Elsa Prochazka: Zimmer, Kuchl, Kabinett waren einmal

Architektin Elsa Prochazka
Architektin Elsa Prochazka(c) Robert Newald / picturedesk.com (Robert Newald)
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Interview mit der Vordenkerin und Architektin Elsa Prochazka über die Zukunft des Wohnbaus.

Vater, Mutter, Kind; drei Zimmer Kuchl, Kabinett; ein Häuschen im Grünen oder eine Wohnung mit Balkon: Die Bilder der Idylle sind klar oder zumindest waren sie es einmal. Der Wirklichkeit entspricht diese Wohnsituation aber schon lang nicht mehr. Der Raum in den Städten wird knapper und damit teurer, die Familienkonstellationen werden vielfältiger, die Bedürfnisse an das Wohnen auch. Deshalb werden mittlerweile im privaten wie geförderten Wohnbau immer mehr Lösungen für Alleinerziehende, Berufsnomaden oder Singles gebraucht und gebaut. Eine Vordenkerin in Sachen Wohnbau für Lebensentwürfe jenseits der Vater-Mutter-Kind-Konzepte war und ist Elsa Prochazka, die für das Leben im dritten Jahrtausend plant. Wir haben die Architektin gefragt, wie in Wien mit Wohnformen jenseits der Idylle umgegangen wird und welche Herausforderungen der Zukunft gemeistert werden müssen.

Frau Prochazka, was sind die Themen, denen der öffentliche Wohnbau gerecht werden muss?

Dazu gehört definitiv die zunehmende Urbanisierung und der Anstieg der Bevölkerungszahlen in den Städten, wozu verschiedene Faktoren beitragen. Unter anderem die wachsende Migration, die höhere berufliche wie private Fluktuation, da heute nicht mehr die lebenslange Wohnung Realität ist. Ein Trend der vergangenen Jahre, den man in diesem Ausmaß nicht für möglich gehalten hätte, ist auch die steigende Zahl der Single-Haushalte, die inzwischen bei 56 Prozent liegt, da es eben neue Partnerschafts- und Patchwork-Lebensformen gibt. Und ein Thema, das bislang noch wenig beachtet ist, ist die zunehmende Verweildauer.

Was versteht man darunter?

Dass die Menschen heute nicht nur älter werden, sondern auch bis zu ihrem 80. oder 90. Lebensjahr in ihren eigenen Wohnungen bleiben möchten und können. Das ist nicht mehr wie früher, als die Älteren im bäuerlichen Ausgedinge gelebt haben, im zeitgenössischen Wohnen sind solche Lösungen nicht einmal angedacht.

Welche Antworten gibt denn der Wohnbau in Wien konkret auf diese Veränderungen?

Man sieht den Bedarf und beschäftigt sich intensiv mit diesen Themen, weil das Vater-Mutter-Kind-Wohnen eben nicht mehr der Realität entspricht. So gibt es immer mehr neue Wohnformen und -gruppen, bei denen Menschen verschiedener Altersklassen im Vorfeld eingebunden werden und mitgestalten können. Auf das immer größer werdende Thema Leistbarkeit wird mit kleineren Einheiten, beispielsweise in Form von sogenannten „Smart-Wohnungen“ reagiert – über die man natürlich streiten kann, die aber notwendig sind. Und wiederum dafür sorgen, dass Gemeinschaftseinrichtungen wie Waschküchen oder Kinder- und Jugendräumen wieder stark im Kommen sind, die eine Zeitlang schon abgeschrieben waren, aber jetzt in modifizierter Form wieder sinnvoll sind.

Sie haben mit der Frauen-Werk-Stadt bereits 1994 Dinge umgesetzt, die jetzt erst langsam entdeckt beziehungsweise wiederentdeckt werden. Warum dauern diese Dinge so lang?

Wohnraum zu konzipieren, ist einfach ein unglaublich komplexer Vorgang – von rechtlichen Rahmenbedingungen über Normen und Finanzierungsmodelle bis zu Gesetzen, beispielsweise ist im Brandschutz und Energiemanagement enorm viel passiert. All diese Dinge sind hochkomplex und lassen sich nicht von heute auf morgen umsetzen; wenn man an einer Schraube dreht, muss man an vielen anderen auch drehen. Dazu kommt außerdem, dass die Nachfrage im geförderten Wohnbau so hoch ist, dass man eh‘ alles an den Mann beziehungsweise an die Frau bringt.

»Wenn man an einer Schraube dreht, muss man an vielen anderen auch drehen.«

Entsprechend sind keine Verkaufsargumente nötig – warum also soll man da etwas verändern, zumal Veränderungen ja immer mit Aufwand verbunden sind und die Menschen, die darin involviert sind, entsprechend auch ein Engagement in Richtung Veränderung haben müssen. Es braucht einen breiten Konsens, damit sich etwas bewegt. Aber letztendlich bewegen sich die Dinge, und das ist wichtig.

Wie zufrieden sind Sie mit der Entwicklung in Wien?

Ich bin von Natur aus immer ungeduldig, aber nie resigniert. Ich denke natürlich schon, dass man viel mehr machen kann, aber wir jammern da in Wien auf hohem Niveau. Denn wir haben hier einen Standard, der in Europa und darüber hinaus seinesgleichen sucht. Es gibt zwar vereinzelte tolle Beispiele in Frankreich oder Holland, aber in der Breite, wie wir es in Wien haben, gibt es sonst nirgends auch nur annähernd Gleichwertiges. Auch wenn ich architektonisch natürlich immer noch ein paar Ansprüche hätte.

Welche Themen sehen sie im urbanen Wohnbau noch stärker an Bedeutung gewinnen?

Ein Thema, mit dem ich mich seit Jahren beschäftige, ist das der Hybridisierung. Darunter versteht man die unterschiedliche Nutzung von Gebäudeteilen, denn es ist einfach nicht notwendig, dass eine Schule zweigeschoßig auf einem eigenen Grund steht, damit wird urbanes Land verschwendet. Wenn es mehr gemischte Nutzungen gäbe, könnten Schulen und Kindergärten in den Erdgeschoßzonen der Wohnbauten untergebracht werden, genau wie Gewerbeflächen oder Sportangebote. Es würde sicher niemanden stören, wenn ein Kindergarten im Haus ist oder Grünflächen mit verschiedenen Nutzungsarten belegt werden, und man würde keinen urbanen Grund verschwenden. Außerdem halte ich eine weitere Flexibilisierung für notwendig, um schneller auf Bedarfsveränderungen reagieren zu können.

Wie könnte das konkret aussehen?

Etwa, indem man nicht nur ein Drittel der Wohnungen in einer Anlage als Smart-Wohnungen konzipiert, sondern mehr Wohnungen und Nutzflächen, die flexibel genutzt werden können.

Zur Person:

Architektin Elsa Prochazka hat bereits 1994 mit der Frauen-Werk-Stadt im Margarete-Schütte-Lihotzky-Hof in Wien oder 1999 mit dem Wohn- und Boardinghaus in der Tokiostraße im 22. Bezirk gezeigt, wie geänderte Wohnbedürfnisse umgesetzt werden können. Bis heute gewinnt Prochazka Bauträgerwettberwerbe, das Planen für das dritte Jahrtausend ist ein Schwerpunkt ihrer Arbeit. Die vielfach ausgezeichnete Architektin ist auch als Buchautorin und Dozentin tätig.

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