Wohngeschichte

Wien-Ottakring: Vier Zimmer im Wäscheboden

Blick in den Essbereich.
Blick in den Essbereich.(c) DIMO DIMOV
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Vor vier Jahren ist Soho in Ottakring in den Sandleitenhof übersiedelt. Für das Künstlerpaar Helmut und Elisabeth Drucker ideal: Sie wohnen seit 20 Jahren im „Roten Wien“.

Wir haben im achten Bezirk gewohnt und uns nach mehr Grün und Ruhe gesehnt“, erzählt Helmut Drucker von den Anfängen. „Nach langer Suche habe ich erfahren, dass hier der ehemalige Wäscheboden zu Wohnungen umgebaut werden soll. Und da haben wir zugeschlagen“, ergänzt seine Frau. Seither leben sie in der 100-m2-Wohnung mit drei Zimmern und einem Wohn- und Essbereich, deren Gestaltung ihre künstlerische Ader verrät, und mit Ausblick ins Grüne.

Helmut und Elisabeth Drucker in ihrem Wohnzimmer.
Helmut und Elisabeth Drucker in ihrem Wohnzimmer.(c) DIMO DIMOV

Umbauen und Recyceln

„Ich bin sehr froh, dass ich im ,Roten Wien‘ wohne. Für mich ist das durchaus etwas Besonderes“, meint Helmut Drucker. Erbaut 1924 bis 1928, ist der Sandleitenhof der erste in offener Form erbaute Gemeindebau: Statt einem burgähnlichen Gebäude wurde eine kleine Stadt mit Plätzen, Brunnen, kurvenreichen Wohnstraßen, vielen Grünflächen und verschieden hohen Gebäuden mit Arkaden, Laubengängen oder Erkern entworfen. Ideal für die Druckers, die die Wohnung übernahmen und sie „dann nach unseren Vorstellungen ein wenig umgebaut haben“, erzählt Elisabeth Drucker.

Badezimmer mit Gaube.
Badezimmer mit Gaube.(c) DIMO DIMOV

Entstanden ist eine gemütliche, lichtdurchflutete Wohnung mit großzügigen Räumen: Der Wohn- und Essbereich mit einer Couch und einem Esstisch öffnet sich zu einer kleinen Küche. „Hier haben wir aus zwei kleinen Räumen einen größeren gemacht“, erklärt Helmut Drucker. Vieles hat er selbst erledigt, etwa den durchgehenden Parkettboden gelegt. Handwerkliches Arbeiten ist für ihn nichts Ungewöhnliches, „auch bei unserem Atelier im Burgenland, einem kleinen Bauernhof, gibt es immer etwas zu tun“, so Drucker. Und natürlich geht es bei seinem Workshop „Kabelmann“ ums Reparieren, Recyceln und Umgestalten. In einer offenen Werkstatt gibt er Einblick in seinen Arbeitsprozess und lädt Besucher nicht nur zum Zuschauen, sondern auch zum Lampenbauen ein.

Denkkammer mit Aussicht

Die Fenster des Wohnraums zeigen in Richtung Westen und bieten einen Ausblick auf den Wilhelminenberg. In Schlafzimmer, Bad und Arbeitszimmer dominieren dreieckige Gaubenfenster mit tiefen Fensterbrettern, die nach Osten zeigen, und den Räumen einen ganz eigenen Charakter verleihen. Das Arbeitszimmer – „eigentlich ist es eher unser Denkzimmer, in dem wir unsere Projekte austüfteln“ – wird dominiert von einem großen Tisch. Hier – und beim Pendeln zwischen Stadt und Land – entstehen die Ideen, die die beiden dann in diversen Aktionen und Ausstellungen umsetzen und zeigen. Ein Dauerbrenner ist das Thema Kommunikation.

„Als wir vor 20 Jahren hierher gezogen sind, gab es eine funktionierende Infrastruktur mit kleinen Geschäften. Das hat sich leider aufgehört, als sich ein großer Supermarkt angesiedelt hat“, erzählt Elisabeth Drucker. Darunter, und dass sich vieles von der ursprünglichen Infrastruktur des Hofes – neben 75 Geschäften auch 58 Werkstätten, drei Ateliers, Postamt, Kindergärten, Wäscherei, Tröpferlbad, Bücherei und einen Theater- und Kinosaal mit 600 Plätzen – nicht erhalten hat, leide auch der Kontakt zueinander. Natürlich könne man nicht mit 4500 Nachbarn bekannt sein – so viele Menschen wohnen im Hof – doch dass man sich auf der Stiege nicht kenne, das wäre nichts für sie. Seit einigen Jahren aber beginne sich wieder etwas zu tun, was nicht zuletzt mit Soho in Ottakring zu tun habe, ist sie überzeugt. Das Festival, 1999 am Yppenplatz gegründet, übersiedelte 2014 in den Sandleitenhof.

Elisabeth Drucker organisiert dazu heuer die Veranstaltungsreihe Heuschnitt, eine offene Performance. „Hier kann jeder Künstler aus der Umgebung auftreten, das sind oft sehr persönliche Geschichten, die gebracht werden, und fast das Wichtigste ist das Zusammensitzen nachher, dabei lernen sich die Menschen kennen und tauschen sich aus“, umreißt sie die Intention des Events.

„Ich merke das allein an unserer Stiege, die sehr bunt gemischt ist. Seit es hier Veranstaltungen gibt, kennen sich die Leute, und dadurch ergibt sich ein ganz anderer Zusammenhalt“, meint Elisabeth Drucker. Doch zuviel Input, dauernde Kommunikation ist auch nicht ihres. „Manchmal lege ich mich einfach in der Küche auf eine Liege und genieße die Sonne.“

ZUM ORT, ZUR PERSON

Der Sandleitenhof ist mit rund 1580 Wohnungen der größte Gemeindebau in Wien. In der beliebten Wohngegend kostet eine Wohnung rund acht bis zehn Euro pro Quadratmeter an Miete.

Helmut Drucker kam über Keramik, Licht und Sounddesign zum Lampendesign. Elisabeth Drucker, Theaterwissenschaftlerin, Kostümbildnerin und Publizistin, ist unter anderem für die Konzeption der Projekte zuständig.

Tipp: „Soho in Ottakring“, 2. bis 17. Juni, www.sohoinottakring.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2018)

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