Sparen im Spital: Ohne Bluttest auf den OP-Tisch

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Mit Reformen tut sich das Gesundheitssystem schwer. Es gibt Projekte, die neben erstaunlichen Spareffekten auch Patienten nutzen. Bloß: Verbreitung finden sie kaum. Kaum in Aussicht gestellt, werden sie torpediert.

wien. Mit Reformen tut sich Österreichs Gesundheitssystem schwer. Kaum in Aussicht gestellt, werden sie mit Akribie torpediert. Derzeit läuft es wieder so bei einem Sparversuch, zwangsweise gestartet von den Sozialversicherungen. Ist das heimische Gesundheitssystem aber tatsächlich so ein Fass ohne Boden? Die Österreicher bekommen jedenfalls viel an Leistung angeboten. Sie geben allerdings auch besonders viel dafür aus.

Wie aber Kosten sparen, wenn der eine – zum Beispiel die Länder mit ihren Spitälern – vom finanziellen Desaster des anderen – zum Beispiel der Krankenkassen – profitiert? Ein Versuch, diese ungünstige Konstellation aufzubrechen, geht auf Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat zurück. Die sogenannten Reformpool-Projekte waren Teil der Gesundheitsreform 2005 – der bisher letzten. Sie sollten die teuren Schnittstellen zwischen Spital und niedergelassenem Bereich beseitigen, unsinnige Doppelbefunde abschaffen oder die Österreicher dazu zwingen, ihr zweifelhaftes Image als Weltmeister des Im-Spital-Liegens aufzugeben. Doch der Weg von der Theorie zur Praxis ist steinig.

36 Reformprojekte im Laufen

„Eine Fülle von Projekten ist erst angelaufen“, gesteht Gerhard Embacher, Leiter der Abteilung für Strukturangelegenheiten im Gesundheitsministerium. Erst wenn alle abgeschlossen sind, wird geprüft, was sich in den Regelbetrieb übernehmen lässt. Derzeit laufen 36 Projekte, nicht alle Bundesländer machen mit. Am fleißigsten sind Steirer, Niederösterreicher und Wiener. Sehr beliebt sind Maßnahmen, mit denen die Folgen von Diabetes oder Schlaganfällen besser in den Griff bekommen werden. Einige greifen aber auch das heikle Nahtstellenmanagement zwischen Spitalsbereich und niedergelassenen Ärzten auf.

Um die herkömmlichen Strukturen tatsächlich zu durchbrechen, bedarf es großen persönlichen Engagements Einzelner. Dabei wäre viel zu bewegen, wie zwei völlig unterschiedliche Beispiele an den Landeskrankenhäusern in Salzburg und in Horn zeigen. In der niederösterreichischen Grenzstadt existiert eine „Auffangstation“, in der geprüft wird, wo und wie der Patient am besten aufgehoben ist: ambulant versorgt, zum Praktiker oder Facharzt verwiesen, zur Beobachtung kurz oder tatsächlich länger stationär aufgenommen oder nach Hause geschickt. In eineinhalb Jahren hat das allein an diesem einen Krankenhaus 2,5 Millionen Euro gespart.

Die Salzburger gingen in der präoperativen Abklärung völlig neue Wege und zeigten, wie vielen unnötigen, unangenehmen und teuren Untersuchungen Patienten vor Operationen ausgesetzt sind.

Projektleiter am Salzburger LKH ist Oberarzt Gerhard Fritsch. Um das Projekt „präoperative Abklärung“ in Gang zu setzen, musste erst einmal für alle gängigen Operationsarten eine Liste der absolut notwendigen und der verzichtbaren Befunde erstellt werden. „Das klingt einfach, ist aber schwierig“, so Fritsch. Vor allem deshalb, weil es um einen Gesinnungswandel bei seinen Kollegen ging. Schon im Vorfeld war klar, dass man in Salzburg künftig auf 72 Prozent der Laboruntersuchungen, 47 Prozent der EKGs und 84 Prozent der Thoraxröntgen verzichten kann. Stattdessen werden intensive, zielgerichtete Gespräche geführt. „Für die Patienten ist das weniger belastend, und es steigert die medizinische Genauigkeit“, so Fritsch.

Ein Drittel muss nicht ins Labor

Im Jänner 2008 wurde das Projekt schließlich gestartet. Seither haben die Salzburger 10.560 Patienten dokumentiert. Bei mehr als 4400 von ihnen wurde ohne Laboruntersuchungen der Gesundheitszustand abgeklärt und auch operiert. In den meisten Fällen sind es jüngere Menschen in gutem Allgemeinzustand, die auf kleinere Eingriffe wie Arthroskopien am Knie, Leistenbruch- oder Gallenblasen-Operationen vorbereitet wurden, bei denen auf aufwendige Tests verzichtet werden kann.

Dass das Ganze auch ein finanzieller Erfolg wurde, hängt mit der Zusammenarbeit zwischen Spitalsärzten, niedergelassenen Ärzten und – vor allem – den Krankenkassen zusammen. „Es wurde eine eigene Abrechnungsposition für die präoperative Abklärung ohne Labor und Röntgen geschaffen“, so Fritsch. „Das ist eine echte Win-win-Situation für die Krankenkassen und die Krankenhäuser“, so Fritsch. Die Anzahl der Befunde wird insgesamt massiv reduziert. Und es gab um 30 Prozent weniger Doppelbefunde.

Dass es auch anders und zwar viel schlechter gehen kann, zeigt das Beispiel Wien. Auch hier wurde die präoperative Diagnostik aus dem Spital ausgelagert – aber ganz im klassischen Sinn mit allen Labor- und Röntgenuntersuchungen, die man so kennt. Mehr noch: Wie Jan Pazourek, der stellvertretende Generaldirektor der Wiener Gebietskrankenkasse erzählt, schreibt der Wiener Krankenanstaltenverbund vor Operationen des grauen Stars seit geraumer Zeit sogar HIV-Tests vor. „Meistens sind das dann Über-80-Jährige, die den Test für eine OP am linken Auge machen müssen und ein halbes Jahr später noch einmal einen, wenn das rechte Auge dran ist.“ Das sei eine plumpe Auslagerung des Schutzes der Spitalsangestellten.

HIV-Test für 80-Jährige

Und schlicht eine schlechte OP-Vorbereitung, wie der Salzburger Spezialist Fritsch findet: „Es müsste jeder Patient ohnehin so behandelt werden, als hätte er HIV.“ Dazu kommt, dass die Wiener Auslagerung die Kassen teuer zu stehen kommt. Denn so zahlen sie doppelt: für die Laborleistungen im niedergelassenen Bereich und für die (nicht erbrachte) Arbeit im Spital. Die wird nämlich nach sogenannten LKF-Punkten abgerechnet und beinhaltet eigentlich die Operationsvorbereitung. Die Kasse wiederum liefert pauschal in etwa ein Drittel ihrer Beiträge an die Spitäler ab. Der Rechnungshof errechnete für die Wiener GKK einen dadurch entstandenen Nachteil von sieben Millionen Euro pro Jahr.

Aber nicht immer ist das Spital der Moloch, der alles Geld aufsaugt. Dass das Gegenteil möglich ist, beweist die „interdisziplinäre Aufnahmestation“ (IAS) im Waldviertler Horn. Auslöser war die Auflassung der Krankenhäuser in Allentsteig und Eggenburg 2005 bzw. 2006. Da in Horn die Bettenzahl nicht vergrößert wurde, man aber einen nicht zu bewältigenden Patientenansturm fürchtete, musste anders gehandelt werden. Vereinfacht gesagt, sieht man sich die Patienten nun ganz genau an, die in Horn ins Spital kommen.

Spitalstage sanken um 20.000

Egal, ob sie sich selbst einweisen oder vom Hausarzt kommen: Erste Anlaufstelle ist ein Wartezimmer, in dem ein Assistenzarzt die Erstbeurteilung vornimmt. Danach gibt es mehrere Szenarien: sofortige Überstellung auf eine Station, Konsultation eines Facharztes, 24-Stunden-Überwachung in einem der acht Betten der IAS, Rücküberweisung an den Praktiker oder die Entlassung. Ungefähr 1000 Patienten checkt man so pro Monat durch. Die Zahl hat sich in den letzten drei Jahren nicht verändert. Die Horner IAS ist also kein Magnet, der niedergelassenen Ärzten Patienten wegnimmt oder für unnötige Mehrfachbehandlungen sorgt. 30 bis 40 Prozent der Patienten kommen vom Praktiker, 45 Prozent davon werden stationär aufgenommen. 60 Prozent kommen selbst, davon bleiben 40 Prozent im Spital.

Der Effekt: Die Belagstage im Horner Spital konnten massiv, und zwar um 20.000 pro Jahr, reduziert werden. Das spart 5,6 Millionen Euro. Rechnet man davon die 3,2 Millionen Euro ab, die IAS kostet, liegt der jährliche Nutzen noch immer bei 2,4 Millionen Euro. Doch auch hier ist es dem unermüdlichen Einsatz Einzelner zu verdanken, dass so ein Projekt funktioniert. „Da war viel Kommunikation erforderlich“, gesteht Andreas Reifschneider, Regionalmanager am Krankenhaus Horn. Am Anfang waren beileibe nicht alle dafür – auch nicht die eigenen Kollegen im Krankenhaus. Schließlich machten aber alle mit: Spitalsärzte wie Pflegepersonal und niedergelassene Ärzte. „Die IAS ist ein Produkt der praktischen Arbeit“, erklärt sich Harald Schöchtner, medizinischer Leiter der IAS, den Erfolg. Das macht den Unterschied zu ähnlichen Projekten in anderen Spitälern und Bundesländern aus, wo meistens auf eine intensive Kooperation mit niedergelassenen Ärzten verzichtet wurde. In Horn sagen 70 Prozent der Praktiker, dass sie mit dem Modell zufrieden sind und davon profitieren.

Warum aber sind solche Projekte, wie es sie in Salzburg oder Horn gibt, nicht längst state of the art? Die IAS Horn wird zwar in Zwettl, Krems und Tulln kopiert, eine größere Verbreitung ist aber nicht angedacht. Und das Salzburger Modell soll österreichweit als Vorbild dienen, bloß: Wer kommt für die Systemumstellung auf?

„Diese Kostenzuschiebereien müssen aufhören“, ärgert sich Patientenanwalt Gerald Bachinger über das vergeudete Potenzial. Für ihn sind solche unsinnigen Hemmnisse der eindeutige Beweis dafür, dass es endlich eine Finanzierung des Gesundheitswesens aus einer Hand braucht.

Womit ihm (ausnahmsweise) auch die Ärztevertreter recht geben. Thomas Szekeres, Wiener Ärztekammer-Vize und Arzt am AKH, hält die Ideen zwar durch die Bank für gut: „Das Problem ist, dass jemand davon profitieren muss, um breite Akzeptanz zu bekommen. Und das ist mit den derzeitigen Finanzierungsströmen schwer zu schaffen.“ GKK-Direktor Pazourek erkennt naturgemäß in den Ländern die Bremser. Und das hält auch noch so gute Projekte klein. Fritsch sieht das ein wenig anders: „Es gibt leider keine Strukturen, mit denen man die Reformpoolprojekte über ganz Österreich ziehen könnte.“ Sein Modell hängt zudem an der monetären Flexibilität der Krankenkassen. Und die sind wiederum an ihren Finanzierungsgrenzen angelangt.

AUF EINEN BLICK

An den Schnittstellen zwischen Spital und niedergelassenen Ärzten wird am meisten Geld im Gesund-heitssystem vergeudet. Wie man spart, indem vor Operationen weniger ins Labor gegangen und mehr mit Patienten geredet wird, zeigt ein Projekt des Salzburger LKH. Am Klinikum Horn sorgt eine Aufnahmestation für eine massive Reduktion der Spitalstage. Zwei von 36 Reformprojekten, die aber nur zaghaft Verbreitung finden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.05.2009)

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