Büro der Zukunft: „Eine Art des Humanismus“

(c) Eduardo Perez/ Vitra
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Zwischen gemütlich und fordernd, angepasst und losgelöst: Raphael Gielgen, Trendscout Future of Work bei Vitra, über das Büro der Zukunft.

Wie entwickelt sich das Büro weiter, welchen Anforderungen müssen die Räume gerecht werden? Wie werden sie aussehen und ausgestattet sein? Der Trendscout Future of Work bei Vitra hat seine eigenen Ideen, wie sich gesellschaftliche und technische Entwicklungen auf die Arbeitswelt auswirken werden.

Die Presse: Sie beschäftigen sich mit der von der Digitalisierung ausgehenden Transformation derBüro- und Arbeitswelt. Ist das klassische Büro in Zeiten des Remote Work bzw. Home Office nicht ein Auslaufmodell?

Raphael Gielgen: Ich erwarte, dass vor uns eine Zeit liegt, in der es alles geben wird: von der kleinen Kammer bis hin zum virtuellen Raum. Eine Rolle spielen werden auch serviced Offices und Coworking Spaces. Insgesamt wird es mehr Büroflächen geben, die ganze Milieus ansprechen. Eine einzelne Lösung wird es nicht geben, sondern viele, die jeweils in wirtschaftlicher und ökologischer Hinsicht am sinnvollsten sind.

Als Orte der Zusammenkunft wird es Büros also auch in Zukunft noch geben?

Gemeinschaft, das Gefühl der Zugehörigkeit ist für uns nach wie vor wichtig – auch wenn wir dank digitaler Technologien die Freiheit haben zu entscheiden, wo und wann wir arbeiten. Das zeigt auch die Tatsache, dass Unternehmen weiterhin um viel Geld einen Campus bauen. Ich bezeichne diesen Trend als Campus Community. Dabei wird der Campus als Ort mit flexiblen, für mehrere Zwecke nutzbaren, urbanen Gemeinschaftsstrukturen verstanden, an dem sich alle Arten von Räumen, Einrichtungen und Technologien befinden, die Menschen zur Erledigung ihrer Arbeit benötigen. Der Wunsch nach Zugehörigkeit, nach Gemeinschaft äußert sich auch darin, dass Büros zunehmend in den öffentlichen Raum verschoben werden.

Ihrer Meinung nach werden Büroflächen immer wohnlicher. Worauf ist diese Entwicklung zurückzuführen?

Vor einigen Jahren hat man die Kreativen und Rebellen noch von der Organisation ferngehalten. Die von ihnen geleistete „Beta-Arbeit“ geht jetzt verstärkt in die Organisation hinein. Die Folge dieser Entwicklung ist, dass der von dieser Gruppe gelebte Gedanke des Open Source – dabei handelt es sich um eine Idee und damit verbundene Haltung aus der Software – sich auf Büroräumlichkeiten niederschlägt.

Welche Topbüro- und Arbeitswelttrends machen Sie derzeit aus?

Auch wenn es für mich derzeit etliche relevante gibt, so ist sicherlich einer der größten, dass wir eine neue Art des Humanismus erleben. In der Arbeitswelt, in der Art, wie Büroräume gestaltet werden, spiegeln sich heute Werte wie Freiheit, Zugehörigkeit, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit wider. Dazu kommt ein weiterer interessanter Aspekt: Wir kommen in ein Zeitalter, in dem Menschen hundert Jahre alt werden können, was auch den Anspruch an Räume ändert. Gefragt ist daher eine neue Architektur, die der Gesunderhaltung und dem Wohlbefinden des Menschen dient und seine physische und physiologische Konditionierung unterstützt.

Man hat den Eindruck, dass die neue Büro- und Arbeitswelt gerade bei denjenigen, um die es eigentlich geht, nicht immer so gut ankommt: den Arbeitnehmern. Wie erklären Sie sich das?

Ein Grund ist sicherlich, dass Unternehmen häufig sehr intransparent sind. Die Mitarbeiter haben oft keine Orientierung und auch keine Idee über die künftige Ausrichtung und Vision der Organisation. Andererseits ist Arbeit zunehmend unsichtbar – wie sollen wir da voneinander lernen? Schwer. Viele Menschen pendeln zudem täglich lange Strecken in die Arbeit, um dann vor dem Computer zu sitzen. Das geht auch auf Kosten des Gefühls der Teilhabe. Die Lösung: Arbeit muss wieder sichtbar oder visuell zugänglich gemacht werden – zum Beispiel mit Screens, großen Boards und anderen physischen Tools.

Sie sprechen auch von einem weiteren Trend: Transversality. Worum handelt es sich dabei genau?

Darunter verstehe ich nicht nur, dass sich Architektur zunehmend auflöst, sondern auch die Grenzen zwischen Branchen und Disziplinen. Das führt dazu, dass Räume und Funktionen kontinuierlich neu interpretiert werden müssen. Dieser Trend zeigt sich beispielsweise in Hotellobbys, in denen sich neben der Rezeption heute oft ein Café, eine Bar, Coworking-Flächen und Shops finden. Eine ähnliche Vielfalt an räumlichen Nutzungsmöglichkeiten erwarte ich künftig im Übrigen auch in Bürogebäuden.

In welchem Büroumfeld arbeiten Sie selbst?

Bei Vitra in Basel, wo ich pro Jahr zwischen 40 und 60 Tage verbringe, nutze ich die Zeit, um Kollegen zu treffen und das Unternehmen zu spüren. Ich setze mich dort gern ins „Studio Office“, in dem ein reges Kommen und Gehen herrscht. Dort erlebe ich Zugehörigkeit. Sehr gut konzentrieren kann ich mich wiederum in meinem Büro zu Hause, rund 500 Kilometer von Basel entfernt. Dort habe ich viel Platz, eine Bibliothek und schaue auf eine Pferdekoppel und einen Wald. Auf der anderen Seite arbeite ich aber auch gern an sehr belebten Plätzen, was nahezu überall sein kann.

ZUR PERSON

Ralph Gielgen ist Head Research & Trend Scouting im Segment Office bei der Vitra GmbH. Zu seinen Aufgaben zählt die Verbesserung der Arbeitswelt. Gielgen interessiert sich für Architektur, Technologie und den gesellschaftlichen Wandel im Kontext der Arbeitswelten – immer verbunden mit der Fragestellung, wie sich die globalisierte Arbeitswelt verändert und welchen Einfluss dies auf existierende Geschäftsmodelle hat. Auf der Suche nach dem „Quellcode“ bereist er die Welt und trifft auf eine Community, die sich die wissensbasierte Ökonomie zunutze macht. [ Vitra ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2019)

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