Britischer Immobilienmarkt trotzt dem Brexit

Rund ein Jahr vor dem Austritt aus der EU hat das Land noch nicht viel von seiner Attraktivität für Investoren eingebüßt. Auch dort angesiedelte Unternehmen lassen sich mit ihren Abwanderungsplänen Zeit.

Bei der größten internationalen Immobilien-Fachmesse in Cannes von 13. bis 16 März werden globale Immobilienthemen heiß diskutiert. Ein Dauerbrenner: der Brexit und seine Folgen für die Immobilienwirtschaft. Denn noch immer ist unklar, wie der für Ende März 2019 angekündigte Brexit konkret ablaufen soll. Premier Theresa May nannte in der vergangenen Woche erstmals Details, wie sie sich die künftigen Beziehungen ihres Landes zur EU vorstellt. Sie erteilte einem Verbleib Großbritanniens in der Zollunion ebenso eine Absage wie einem gemeinsamen Binnenmarkt oder bestehenden Kooperationsmodellen (etwa mit Norwegen). Man wolle vielmehr eine eigene Vereinbarung.

Nun ist hinlänglich bekannt, dass Investoren Unsicherheit nicht schätzen. Umso erstaunlicher ist es, dass britische Gewerbeimmobilien im Vorjahr äußerst gefragt waren. Das Transaktionsvolumen stieg gegenüber 2016 um knapp zwölf Prozent auf 72 Milliarden Euro an. Zum Vergleich: In Deutschland wurden 57 Milliarden Euro investiert, was einem Plus von 8,4 Prozent entspricht. Treiber der Investmentaktivitäten in GB waren große Mengen internationalen Kapitals sowie mehrere Landmarkdeals – allen voran der Verkauf des Wolkenkratzers The Walkie Talkie für die Rekordsumme von 1,3 Milliarden Pfund an einen Investor aus Hongkong.

„Die starke Performance – trotz anhaltender politischer Unruhe und wirtschaftlicher Unsicherheit – bestätigt das langfristige Engagement und Vertrauen der Investoren in den britischen Immobilienmarkt“, sagt Alistair Meadows, Head of Capital Markets UK bei Jones Lang LaSalle. Dies treffe vor allem auf internationale Investoren zu, die in Großbritannien für rund die Hälfte und in London für mehr als 80 Prozent des Transaktionsvolumens verantwortlich zeichnen. Auffallend aktiv waren 2017 Anleger aus Hongkong und China. Das schwache Pfund dürfte dabei eine Rolle gespielt haben, weitaus mehr aber der Status Londons als globales Gateway. Auch dass Player wie Christie & Co. ihr Großbritannien-Team verstärken, zeugt nicht von Pessimismus. „Wir wollen neue Kunden gewinnen und langjährige Kunden im Umgang mit den Gegebenheiten des Markts unterstützen“, erklärt Global Managing Director Chris Day. Man sehe Anzeichen für wachsende Zuversicht in fast allen Branchen, in denen man tätig sei. Für Anfang 2018 konstatiert er sogar ein zweistelliges Wachstum bei den Projekt-Pipelines.

Keine Eile mit dem Umzug

Die wohl größte Überraschung der Post-Referendum-Phase nennt Mat Oakley, Head of European Commercial Research bei Savills: „Aktuell ist es schwer, auf dem Londoner Büromarkt eine negative Marktkennzahl auszumachen.“ Viele große Unternehmen seien offensichtlich der Ansicht, dass der EU-Austritt Großbritanniens noch eine Weile dauern könnte, denn kaum eines habe es eilig, Umzugsentscheidungen in die Tat umzusetzen.

So hat etwa die Deutsche Bank im vergangenen August den Mietvertrag für ihr neues Headquarter im Herzen des Financial District in der Londoner City unterzeichnet, einziehen wird sie 2023. Ebenfalls im Bankenviertel entsteht die neue Europazentrale von Goldman Sachs. Bereits im kommenden Jahr wird die Société Générale neue Büroflächen im Stadtteil Canary Wharf beziehen.

Freilich haben etliche Unternehmen ihre Zelte in Großbritannien bereits abgebrochen oder ziehen das in Erwägung. Andere bauen – offensichtlich, um auf Nummer sicher zu gehen – ihre EU-Präsenz aus. So stocken etwa Goldman Sachs, JPMorgan und Morgan Stanley gerade ihre personellen Ressourcen in Frankfurt auf. Faktum ist auch, dass die Miet- und Kaufpreise für Büroflächen in London im Vorjahr zurückgegangen sind. Auch auf dem britischen Wohnmarkt macht sich der Brexit bemerkbar. Seit dem Referendum im Juni 2016 sind die Preise stärker zurückgegangen als während der weltweiten Finanzkrise zwischen 2007 und 2009. Für 2018 erwarten Experten eine flache Entwicklung bzw. bestenfalls einen Preisanstieg um ein Prozent. In London – wo die Hauspreise laut Savills im vergangenen Jahrzehnt um rund 70 Prozent gestiegen sind – könnten die Preise sogar sinken.

Dessen ungeachtet bleiben traditionelle Assetklassen stark nachgefragt. Zudem ortet Meadows verstärktes Interesse an alternativen Segmenten. „Inländische wie auch internationale Investoren richten ihren Blick zum Beispiel auf Seniorenheime, Health Care und studentisches Wohnen“, sagt er. Damit sei die Aussicht auf solide Ertragsströme verbunden.

> > Tipp: Von der Fachmesse Mipim berichtet die Presse per Live-Ticker aufImmobilien.DiePresse.com.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.03.2018)

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