Wahlkampf. Sebastian Kurz rügt den „Regelungswahnsinn“, der etwa das Essen betreffe. Gerade beim Schutzniveau für Lebensmittel seien EU-weite Regeln sinnvoll, meint Jurist Obwexer. Opposition wirft Kurz Europafeindlichkeit vor.
Wien. Knapp zwei Wochen sind es noch bis zur EU-Wahl und die Parteien versuchen, auf den letzten Metern ihre Positionen zu schärfen. Kanzler Sebastian Kurz kritisierte am Sonntag den „Regelungswahnsinn“ und die „Bevormundung“, die aus Brüssel kommen würden. „Statt ständig mehr Geld zu verlangen, sollte die EU aufhören, den Menschen immer mehr vorzuschreiben, wie sie zu leben haben“, erklärte Kurz.
Die Menschen würden von der EU Antworten auf die großen Fragen wie Sicherheit, Außengrenzschutz oder Klimawandelverlangen, sagte Kurz. „Aber kein Mensch braucht EU-Vorgaben, etwa für die Zubereitung von Schnitzel und Pommes“, meinte er. Kurz verlangt die Streichung von tausend nicht näher definierten EU-Verordnungen beziehungsweise die Rückgabe der Kompetenzen dieser Verordnungen an die Mitgliedstaaten.
Ein Ziel, das Europarechtsexperte Walter Obwexer für unrealistisch hält. Es sei zwar wichtig, EU-Richtlinien auf ihre Sinnhaftigkeit zu durchforsten, erklärte der Jus-Professor im ORF-Radio. Allerdings handle die EU ohnedies nach dem Prinzip der Subsidiarität. Die EU regle also „nur das, was die Mitgliedstaaten nicht besser regeln können“, meinte der Experte von der Universität Innsbruck.
Nicht tausend EU-Akte zu viel
Nun werde es zwar Dutzende Rechtsakte der EU geben, die auch von den einzelnen Staaten durchgeführt werden könnten. Aber die vom Kanzler angesetzte Zahl an tausend überflüssigen EU-Verordnungen erscheine „dann doch recht hoch“, meinte Obwexer. Und gerade eine Streichung der von Kurz genannten EU-Verordnung zu Schnitzel und Pommes sieht der Europarechtler skeptisch. Jeder Mitgliedstaat müsste dann nämlich regeln, auf welchem Schutzniveau Lebensmittel in den Verkehr gebracht werden, erklärte Obwexer. Und das wäre für den EU-Binnenmarkt „zumindest nicht förderlich“, meint der Jurist.
Kritik am Vorstoß des Kanzlers kam von den politischen Konkurrenten. Kurz übernehme „nun endgültig die europafeindliche Linie der FPÖ“, rügte Neos-Obfrau Beate Meinl-Reisinger. Denn Wörter wie „Bevormundung“ oder „Regelungswahnsinn“ seien Schlüsselwörter im Lager der Nationalisten und Rechtspopulisten.
„Wenn Kurz über EU-Bevormundung klagt, ist das sein eigenes Versagen“, meinte SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried. Denn Kurz sei seit sechs Jahren Regierungsmitglied und trage auch als Kanzler „alle Entscheidungen im Kreis der EU-Staatschefs mit“.
Die SPÖ liegt in Umfragen zur EU-Wahl hinter der ÖVP auf Platz zwei. Ebendiesen zweiten Platz strebt aber auch FPÖ-Kandidat Harald Vilimsky an, wie er am Sonntag betonte. Den in jüngsten Umfragen sichtbaren deutlichen Abstand zur SPÖ wolle er im Finish noch wettmachen, sagte Vilimsky in der ORF-Pressestunde. Dass Kurz tausend EU-Regeln streichen will, freute den Freiheitlichen: „Das, was jetzt gesagt wird, entspricht dem, was ich seit Jahren sage“, betonte Vilimsky aber.
Grüne orten Aufwärtstrend
Ins EU-Parlament wieder einziehen wollen auch die Grünen. Selbst, wenn das nach dem Rausflug aus dem Nationalrat schwieriger geworden ist. „Wir haben Mitgliederzuwächse. Es gibt eine starke Bewegung zurück zu den Grünen“, sagte aber Parteichef Werner Kogler, der Spitzenkandidat seiner Fraktion bei der EU-Wahl ist. Er glaube daran, dass seine Partei das Wahlziel von zwei Mandaten erreiche, meinte Kogler. (red/APA)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2019)