Was entsteht, wenn eine Mathematikerin mit fixer Idee, ein Restaurator mit starkem Willen und ein verfallenes Haus in Hall in Tirol aufeinandertreffen? Ein Boutiquehotel.
„Eigentlich war es Zufall, dass wir gerade dieses Haus erworben haben“, erzählt Ursula Jud-Basny. „Ich habe mich schon länger mit dem Gedanken getragen, ein kleines Hotel zu eröffnen – und das Kontor stand zum Verkauf.“ Jud-Basny hat nach dem Studium der Mathematik in Korsika ihren Mann Marek, einen Restaurator, kennengelernt und dort im Tourismus gearbeitet. Bei einem Urlaub in ihrer Heimatstadt Hall kam sie bei dem alten Handelshaus vorbei – und ihr Vater erzählte ihr, dass es zu verkaufen sei.
„Obwohl das Ganze in einem erschreckenden Zustand war, konnte man sehen, welche architektonischen Schätze hier unter Bausünden verborgen sind. Ich habe mich sofort in das Haus verliebt“, erzählt Jud-Basny. Also beschloss das Paar, es zu kaufen und in ein Hotel umzubauen, obwohl „mich meine gesamte Umgebung für verrückt erklärt hat“.
Bausünden-Sammlung
Die Errichtungszeit der ursprünglich zwei Häuser, die vermutlich im Barock zusammengelegt wurden, wird auf 1450 datiert. Manche Grundmauern sind sogar romanisch. Bis ins 19. Jahrhundert wurde das Haus durchgehend als Geschäftshaus mit – damals üblich – einer Wohnung für den Handelsherrn geführt. „Irgendwann in den 1950er- oder 1960er-Jahren hat man dann begonnen, das Gebäude zu renovieren und herzurichten, etwa Fenster und Bäder einzubauen“, erzählt Jud-Basny. Bei dieser Gelegenheit wurden offenbar die vorhandenen Stuckdecken und Holzbalken aus dem 15. Jahrhundert verputzt und mit Tapeten überklebt, Zwischenwände eingezogen, die alten Holzböden mit Linoleum überzogen – mit einem Wort, alle Bausünden, die man nur begehen kann, konsequent durchgeführt.
Später stand das Haus lange Zeit leer und verfiel zusehends. Ursula Jud-Basny und ihr Mann sahen sich also einer Mammutaufgabe gegenüber. Allein der Erwerb des Hauses mit allen bürokratischen Hürden zog sich über eineinhalb Jahre hin. Dann mussten Statiker beauftragt werden, da das Haus direkt an die Stadtmauer grenzt und sich der Boden durch die Innregulierung gesenkt hatte. Und natürlich steht das Haus unter Denkmalschutz, sehr zum Vorteil, wie Jud-Basny meint. „Im Prinzip haben wir unsere Vorstellungen mit den Experten besprochen, und sie waren mit den meisten einverstanden. Wir konnten sogar einen Lift einbauen.“
250 Tonnen Schutt
Aber zuerst musste das Haus ausgeräumt werden. „Mein Mann hat ein Jahr daran gearbeitet und 250 Tonnen Schutt entfernt.“ Dann wurden alle Böden („die waren bis zu einem halben Meter dick, weil man auf die alten Holzböden einfach neue verlegt hat“) bis auf die Tragbalken herausgerissen und Betonverbunddecken mit Trittschalldämmung eingebaut. Die alten Holzböden wurden geputzt, hergerichtet und wieder verlegt. Das Gleiche passierte mit den Decken. „Wir haben nicht nur alte Stuckdecken freigelegt, sondern zum Teil auch die originalen Holzdecken aus dem 15. Jahrhundert.“ Auch diese wurden renoviert und zieren jetzt die Zimmer.
Ebenso wurden die Bäder entsorgt und neue eingebaut, die Kanalisation, die Heizung, die Stromleitungen – alles musste erneuert werden. Insgesamt zweieinhalb Jahre haben die beiden, mithilfe von Handwerkern und Denkmalschutzamt, gearbeitet. „Es war mühsam, aber wir haben quasi die perfekte Formel dafür gefunden.“
Entstanden ist ein kleines, aber feines Hotel mit fünf Zimmern „so gut wie möglich“ im Originalzustand, kombiniert mit heutigem Komfort. Jedes Zimmer hat einen eigenen Charakter – schon allein durch die unterschiedlichen Grundrisse, dazu kommen die alten Böden, Decken aus Holz oder Stuck und sogar eine Gewölbedecke aus der Gotik.
Und welches Interieur wählt man zu so einem Ambiente? „Die Kästen und Schreibtische haben wir selbst entworfen und extra vom Tischler anfertigen lassen, das Mobiliar auf den jeweiligen Charakter des Zimmers abgestimmt.“
Für Jud-Basny haben sich die Mühen und die Plackerei der vergangenen Jahre gelohnt. „Ich kümmere mich um das Hotel, mache das Frühstück für die Gäste, freue mich an der gelungenen Gestaltung, am schönen Haus. Es macht mir sehr großen Spaß, schließlich hab ich mir meinen Traum erfüllt.“
ZUM ORT, ZUR PERSON
Das Handelshaus in Hall in Tirol – Kontor genannt – entstand im Barock aus zwei Häusern, die um 1450 direkt an der Stadtmauer errichtet worden waren. Innen des Öfteren modernisiert, wurde es nun generalsaniert und in ein Hotel umgestaltet. Gebrauchte Eigentumswohnungen kosten im Bezirk Innsbruck-Land zwischen 1694 und 3395,70 Euro/m2, Einfamilienhäuser zwischen 1567 und 3335,50 Euro/m2.
Ursula Jud-Basny studierte Mathematik und betreut heute das Hotel Kontor.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2019)