Sigmund Bosel: Der Trillionär von Kaisers Gnaden

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Sigmund Bosel ist der legendärste »Kriegsgewinnler« und Finanzabenteurer der Ersten Republik. Er wurde der größte Lieferant der kaiserlichen Armee und so einer der reichsten Österreicher der 1920er-Jahre. Kurz danach verlor er wieder alles.

Wenn es einen Österreicher gibt, der als Gewinner aus dem Ersten Weltkrieg gegangen ist, dann war es wohl Sigmund Bosel. Das schillernde Leben des Wiener Bankiers füllte die Zeitungen im ersten Viertel des 20.Jahrhunderts. Journalisten überschlugen sich in Lobeshymnen auf den mächtigsten Financier der ersten Republik oder aber in Hasstiraden gegen den „jüdischen Kriegsgewinnler“ und „Kronenmörder“. Letztlich stolperte er über einen politischen Finanzskandal, der genauso gut im Jahr 2014 hätte stattfinden können.

Im Jahr 1914 ahnte aber noch niemand etwas vom kometenhaften Aufstieg Bosels. Der Erste Weltkrieg war ausgebrochen und Bosel, aus einfachen Verhältnissen stammend, hatte eben erst das Textilhandwerk erlernt. Keine allzu glorreichen Aussichten für einen 21-Jährigen. Doch der junge Mann hatte Glück – und die richtigen Beziehungen. So blieb ihm der Kriegsdienst „aus gesundheitlichen Gründen“ erspart, und er konnte beginnen, aus dem Krieg Profit zu schlagen.

„Die Kriegswirtschaft ist immer eine Katastrophe für die, die in den Krieg müssen. Für die, die daheim bleiben, ist es aber ein ungeheures Geschäft. Daran hat sich bis heute nichts geändert“, sagt der Unternehmer Thomas Hoffmann, der sich an der Wirtschaftsuniversität Wien mit dem Leben von Bosel auseinandergesetzt hat. Als mit dem fortschreitenden Zerfall der Donaumonarchie immer mehr Flüchtlinge zurück ins Kernland strömten, erkannte dieser seine Chance. 1916 übernahm er die Versorgung der Flüchtlinge mit Lebensmitteln und Kleidung. Mit teils geschmuggelten Waren wurde er zum größten Heereslieferanten. Die Beamten lobten Bosels Organisationstalent in den höchsten Tönen.


Gute Kontakte zum Polizeipräsidenten. Allzu profitabel war das Geschäft aber nicht. Seine erste Million Kronen verdiente Bosel eher nebenher, indem er Wäsche auf eigene Rechnung kaufte und auf Lager legte, in der berechtigten Hoffnung, dass sie im Verlauf des Krieges im Wert steigen würde. Wichtiger waren jedoch die guten Kontakte zum damaligen Polizeipräsidenten Johann Schober, der später Bundeskanzler werden sollte. Bosel organisierte einen Lebensmittelhandel für die Polizei und brachte die Truppen gut durch die Kriegsjahre, während ein Großteil der Bevölkerung hungerte. Als Zeitungen begannen, ihn als „Schleichhändler“ und „Preistreiber“ zu bezeichnen, stellte er die Tätigkeit ein.

Der finanzielle Clou des legendären „Kriegsgewinnlers“ war jedoch ein ganz anderer: Sigmund Bosel hat für seine Lieferungen an den Staat immer Devisen, nämlich Dollar oder Francs, verlangt. Als in den Jahren nach 1918 mit der Donaumonarchie auch die Krone kollabierte, musste Bosel nur noch dasitzen und zusehen, wie er reich wurde. Im August 1922 erhielt man an der Börse für einen Dollar fünfzehntausend Mal so viele Kronen wie vor Kriegsausbruch. 1923 war Sigmund Bosel Kronentrillionär.

Er gründete das Bankhaus Bosel und schuf sich mit Spekulationen ein Firmenimperium. Bosel besorgte sich etwa Kredite auf Aktien, die teils das Papier nicht wert waren, auf denen sie gedruckt waren. „Heute wäre man dafür ständig im Gefängnis“, sagt Hoffmann. Im Wien der Zwischenkriegszeit war der Banker aber nur einer unter vielen, die so ihr Geld verdienten. Anfang 1924 war Bosel am Zenit seiner Macht. Doch mit dem schönen Leben sollte es bald vorbei sein.

Bosel stolperte über einen Finanzskandal, der frappant an die jüngste Vergangenheit erinnert. Die frühen Zwanzigerjahre waren die Zeit der großen Devisenspekulationen. Da wollte auch die staatliche Postsparkasse mitnaschen, bloß waren Spekulationsgeschäfte Staatsbetrieben nicht erlaubt. Hier kam Bosel ins Spiel. Als Handlanger für die Postsparkasse wettete er auf einen fallenden französischen Franc. Als Mitte 1924 das amerikanische Bankhaus Morgan Paris jedoch eine große Dollaranleihe zur Stützung des Franc gewährte, fiel das Kartenhaus zusammen. Bosel verlor einen Großteil seines Vermögens. Und auch die Postsparkasse hatte plötzlich öffentliche Gelder verspekuliert, obwohl ihr das per Gesetz verboten war.

Die verantwortlichen Politiker wandten sich bald von Bosel ab. Nach einem ersten Verfahren blieb ihm im Wesentlichen nur ein Teppichhaus. Zumindest offiziell.


Vermögen in die Schweiz. Inoffiziell brachte Bosel einen guten Teil seines Vermögens in die Schweiz. Als Mitte der Dreißigerjahre aufflog, dass er Vermögen verschleiert und Bilanzen gefälscht hatte, wurde er in einem neuerlichen Verfahren zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt. 1937 kam er vorzeitig frei. Bekannte drängten den Mittvierziger, das Land zu verlassen. Der „Anschluss“ Österreichs an Hitler-Deutschland war zum Greifen nahe. Die Hetze gegen „jüdische Spekulanten“ hatte ihren Höhepunkt erreicht. Bosel ging nach Paris.

Doch statt nun ein glückliches Leben zu verbringen, verspekulierte sich der Geschäftsmann ein letztes, fatales Mal. Er kehrte 1938 nach Wien zurück, wohl im festen Glauben, dass ihm – dem einstigen Gönner der österreichischen Polizei – nichts passieren werde. Doch es sollte anders kommen. Sigmund Bosel wurde bei der Ausreise in die Tschechoslowakei verhaftet und musste die Reststrafe aus dem Postsparkassen-Skandal absitzen. Die Flucht aus dem inzwischen zu Nazi-Deutschland gehörenden Österreich war gescheitert. Am 6. Februar 1942 steckten ihn die Nazi-Schergen in einen Deportationszug nach Riga. Zwei Tage später wurde er bei einem Zwischenstopp in Polen hingerichtet.

Zur Person

1893 wird Bosel als Sohn jüdischer Eltern in Wien geboren.

1914 gründet er eine Textilhandelsfirma.

1916 steigt er zum größten Lieferanten der Armee auf.

1923 ist Bosel einer der reichsten Männer des Landes.

1925 verliert er (und mit ihm die Postsparkasse) bei einer Wette gegen den Franc einen Großteil des Vermögens.

1937 sitzt er für seine Rolle im Postsparkassen-Skandal im Gefängnis.

1942 wird er von den Nazis erschossen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2014)

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