wurden mit den Kollegen von Fanny&Mari auch Einrichtungsstände aus dieser Zeit integriert: So hängen beispielsweise über den Sofatischen Lampen aus den Sechzigerjahren, in den Gängen der WG können Mäntel und Co. auf Haken aus dieser Zeit aufgehängt werden. „Wir konnten so auch mit Kleinigkeiten Atmosphäre schaffen“, freut sich Leb-Idris, deren Umbau für den Bauherrenpreis der Zentralvereinigung der ArchtektInnen Österreichs 2017 nominiert war. Wichtig sei ihr dabei gewesen, weg vom Heim-, hin zu einem Hotelcharakter zu kommen. „Ich wollte ein Zuhause auf Zeit schaffen“, so die Architektin.

ZUM OBJEKT

Das Gebäude wurde in den 1960ern erbaut und 1981 als erstes Frauenhaus der Steiermark in Graz eröffnet. 2015 gewann Leb Idris Architektur ZT den Wettbewerb zur Modernisierung der 2000m2 großen Fläche mit neuem Eingangsbereich, Leitsystem, Wohngemeinschaften sowie Kleinwohnungen für Mütter und Kinder. Umgesetzt wurde der Entwurf von GBG Gebäude- und Baumanagement Graz GmbH von April bis Dezember 2016, die Kosten beliefen sich auf 1,9 Mio. Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2017)

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