Kaisermühlen: Im Wiener Zwischenstromland

Mit dem Architekten Andreas Hawlik unterwegs in einer unterschätzten Gegend: in Kaisermühlen, zwischen Schnitterweg und Schüttaustraße.

Der Fünfer, der Gneißer und der Schoitl aus Ernst Hinterbergers „Kaisermühlen-Blues“, der Herr mit brav angeleinter Wasserschildkröte auf dem Weg zum Branntweiner ums Eck in Elisabeth T. Spiras „Alltagsgeschichte“. Gerade in den 1990er-Jahren prägten, sagen wir mal, eher interessante Figuren das Bild des RestÖsterreichers und -Wieners von dem Grätzel, gelegen da oben zwischen Alter und Neuer Donau.

Bei all den Anekdoten und Unikaten ging ein wenig verloren, dass es sich dort ganz gut wohnen lässt. Das findet zum Beispiel Architekt Andreas Hawlik, der mit seinem Partner Ernst H. Huss vor Kurzem eine Anlage mit 16 Wohnungen in einer Baulücke in der Schüttaustraße fertiggestellt hat. Wie's scheint, sehen das durchaus mehr Leute so: Die Wohnungen fanden allesamt schon während der Bauphase ihre Käufer. Vor rund fünf Jahren hatte Hawlik – aufgewachsen in und zurückgekehrt nach Perchtoldsdorf, dazwischen lagen unter anderem einige Jahre in Berlin – Erstkontakt mit Kaisermühlen, ein Bekannter machte die Architekten auf den Bauplatz aufmerksam. Dann dauerte es: „Erst 2011 fand sich ein Bauträger. Andere scheuten davor zurück, damals gab es noch genug Potenzial in Wien, für viele war die Lage unattraktiv, das Grundwasser zu hoch“, schildert Hawlik während des Spaziergangs entlang des Schnitterwegs in Richtung Gänsehäufel, gleich an der Alten Donau.

„Das Wasser macht's“

Der Altarm des Flusses, Enten, Weiden, kleine bunte Boote, schnelle Jogger, langsamere Spaziergänger mit brav angeleinten Hunden – die Gegend hat definitiv etwas. Und genau wie in anderen Teilen des 21., 22. Bezirks, die direkt an der Alten Donau liegen, hat sich hier, im klassischen Arbeiterviertel, einiges getan, auch im frei finanzierten Wohnbereich. „Das Wasser macht's“, sagt Hawlik, „und mit Neuer und Alter Donau hat man gerade hier gleich zwei Erholungsgebiete mit unterschiedlichem Charakter vor der Haustür.“

Das „gefühlte“ Kaisermühlen

Und auch ganz unterschiedliche Immobilien: Gemeindebauten wie den Goethe- oder den Schüttauhof, Kleingartenhäuschen, rasterförmig angelegte Zinsobjekte aus der Gründerzeit. Wo Letztere stehen, ab der Schödlbergergasse Richtung Südosten, beginnt für Hawlik das eigentliche, das „gefühlte Kaisermühlen“ – nach strenger Katastralgemeindendefinition gehören auch Donaupark und -city dazu, ebenso die Gegend nach der Reichsbrücke, früher Standort für Brettersiedlungen, nun für Marschallhof, Harry-Seidler-Hochhaus und das geplante, heftig umstrittene Projekt Danube Flats.

„Das hier ist ein richtiger Mikrokosmos, eine kleine Stadt in der Stadt“, sagt Hawlik am Schüttauplatz, bei der Herz-Jesu-Kirche. O. k., Läden und Lokale für die Klientel „jung, chic, urban“ sind Mangelware, euphemistisch formuliert, „aber für die Nahversorgung ist alles da, vom Supermarkt bis zum Wirten“, so der Architekt. Und weil es keine klassische Durchzugsstraße gibt, „herrscht hier keine städtische Hektik, es ist viel ruhiger als etwa in Kagran“, so Hawlik.

Wobei: Auch vormittags, unter der Woche, ist einiges los auf der Schüttaustraße, der 92A, der Bus, der Aspern mit der U1-Station Kaisermühlen verbindet, ist gut gefüllt. Im Sommer, zu Gänsehäufel-Zeiten, übrigens noch besser, vorsichtig ausgedrückt. Ob wie in anderen Ecken Wiens hier auch eine Gentrifizierung starten wird? „Vielleicht. Und vielleicht ein bisschen langsamer als anderswo“, schmunzelt Hawlik. Einige Baulücken und Objekte mit Sanierungspotenzial gibt es auf jeden Fall, sagt er und fotografiert mit seinem Handy ein verwahrlostes gelbes Gebäude.

„Diese Allee, so etwas gibt's in Wien nur selten, hier sieht's aus wie in Berlin“, meint Hawlik in der Schiffmühlenstraße. Aber ein Stück weiter die Straße runter, beim Branntweiner, gleich neben dem Pferdefleischhauer Schuller, da weiß man wieder gleich, wo man ist: mittendrin in Kaisermühlen.

WAS KOSTET'S?

Die Preise ziehen in den Teilen des 21. und 22. Bezirks, die an der Alten Donau liegen, an. Bei „Wohnungen, bei denen wirklich alles passt“, spricht Michael Pisecky, Chef von s Real, von Mieten von zwölf bis 14 Euro, von bis zu 8000 Euro pro m2Eigentum. Kaisermühlen sei ein Nischenmarkt, der Anteil an Gemeinde- und Genossenschaftswohnungen hoch. Laut Immobilienpreisspiegel liegen die Mieten im 22. Bezirk im Schnitt bei rund zehn Euro, neues Eigentum kostet knapp 3500 Euro pro m2 (sehr guter Wohnwert).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2013)

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