Wo Habsburgs Erbe noch mehr ist als Kitsch

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K.u.k. Erinnerung jenseits vom reinen Touristengeschäft: An der Peripherie des früheren Kaiserreichs vor den Mauern von EU-Europa ist der Verweis auf das "habsburgische Erbe" Versprechen und Forderung zugleich.

Wien/Lwiw. Otto Habsburg war nicht nur ein Freund der Kroaten, er war auch kroatischer Staatsbürger, dem man gütig nachsah, dass er nur ein paar Worte der Landessprache beherrschte. Von den kroatischen Konservativen wurde er stets mit allen Ehren empfangen, und daher verwundert es nicht, dass die kroatische Ministerpräsidentin Jadranka Kosor zu seinem Begräbnis erwartet wird.

Der Stolz der Kroaten auf ihren „Habsburgerkönig“ sorgte im benachbarten Serbien stets für Häme. Otto Habsburgs Antwort war nicht weniger gepfeffert: Mitteleuropa, schrieb er im Herbst 1995 in der Zagreber Wochenzeitung „Globus“ unter dem kroatisierten Namen „Oton Habsburški“, ende östlich von Kroatien und Bosnien: „Dubrovnik, Zagreb, Karlovac oder Osijek sind typische westliche Städte, während Niš und Belgrad dies keinesfalls sind.“

Nur Architektur und Apfelstrudel?

Wohin nun Novi Sad, das auch einmal zum Reich gehörte, zu rechnen sei – zum serbischen Balkan oder Westen –, verriet er nicht. In der einstigen Peripherie des Habsburgerreichs ist diese Frage jedenfalls schwerwiegend geblieben: Für diejenigen, die heute vor den Toren des geeinten Europas warten müssen, geht es beim gemeinsamen Erbe nicht allein um Architektur, Apfelstrudel und Kaffee – auch wenn das dem offiziellen Österreich heute lieber wäre.

Die Habsburger haben mit ihren Verbündeten Ende des 18. Jahrhunderts nicht nur den Untergang Polens besiegelt. Sie sind auch daran schuld, dass man im Zentrum von Lwiw, dem historischen Lemberg, keine Wildenten mehr jagen kann. Dort, wo sich heute der „Korso“ befindet, die prächtige, von Bäumen gesäumte Promenade, floss früher der Fluss Poltwa, und an seinen Ufern fanden die scheuen Vögel Unterschlupf.

Lemberg, „ein irrer Ort“

Nachdem die Habsburger die Grenzen ihres neuen Kronlandes Galizien und Lodomerien gezogen hatten, taten sie das, was neue Machthaber für gewöhnlich tun: Sie schufen eine neue Stadt. Man schlug Brücken über die Poltwa, später durfte der Fluss nur noch unterirdisch glucksen. Der Architekt Zygmunt Gorgolewski errichtete am Ende des Korso ein Operngebäude im Neorenaissancestil, das in seiner Pracht mit jenen in Wien und Paris verglichen wurde.

Die Habsburgerachse verläuft heute noch quer durch Lembergs Innenstadt. Der Korso endet in der Nähe der Alten Universität, an der auch Ivan Franko studierte, jener wahlweise auf deutsch, ukrainisch und polnisch schreibende Dichter.

Jurko Prochasko, ein ebenso trilingualer Lemberger Publizist und Übersetzer, führt seine Gäste in den Keller, in dem noch Schränke aus der k.u.k. Zeit lagern, oben studieren heute Geologen. „Ein irrer Ort“, sagt Prochasko angetan, wie so vieles in Lemberg. Prochasko stammt aus Ivano-Frankiwsk, er hat ebenfalls in Lemberg studiert. Das westukrainische Universum hat er nie verlassen. „Kiew war in den 1980ern ein fremdes Land für uns“, sagt er. Undenkbar, in die „Hauptstadt der Sowjetukraine“ zu gehen.

Wenn man mit Prochasko durch die Straßen Lembergs läuft, dann wird der totgeglaubte ostgalizische Geist für kurze Zeit wieder lebendig. Doch was sich in Lemberg im 20. Jahrhundert ereignete, war nicht nur ein Zerfall, sondern die unwiederbringliche Zerstörung des Vielvölkerstaats. Später, in der Sowjetzeit, wurden Menschen aus dem Umland und aus dem Osten des Landes angesiedelt. Es setzte eine „Verländlichung der Städte“ ein, wie Harald Binder sagt, der Gründer des Lwiwer Forschungszentrums „Center for Urban History of East Central Europe“.

Die Fassaden von damals heucheln Kontinuität, die die Kurzbesucher aus Polen und Österreich gerne glauben möchten. „Es gibt niemanden mehr, der Einspruch erheben könnte“, sagt Börries Kuzmany, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Galizien-Doktoratskollegs an der Universität Wien. Nicht zuletzt auch vielen Ukrainern gilt Lemberg heute als „romantische Stadt“ der Kaffeehäuser und Innenstadtgässchen, die Wochenendgäste üben sich im Flanieren und suchen das schlüpfrige „Masoch Café“ auf, in dem Erotikspielzeug zum Kaffee serviert wird.

Postgalizische Identitäten

Doch in den ehemaligen Kronländern hat nicht nur eine geschickte k.u.k. Vermarktung eingesetzt. Die Habsburger gelten an den Rändern ihres ehemaligen Reichs als „Inbegriff Mitteleuropas, dem man sich zugehörig fühlt“, sagt Alojz Ivanisević, Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Wien. Sie sind der Anker nach Europa, der nach dem Ende des Kommunismus wieder ausgeworfen wurde. Auch in Bosnien – zumindest unter Bosniaken und Kroaten – trifft man auf diese mentale Nähe, im rumänischen Siebenbürgen dient sie dazu, sich vom angeblichen „Chaos in Bukarest“ abzuheben. „Nur in Serbien bleibt der Antihabsburger-Diskurs auch nach dem Zerfall Jugoslawiens sehr stark“, so Ivanisević. Selbst in der Westukraine habe nicht jeder Bürger eine „postgalizische Identität“, gibt Kuzmany zu bedenken. Die historische Erfahrung bilde heute oft einen „pragmatischen Abgrenzungsdiskurs“ zu den anderen, stärker von Russland und der Sowjetunion geprägten Landesteilen. „Man will nach Europa. Daher sucht man Anleihen aus der Vergangenheit.“

Unverständnis in Wien

Die Begeisterung der „peripheren“ Intellektuellen für das gemeinsame Erbe blieb den Urenkeln des Kaisers suspekt. Der ukrainische Schriftsteller Juri Andruchowytsch suchte in den 1990ern in Wien Anknüpfungspunkte und wurde enttäuscht. Die Monarchie? „Schon viel zu lange her“, hieß es. Galizien war aus der Perspektive Wiens immer nur ein Kronland unter vielen gewesen, ein wildes, unterentwickeltes Gebiet, in das die Habsburger nicht investieren wollten, aus dem Menschen in Strömen emigrierten. Aber für die Peripherien gibt es nur ein Zentrum.

Solange Länder wie die Ukraine dazu verdammt sind, eine „Pufferzone“ zwischen EU-Europa und Russland zu sein, wie Andruchowytsch schreibt, ist das Versprechen der Habsburger noch keine abgeschmackte Worthülse. Aber sie droht es zu werden, je länger man warten muss.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.07.2011)

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