Bürogestaltung: Denken und reden

Warum Rutschen nicht überall funktionieren: Bei der Gestaltung moderner Büros geht es vor allem um die Balance zwischen Kommunikation und Konzentration.

(c) Paul Ott/Innocad
(c) Paul Ott/Innocad

Eine Zeitlang ging ohne sie im innovativen Bürobau gar nichts mehr: Was keine Rutsche hatte, war irgendwie nicht cool und revolutionär, zumindest bei den „.coms“ gehörte die junge, dynamische Verbindung mindestens zweier Stockwerke zwingend zum Headquarter. Angefangen hatte alles mit der Google-Zentrale im amerikanischen Mountain View, dem sogenannten Googleplex, in dem die Rutsche den hungrigen oder durstigen Googler direkt in die Kantine beförderte. 2008 kam das Statussymbol dann nach Europa: Das Hauptquartier des Konzerns in Zürich der Architekten Camenzind Evolution wurde mit Preisen überhäuft und trug so viel zur Identitätsstiftung bei, dass die Mitarbeiter sich hier stolz als „Zooglers“ bezeichnen. Und in Wien kam die Rutsche dann 2011 an, als die Grazer Innocad-Architekten Microsofts neues Hauptquartier mit dieser kürzesten Verbindung zweier Stockwerke austatteten.

Lieber mit Lift. Mittlerweile hat die Rutsche allerdings den Nimbus des Neuen und  Revolutionären eingebüßt. Wer heute noch glaubt, sich damit in der Liga der Topmoderne zu positionieren, hechelt dem Zeitgeist etwas hinterher. Als alltagsuntauglich hat sie sich mancherorts erwiesen, was aber nicht die Schuld der Rutsche an sich ist, sondern der Idee, dass, was für Entwickler in Kalifornien gut sei, auch für Verkäufer in Europa passen müsse. Jedoch, das Businesskostüm rutscht ungleich schlechter als die Boyfriend-Jeans, und nach einiger Zeit erscheint dann doch der gute alte Lift als angenehme Alternative.

„Die Rutsche und diese neue Lustigkeit waren Symbole für die Pioniere, ein Zeichen dafür, anders zu sein, und dafür braucht man sie nicht mehr“, erklärt auch Martin Lesjak, Geschäftsführer von Innocad und somit derjenige, der sie quasi nach Österreich gebracht hat. „Geblieben ist allerdings die Veränderung der Welt des Arbeitens, und das nicht nur auf IT-Unternehmen beschränkt“, ist er überzeugt. Denn die Veränderung der Technologien habe auch in konservativen Unternehmen zu der Einsicht geführt, dass es sinnvoll ist, die Büroinfrastrukturen zu überdenken. „Microsoft und Google waren Vorreiter“, so Lesjak, „aber diese Konzepte kann man natürlich nicht 1:1 auf andere Unternehmen umsetzen.“

Das sieht auch Thomas Fundneider, Geschäftsführer von theLivingCore, so. „Was Google in Zürich gemacht hat, war mutig und hat sich dort als Erfolg erwiesen, das aber auf Anzugträger zu übertragen, funktioniert nicht und ist eher peinlich“, so der auf Arbeitsplatzumgebungen spezialisierte Forscher.

Zwar werde „vereinzelt noch gerutscht“, grundsätzlich habe sich aber vor allem die Erkenntnis durchgesetzt, dass es keine starren Konzepte gäbe, die zum Erfolg führen, dass man über eine Diversität nachdenken muss, die dem Unternehmen entspricht.

Was in der guten alten Debatte um Großraum- versus Einzelbüros bedeutet, dass beide Systeme ihre Berechtigung haben: Es  muss ebenso Bereiche für das konzentrierte Arbeiten geben wie für kommunikative Prozesse. Das jeweilige Angebot aber muss sehr konkret auf das Unternehmen abgestimmt werden. Eine Grundlage, die für beide Experten absolut unverzichtbar ist: „Bevor wir überhaupt nur anfangen, über ein neues Büro nachzudenken, haben wir mindestens drei bis vier Workshops, um das Unternehmen kennenzulernen“, erzählt Lesjak. Und auch Fundneider sieht in der detailgenauen Analyse der Bedürfnisse den Schlüssel zum Funktionieren der schönen neuen Arbeitswelt, der richtigen Balance zwischen Kommunikations- und Konzentrationräumen. „Das geht nicht nach der Formel: drei davon und drei davon“, ist er überzeugt, „sondern hängt sehr spezifisch von den Anforderungen, aber auch der Kultur des Unternehmens ab.“

Teufel im Detail. Denn wie so häufig sitzt der Teufel im Detail, scheitern gut gemeinte Neuerungen an kleinen Denkfehlern. „Ich kann mich an ein Forschungslabor erinnern, in dem es eine kleine Teeküche gab. Immer wieder hat ein Mitarbeiter hier die Runde gemacht und gefragt: ‚Wer will Kaffee?‘ Eine Viertelstunde später haben sich alle in der Küche getroffen und kurz geplaudert“,
berichtet Fundneider. „Und dann hat man hier statt der alten Filterkaffeemaschine ein modernes
Espressogerät angeschafft – und aus war’s mit der Kommunikation.“

Überhaupt ist es auch in der schönen neuen Arbeitswelt der Rutschen und firmeneigenen Kaffeehäuser gar nicht so einfach, die Mitarbeiter zum entspannten Plaudern über die Abteilungsgrenzen hinweg zu bringen. Zu sehr herrscht in den Köpfen der Mitarbeiter immer noch ein gewisses Unbehagen dabei vor, vom Chef beim Plaudern gesehen zu werden. Das führt mittlerweile teilweise wieder dazu, statt schicker Kaffeehäuser die guten alten Druckerstationen als sogenannte „soziale Hubs“ zu planen, wie Fundneider erklärt. Eine Rückbesinnung, die nicht etwa aus Nostalgiegründen geschieht, sondern weil „viele dieser fancy Dinge Gefahr laufen, dass sie total künstlich wirken und die Mitarbeiter das durchschauen“, erklärt er. „Und da ist die Kombination von Kopierer, Watercooler und Kaffeemaschine sinnvoller, denn da muss man ohnedies hin“, sagt der Forscher.

Wobei dann immer noch die Frage im Raum steht, wer genau wo kopiert, kommuniziert und Kaffee trinkt. „Viele Unternehmen haben das wieder föderalistisch organisiert, da hat jedes Grüppchen seine Ecke“, berichtet Lesjak von unerwünschten Nebeneffekten. Aber auch diesen kann begegnet werden, beispielsweise mit der Planung von Kommunikationszonen, für die die Mitarbeiter auch physisch Abteilungsgrenzen überwinden müssen.

Grüne Wellness.
„Überhaupt regen wir die Mitarbeiter an, sich zu bewegen“, unterstreicht er, was nicht nur einen Effizienzgewinn für das Unternehmen durch bessere Kommunikation schafft, sondern auch dem neuesten Trend der modernen Büroentwicklung Rechnung trägt: Gesundheit und Wellness.

Wie wichtig dieser Bereich mittlerweile geworden ist, lässt sich auch daran ablesen, dass die gerade zu Ende gegangene Neocon in Chicago, eine der bedeutendsten Messen für Bürodesign, das Thema zu einem Schwerpunkt für 2014 gemacht hat. „Mit der Konzentration darauf versuchen die Unternehmen, neue Talente zu akquirieren und die Effizienz und Produktivität zu erhöhen“, erklärte Arbeitsplatzstrategin Priyanka Agrawala im Rahmen der Messe. „Wir sehen heute Dinge wie Stehpulte, ergonomische Loungemöbel, Pflanzen und Gärten in den Gebäuden und Lichtlösungen, die das Tageslicht simulieren.“

Es bleibt bunt. Auch die ergonomische Umsetzung von Maßnahmen, die auf das veränderte Arbeiten durch das „Plug & Play“ der diversen Geräte reagiert, waren in Chicago ein großes Thema. Und nicht zuletzt geht es auch um ökologische Materialien für all die Sitzsäcke, Loungecouches, Stehpulte, Coffeecorners und Besprechungsräume inmitten der grünen Oasen. Langweiliger werden die modernen Büros dadurch aber keinesfalls: „Es bleibt bunt“, bringt es Martin Lesjak auf den Punkt, „aber die Rutschen, die sind vorbei.“

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