Gebaute Visitenkarten

Auch für kleinere Unternehmen wird Corporate Architecture – also die Vermittlung der firmeneigenen Werte via Architektur – immer wichtiger.

Eigentlich ist Corporate Architecture eine der ältesten Disziplinen der Welt. Immerhin sind Gebäude, die in erster Linie der Repräsentation dienen und ein gewisses Bild von den dahinterstehenden Werten erzeugen sollen, nichts Neues. In der Politik oder der Religion ist das gang und gäbe – seit Jahrtausenden. Aber sieht man sich Beispiele aus jüngeren Tagen an, erstaunt, wie wenig Wert manchmal auf die architektonische Gestaltung gelegt wird. Vor allem dann, wenn es in den Gebäuden direkten Kundenkontakt gibt. Denn den ersten Eindruck eines Unternehmens hinterlassen – weit vor der ersten Person, die man zu Gesicht bekommt – immer noch die Eingangstür und die Räumlichkeiten, in denen die Firma zu Hause ist.

Natürlich wissen das vor allem jene Unternehmen, die viel Wert auf Äußerliches und Image legen, schon länger. In den letzten Jahren wird aber auch bei ganz anderen Firmen aus Branchen, denen man eher weniger Stilaffinität zuschreiben würde, das Thema Corporate Architecture berücksichtigt. Zum Beispiel bei dem heimischen Unternehmen Lohmann & Rauscher, einem Anbieter für Medizin- und Hygieneprodukte. Deren Räume wurden soeben vom Architekturbüro „destilat“ adaptiert.

„Corporate Architecture soll nach innen Identität und nach außen Vertrauen vermitteln“, sagt dazu der zuständige Architekt Thomas Neuber. Aufgabe war es, die Werte und die Internationalität des Unternehmens architektonisch umzusetzen. „Zuvor hatte das Büro eher einen krankenhausähnlichen Charakter, jetzt wirkt es durch großflächige, wandgebundene Elemente internationaler. Und man fühlt sich wohler“, sagt Neuber, der unter Corporate Architecture nicht nur die Einbindung des Corporate Designs ins Bauen versteht. Im Gegenteil: „Viele Firmen haben ja ein Corporate Design, ein Logo und eine Grundfarbe. Oft wird dann gedacht, das kann man einfach in die Architektur übertragen. Das funktioniert aber meist nicht, niemand will dunkelblaue oder gelbe Zimmer.“ Er verwendet deshalb lieber neutrale Farben wie Beige, Grau oder Weiß und setzt die markenprägenden Farben als Akzente ein.

Für Neuber ist Corporate Architecture ein gesamtheitlicher Prozess. Er geht dabei so weit, auch die Farbe der Obstschale und deren Inhalt zu bestimmen. Natürlich funktioniert das nur unter Einbindung der Mitarbeiter. Diese tendieren, so Neuber, nämlich dazu den „Arbeitsplatz als Wohnraum zu gestalten, das geht aber nicht. An der Front haben Familienfotos und Diddl-Mäuse am Computer nichts verloren.“ Im Falle des Lohmann-&-Rauscher-Projekts gab es nach Fertigstellung gar eine Einschulung der Mitarbeiter durch eine Trainerin, die wiederum von den Architekten instruiert wurde: „Da wird dann etwa darüber gesprochen, dass über einen Sessel gehängte Westen das Gesamtbild stören.“ Ob das nicht ein bisschen zu viel des Guten sei? „Nein, man muss viel vorgeben, um die Hälfte zu bekommen. Mitarbeiter stehen Veränderungen generell skeptisch gegenüber.“

Verantwortung und Verpackung

Einen anderen – und zwar noch ganzheitlicheren – Zugang hat da etwa Jochen Siegemund, Architekturprofessor an der FH Köln, wo es seit 2007 einen eigenen Forschungsschwerpunkt zum Thema gibt. Er definiert Corporate Architecture als „gebaute Identität“. Auch er ist der Meinung, dass nach der Auto- oder Werbebranche jetzt auch viele andere, kleine Firmen auf den imageverstärkenden Effekt der Architektur gekommen sind. Siegemund sieht das in der wachsenden Bedeutung der Marke begründet. „Irgendwann ist die Marke nicht mehr über Werbung erlebbar, also muss die Architektur her.“ Für ihn übernimmt die Architektur heute jene Rolle, die einst die Verpackung eines Produkts hatte. „Das Thema Corporate Architecture wird wichtiger, weil viele Unternehmen ihre soziale Verantwortung entdecken und sich wieder für ihr Umfeld und ihre Mitarbeiter verantwortlich fühlen.“

Georg Pendl, Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten, sieht in Corporate Architecture aber auch eine Gefahr. „Es ist zwar positiv, wenn erkannt wird, dass Architektur identitätsstiftend ist, aber es wird auch oft bloß als Modeströmung verstanden. Manche machen es sich zu leicht und gehen nur nach irgendwelchen Handbüchern vor“, so Pendl. Gute Architektur hat für ihn aber immer einen kontextuellen Zugang. Als ein Positivbeispiel nennt Pendl, ebenso wie Siegemund, die Tiroler Supermarktkette MPreis. Die lässt nämlich die einzelnen Filialen von jeweils einem anderen jungen Tiroler Architekten gestalten. „Die einzigen Vorgaben sind dabei die Fläche und die Anzahl der Regale, ansonst sind die Architekten frei und dadurch die Arbeiten sehr unterschiedlich. Trotzdem erkennt man sie sofort, anhand der architektonischen Qualität, dem Wunsch nach Licht, Aussicht, Raum und dass man sich dort wohlfühlt.“ Und das ist, will man bei Kunden und Mitarbeitern einen guten Eindruck hinterlassen, nicht die schlechteste Voraussetzung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2012)

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