Wer nennt sich heute noch konservativ?

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Symbolbild(c) Michaela Bruckberger
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Mikl-Leitner definiert „konservativ“ mit „modern, auf der Höhe der Zeit“, Ursula Stenzel beurteilt die ÖVP als „zu liberal“. Über die Schwierigkeit der Volkspartei mit jenen Begriffen, die sie charakterisieren sollen.

Ob diese Haltung denn konservativ sei? „Wenn Sie mit konservativ meinen: modern und auf der Höhe der Zeit – dann ja.“ So reagierte Innenministerin Mikl-Leitner im Ö1 Mittagsjournal, und gerade indem sie vom Begriff ablenkte, legte sie ein Dilemma offen, in dem die ÖVP schon des Längeren steckt: Sie hat ein Problem mit jenen Begriffen, die sie bezeichnen sollten. Keiner mag mehr recht passen, keiner die ganze Klientel beschreiben, vom Bergbauern zur städtischen Unternehmerin, von der praktizierenden Christin, für die der Papst die letzte Instanz ist, bis zum atheistischen „Leistungsträger“. Schlimmer noch: Viele Begriffe sind von der Zeit überholt oder vom politischen Gegner entweder desavouiert („bürgerlich“) oder okkupiert worden (das „Volk“ in der Volkspartei).

Ist Plüsch bürgerlich?


Dabei eignete sich wohl ausgerechnet das Wörtlein „konservativ“ am ehesten dazu, die Kräfte zu bündeln, auch wenn Mikl-Leitner dem „erhaltenden“ und „bewahrenden“ wenig abzugewinnen scheint und auf einen Modernitätsglauben setzt, der eigentlich längst einem Zweifel an der technischen Machbarkeit um jeden Preis gewichen ist. Josef Riegler hatte einst mit seiner „ökosozialen Marktwirtschaft“ versucht, die ÖVP auf den Umweltgedanken einzuschwören: Natur bewahren, der Zerstörung durch rücksichtslose Bewirtschaftung und Nutzung der Ressourcen Einhalt gebieten.

Dieses Projekt wurde ad acta gelegt. Die Selbstdefinition der ÖVP als Bewahrerin traditioneller Werte nicht: Hier ist die Linie klar, es geht um die Familie bzw. um die Verteidigung der Familie, die per definitionem aus Mann, Frau und Kindern besteht, was die Ablehnung der Homosexuellen-Ehe mit sich bringt; außerdem geht es ihr um das Gymnasium als Bewahrerin von Bildungswerten (Stichwort humanistische Bildung), und um die Erhaltung von Traditionen, die der Moderne zum Opfer zu fallen drohen.

Doch Werte-Konservativismus bedeutet in einer sich rasch verändernden Gesellschaft oft ein Rückzugsgefecht (vielleicht scheute Mikl-Leitner auch deshalb den Begriff). Man denke an die Debatte um die Gesamtschule, die mittlerweile bei einem Teil der ÖVP zur Diskussion steht. Debatten dieser Art führen dann etwa zur Bemerkung von Ursula Stenzel, die ÖVP sei zu „liberal“. So verwendet eine schwarze Bezirksvorsteherin einen Begriff abwertend, mit dem sich viele ÖVP-Anhänger identifizieren, vor allem junge: Sie denken dabei an Verantwortung des Einzelnen, an Leistung und Selbstbestimmung, an einen schlanken Staat, der ihnen möglichst wenig dreinredet.

Das Dilemma mit dem Wörtchen liberal

Aber das ist eben das Dilemma mit dem Wörtchen liberal, die Konnotationen sind widersprüchlich, je nachdem, welches Feld gemeint wird, das gesellschaftspolitische oder das wirtschaftliche – und das ist nicht besser geworden, seit wir nicht nur vom Liberalismus, sondern auch vom Neoliberalismus sprechen: Eigentlich eine historische Bezeichnung, mit der man heute eine Art Wild-West-Kapitalismus assoziiert, der keine Grenzen und keine Moral kennt. Dieser Kampfbegriff der politischen Gegner hat sich durchgesetzt, da mag man noch so sehr darauf pochen, dass der Neoliberalismus ursprünglich das Gegenteil meinte, eine Theorie, die ein Eingreifen des Staates begründete und manchen als Fundament der sozialen Marktwirtschaft gilt. In der Sprache gilt das demokratische Prinzip: Was sich im Gebrauch durchsetzt, stimmt. Selbst wenn es historisch falsch sein mag.

Und der Begriff bürgerlich? Auch der ist beschädigt. Die 68er-Bewegung dachte dabei an Muff und Plüsch, Autowäsche am Samstag, Braten am Sonntag und einen Job von Montag bis Freitag. Bürgerlich hieß in dieser Sichtweise rückwärtsgewandt, getrieben von veralteten Vorstellungen, konservativ in seiner allerschlechtesten Spielart, nicht im Sinne von bewahrend, sondern im Sinne von überkommene Strukturen konservierend. Von diesen Konnotationen hat sich das Bürgertum nie mehr ganz befreien können: 1848 ist lange her und dann war da auch noch Karl Marx und seine Definition der Bourgeoisie: Bei Bürger denkt man heute mehr an den Bourgeois und weniger an den Citoyen.

In den Anfangsjahren dieses Jahrhunderts tauchte schließlich der „Bobo“ auf: Auch da stand der Bohemien für die interessantere Hälfte, das zweite Bo bezeichnete zunehmend jenen Bourgeois, der den Erwerb der richtigen Espressomaschine als Zeichen von Selbstverwirklichung missverstand. So hat der Bobo eine Bedeutungsverschlechterung erfahren. Nur am „Bildungsbürger“ sind bislang alle Anfeindungen abgeprallt, alle Vorwürfe, ihm gehe es doch gar nicht um Bildung, sondern um die Abgrenzung nach unten: Der Bildungsbürger ist nach wie vor positiv besetzt.

Volk? Dann schon lieber: Bevölkerung

Ganz im Gegensatz zum „Volk“: Hier war es nicht die Linke, hier war es die Rechte, die den Begriff vereinnahmte und in ihrem Sinne uminterpretierte. Wenn wir den Begriff Volk hören, haben wir immer weniger jene Menschen vor Augen, die 1989 dem Machtapparat ihr „Wir sind das Volk“ entgegenschrien, an eine Gemeinschaft von Citoyens also, die für ihre Rechte kämpft, bzw. im ruhigeren Fall ihr demokratisches Recht ausübt. Stattdessen drängt sich uns immer häufiger der Gedanke an „Volksgemeinschaft“ und „Umvolkung“ auf.

Natürlich hat auch die SPÖ damit zu kämpfen, dass ihre Klientel nicht mehr präzise zu orten ist, auch ihre Wählerschaft zeichnet sich durch entgegengesetzte Interessen und Werte aus, die alten Zuordnungen passen nicht mehr. Aber begrifflich hat sie es leichter: Sie machte 1991 aus der – negativ besetzten – „sozialistischen“ Partei flugs eine „sozialdemokratische“ und damit ist das Problem bis auf weiteres gelöst.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2013)

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