Muzicant: "Dieses Gehetze erinnert mich an Goebbels"

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Mutzicant(c) Die Presse (Michaela Bruckberger)
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Ariel Muzicant, Chef der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, sieht im "Presse"-Interview den Rechtsextremismus in Österreich auf dem Vormarsch. Den Boden dafür bereite die FP-Führung "systematisch" und absichtlich.

Im Tiroler Serfaus werden von einem Hotel jüdische Gäste kategorisch abgelehnt. Im ehemaligen KZ Ebensee haben bei einer Gedenkfeier junge Burschen Nazi-Parolen gebrüllt und Teilnehmer attackiert. Sind Sie beunruhigt oder gelassen?

Ariel Muzicant: Da muss man schon differenzieren. In dem Serfauser Hotel war die Diktion das Problem – das „Vermiete nicht an Juden“. Die Tatsache, dass es offenbar ein Problem zwischen dem Personal und einigen orthodoxen jüdischen Gästen gab, hätte vom Hotel einfach kommuniziert werden müssen. Aber man muss mit dem Schwingen der Antisemitismus-Keule vorsichtig sein. Wenn immer alle gleich Antisemiten sind, wenn man bei jedem Unfug vor dem Faschismus warnt und mahnt, tun wir uns schwer, empört aufzustehen, wenn einmal wirklich etwas passiert. Etwa wenn aus politisch-taktischen Gründen Martin Graf in das Nationalratspräsidium gehievt wird. Einen Le Pen hat man nie in ein politisches Amt gewählt. Wenn ÖVP und Teile der SPÖ Koalitionen mit einer offen rassistischen und antisemitischen Partei wie der FPÖ für möglich halten, weil die FPÖ ja demokratisch gewählt wurde, dann müssten alle empört aufstehen. Dass die roten Landeshauptleute von Salzburg und der Steiermark ein Taktieren mit der FPÖ überhaupt in Betracht zogen, ist skandalös. Das ist eine Verharmlosung, die bei Kreisky begonnen hat, bei Kurt Waldheim explodiert ist, bei Jörg Haider weiterging und von Heinz-Christian Strache jetzt maximiert wird. Und darauf reagieren die zwei großen Parteien mit Wurschtigkeit und politischer Schlampigkeit.

Gerade Sie haben doch etwa das BZÖ Jörg Haiders schon einmal gelobt, diese Kritik verwundert mich jetzt.

Moment! Ich meine Jörg Haiders Behauptungen von der „ordentlichen Beschäftigungspolitik“, von den „ehrenwerten Herren der SS“. Ich meine Haider in Krumpendorf und am Ulrichsberg. Ich spreche nicht von Jörg Haider, der sich mit dem BZÖ von der FPÖ und ihrem rechtsextremen Kern abgespaltet hat. Aber selbst unter Jörg Haider hat es in der FPÖ nie so eine Ansammlung von rechtsextremen Funktionären gegeben wie bei Heinz-Christian Strache, Graf und Mölzer heute. Diese fördern den Rechtsextremismus in ihren eigenen Reihen und wollen ihn systematisch salonfähig machen, und jetzt gibt es in Österreich eine Verdoppelung der Anzeigen. Die ideologischen Verantwortlichen sind die Herren Mölzer, Strache und Co. Und gefördert wird dies von all jenen, die sich nicht aufraffen können, eine Grenze zu ziehen, die man nicht überschreiten darf, nämlich mit der FPÖ keine gemeinsame Sache zu machen. Dass die ganze ÖVP und Teile der SPÖ Herrn Graf gewählt haben, war einer jener Dammbrüche, für die wir jetzt die Rechnung serviert bekommen. Man hat auch die früheren FP-Politiker Peter und Haupt nicht ins Nationalratspräsidium gewählt. Graf schon.

Aber Wilhelm Brauneder.

Da ist ein Unterschied zwischen Brauneder und Graf bitte!

Solche Wahlen oder Koalitionsdiskussionen bewirken rechtsextreme Straftaten?

Nicht direkt, aber da werden die Stimmung und der Boden aufbereitet. Wenn Graf und Mölzer jemanden einladen, der den Holocaust leugnet, wenn Strache ständig das Verbotsgesetz abschaffen will, dann erzeugt das genau jenes Klima, dass so etwas wie in Ebensee passiert. Die einen tanzen vor, diese jungen Burschen tanzen nach. Die denken sich, das sei fesch.

Der SP-Bürgermeister von Ebensee hat argumentiert, dass gerade die klare und intensive Aufarbeitung der Vergangenheit in Ebensee bei diesen Jugendlichen die Gegenbewegung ausgelöst haben könnte: genau dagegen zu provozieren.

Das kommt dann langsam an die Argumentation heran, die Juden sind am Antisemitismus selbst schuld. Wenn Sie weniger über Antisemitismus reden: Wird er verschwinden?

Die Vergangenheitsbewältigung ist ja unbestritten, sich dagegen zu stellen ist aber ein einfacher Tabubruch.

Das Problem an der Vergangenheitsbewältigung ist die österreichische Selbsteinschätzung: Am Anfang war Österreich nur das erste Opfer, dann hieß es bei Waldheim „Jetzt erst recht“, und dass „alle nur ihre Pflicht getan“ hätten. Es wurde verniedlicht. Es ist auch heute eine Kultur der Bagatellisierung: „Na, mein Gott, das sind doch nur Jugendtorheiten.“ Oder: „Man kann doch diesem alten, kranken Mann keinen Kriegsverbrecherprozess machen“, heißt es da. Das ist die Stimmung. Ich war diese Woche bei einer Podiumsdiskussion zum Thema Verbotsgesetz im Juridicum eingeladen, bei der junge Rechte versuchten, die Veranstaltung lautstark zu stören. Das erinnerte mich an die Stimmung in den frühen Siebzigerjahren, als die Auseinandersetzungen an den Universitäten mit den Rechten gewalttätig ausgetragen wurden. Wenn meine Theorie nicht stimmt, wonach die FPÖ mit ihrer Stimmungsmache dahinter steckt, dass die extreme Rechte Morgenluft wittert, dann geben Sie mir Ihre Erklärung, warum es diese Häufung von rechtsextremen Vorfällen gibt.

Ich habe keine, ich weiß es nicht.

Die FPÖ instrumentalisiert die Angst vor der Wirtschaftskrise und vor den Ausländern für ihre rechtsextreme Hetze. Statt dass ein Nachbarschaftsproblem gelöst wird, bezeichnet die FPÖ die Demonstration gegen das islamische Zentrum im 20. Bezirk als „Marsch auf das Rathaus“. Kommt Ihnen das nicht bekannt vor? Da müssen doch alle Alarmglocken läuten. Wo sind wir denn? Weil dort ein paar Jugendliche tanzen oder beten, geht das Abendland unter?

Aber wir waren doch schon weiter? Sie haben doch auch schon die Stimmung im Land vor wenigen Jahren wesentlich positiver gesehen.

Das ist die Entwicklung der vergangenen zwei oder drei Jahre. Warum legt denn die FPÖ so dramatisch zu? Man kuschelt und verharmlost, nur die Wiener SPÖ hält da dagegen. Auch Ebensee wäre nicht passiert, wenn man in der Affäre Graf gesagt hätte, da ist eine rote Linie, die wird nicht überschritten, der wird nicht gewählt. Stattdessen werden „Erklärungen verlangt“ und Lippenbekenntnisse abgegeben.

Glauben Sie wirklich, dass der Vorfall in Ebensee nicht passiert wäre?

Ja, ich glaube das. Da ist eine Grundstimmung in Teilen der Bevölkerung, die Hydra erhebt wieder ihren Kopf. Es gibt in Österreich keine Gefahr vom Linksextremismus, die Gefahr von rechts sehe ich. Haben Sie den Artikel in „Zur Zeit“ gelesen (Herausgeber Andreas Mölzer, Anm.)? Da heißt es ganz unverfroren, dass die jüdischen „Spekulanten und Betrüger vom Großformat eines Alan Greenspan, George Soros oder Bernard Madoff“ schuld an der Weltwirtschaftskrise seien, und Mölzer wird von zehntausenden Österreichern ins Europäische Parlament gewählt. Diese Rechtsextremen sind nur eine Minderheit, aber sie fühlen sich stärker und sie sind gefährlich, weil sie verhetzen, Neid und Hass schüren, die Ängste der Menschen missbrauchen.

Aber wird zu wenig gesetzlich unternommen?

Die Exekutive hat das gut im Griff. Aber die Staatsanwaltschaft verfolgt vieles nicht mehr.

Aber was soll man denn Ihrer Meinung nach tun? Franz Vranitzky hat mit seiner völligen Ablehnung jedweder Kooperation mit der FPÖ die Rechten auch nur stärker gemacht.

Dann macht sie das eben stärker, aber den Rest des Landes macht es nicht schwächer. Und irgendwann ist es dann vorbei, so wie Le Pens Zeit in Frankreich abgelaufen ist. Das muss man länger durchhalten. Das ist keine Ausgrenzung, das ist eine notwendige Abgrenzung.

Stimmen Sie dem Wiener Bürgermeister zu, der die Methoden der FPÖ mit denen der Nazis verglichen hat?

Ja, das kann man sagen. Und wenn ich den Herrn Kickl (Herbert, Generalsekretär der FPÖ, Anm.) höre, erinnert mich dieses Gehetze und die Sprache an Joseph Goebbels.

Aber die FPÖ ist doch demokratisch legitimiert?

Ja klar, das sagt auch Andreas Mölzer. Aber das Argument ist falsch. 1933 war Adolf Hitler auch demokratisch legitimiert. Man hat mit ihm zusammengearbeitet. Hitler hat sich später an die Macht geputscht. Nicht, dass ich das nun befürchte. Aber man muss jetzt auf die Wirtschaftskrise reagieren und den Rechten den Boden entziehen, am besten mit einer öffentlichen Beschäftigungsoffensive und verstärkter Solidarität zwischen allen Bevölkerungsschichten, mehr Steuergerechtigkeit und einem „New Deal“, wie ihn Präsident Roosevelt in den Dreißigerjahren vorexerziert hat.

Mit einer Reichensteuer?

Diese Begriff lehne ich ab. Aber eine Vermögenszuwachssteuer wäre doch logisch und vor allem gerecht. Warum soll ein Gewinn auf einen Immobilienverkauf nicht besteuert werden? Etwa mit der ganz normalen Kapitalertragsteuer? Warum gibt es keine höhere Grundsteuer? Warum gibt es angesichts der massiven Arbeitslosigkeit keine weiteren Maßnahmen des Staates, die auf Solidarität und Gerechtigkeit basieren?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2009)

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