Nina Katschnig: Kein Platz für Menschen mit Beeinträchtigung

(c) Die Presse (Michaela Bruckberger)
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Nina Katschnig, Leiterin des Museum Gugging im Art Brut Center, über Probleme der Gesellschaft im Umgang mit Behinderten, über Kreativität und den seltsamen Haider-Kult in ihrem Heimatland Kärnten.

Die Presse: Maria Gugging ist Wallfahrtsort, ein Ort, wo Kunst und Therapie vereint sind, und jetzt startet hier noch die Eliteuni. Zufall?

Nina Katschnig: Zufall ist es nicht, dass die Klinik 1890 hier entstanden ist, weil man die „Verrückten“ nicht bei sich, sondern weiter weg haben wollte. Gugging ist rund um die Klinik herum entstanden, das „Maria“ zum Gugging wurde erst in den Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts angefügt. Ich fahre mit Sammlern gelegentlich zur Lourdes-Grotte. Dort holen viele Wiener mit Kanistern Wasser, weil das angeblich heilsam ist.

Und jetzt werden auch noch die Forscher herpilgern.

Katschnig: Kunst, Genie und Forschung: Über diese Verbindung bin ich sehr froh. Wir sind so etwas wie die Kultur am Campus – nur, dass wir schon vorher da waren. Es ist gut, wenn jetzt das Psychiatrie-Image unserer Kunst noch mehr wegfällt. Die Kunst aus Gugging wird zwar zur Art Brut (Kunstwerke von Autodidakten, Anm.) gezählt, Art Brut ist aber auch Teil der jetzigen Kunst. Wir hatten schon Ausstellungen in Tokio und New York neben Schiele und Kokoschka.

Durch die Wirtschaftskrise verstärkt sich das Nützlichkeitsdenken. Verliert Kunst da an Bedeutung?

Katschnig: Nein, sie ist der Seele nützlich. Das Ursprüngliche der Gugginger Kunst spricht die Menschen tief im Innersten an.

Zuletzt wurden Fantasiepreise für Kunst bezahlt. Sinken die nun?

Katschnig: In meinem Segment nicht, weil es immer mittelpreisig war. Im Allgemeinen relativieren sich die Preise aber. Das war ja unmöglich, was da aufgeführt wurde! Für Sammler, die noch über Ressourcen verfügen, ist jetzt die beste Zeit, um in Auktionshäusern einzukaufen. Es kommt sehr viel auf den Markt.

In der Politik spielt Kunst eine total untergeordnete Rolle.

Katschnig: Das ist schade. Vielleicht gilt Kunst als Luxusgut, sie sollte aber für alle da sein – als Ausgleich für eine sehr arbeitsbetonte Welt.

Spüren Sie den Kostendruck?

Katschnig: Wir sind es gewohnt, mit wenig auszukommen. Vieles wäre unmöglich, würden nicht Sponsoren und das Land Niederösterreich dahinter stehen.

Muss man dafür devot gegenüber dem Landeshauptmann sein?

Katschnig: Sicher nicht. Erwin Pröll war da und schätzt das sehr. Wir haben ja auch ein weltweit einzigartiges Kunstzentrum zu bieten.

Warum gibt es in Österreich so wenig Mäzene?

Katschnig: Es gibt genug reiche Leute und Firmen, die aber andere Interessen verfolgen, etwa im Sport. Und wenn sie selbst Sammler sind, bauen sie sich eher ein eigenes Museum, siehe Essl.

Man hat den Eindruck, dass Kreativität als Unterrichtsprinzip in der Schule zurückgedrängt wurde.

Katschnig: Das tut mir so leid! Je jünger die Kinder sind, die zu uns kommen, desto unvoreingenommener sind sie – auch im Umgang mit den Künstlern. Sogar das Zeichnen fällt ihnen leichter als den Älteren. In der Vorschule gibt es noch Theater, Spiel, Tanz, Zeichnen und Singen. Das wird schon ab der ersten Klasse Volksschule stark reduziert.


Beim Berufseinstieg fragt auch niemand nach Kreativität.

Katschnig: Dabei muss man in jedem Beruf kreative Lösungen suchen. Aber ich höre von sehr vielen berufstätigen Menschen nur, dass sie „funktionieren“.

Gutes Stichwort: In Gugging leben Menschen mit Beeinträchtigungen, die nicht so „funktionieren“, wie sich das die Gesellschaft vorstellt. Ist es für Betroffene nicht noch schwieriger geworden, wo schon Menschen aus dem Arbeitsleben mit viel leichteren Beeinträchtigungen oder weil sie „zu alt“ sind, aussortiert werden?

Katschnig: Ja. Es ist ein Drama der Gesellschaft, dass sie für Menschen mit Beeinträchtigungen keinen Platz bietet. Wir haben mit unserem Haus der Künstler Glück. Hier leben sehr begabte Menschen. Das kann aber genauso mit Tischlern oder Glasern funktionieren. In unserem Shop haben wir Produkte solcher Werkstätten.

Im Alltag sieht man weniger Behinderte als früher, als man sie als Boten oder Portiere einsetzte. Natürlich gibt es keinen „Narrenturm“ mehr, aber Behinderte sind trotzdem wieder unsichtbarer geworden.

Katschnig: Das fällt mir auch auf. In manchen Ländern sieht man mehr Leute mit Behinderung.

In den USA zum Beispiel sehr viele Rollstuhlfahrer.

Katschnig: Richtig. Es muss auch an der Barrierefreiheit gearbeitet werden, damit die Menschen am öffentlichen Leben teilhaben können. So gibt es mittlerweile zwar Niederflurbusse, aber vielleicht kommt der Betroffene nicht einmal richtig aus seinem Haus raus.

Glauben Sie, dass Sie und Ihre Generation der Mittdreißiger von der Politik ernst genommen werden?

Katschnig: Nein. Ich denke zum Beispiel noch nicht an die Pension. Das Kindergeld betrifft mich nicht persönlich, aber da würde ich mir zumindest wünschen, dass man ohne dieses ewige Hin und Her auf einen grünen Zweig kommt. Ich gehe vom eigenverantwortlichen Bürger aus, daher erwarte ich mir auch nicht so viel von der Politik. Viele verlassen sich zu sehr auf den Staat.

Vater Staat ist allgegenwärtig.

Katschnig: Daher sind Menschen fast beleidigt, wenn einmal etwas weniger wird. Mit diesem Beleidigtsein tue ich mir schwer. Immer nur haben und wenig geben wollen: Daran krankt es auch.

Sie stammen aus Kärnten, einem Land, das erstaunlich viele Künstler hervorbringt, die sich oft am politischen System der Heimat reiben.

Katschnig: Kärnten ist als Region eine interkulturelle Schnittstelle. Ich kenne Künstler, die Kärnten als Ausstellungsort verweigern, weil sie das politische System nicht unterstützen wollen. Das muss man respektieren. Wir haben trotzdem in Kärnten ausgestellt. Es wurde sehr gut angenommen.

Was halten Sie vom geplanten Jörg Haider-Museum?

Katschnig: Ich finde diesen Personenkult seltsam. Aber wenn die Kärntner das haben wollen, sollen sie es machen. Es wird ja auch ein Fix und Foxi-Museum in Hermagor geben.

Warum sah und sieht man in Kärnten Haiders Fehler nicht?

Katschnig: Ich verstehe es nicht. Sein Charisma hat offensichtlich das Problematische überstrahlt. Er war smart und volksnah.

Reicht das zur Heiligsprechung?

Katschnig: (lacht) Ich hoffe nicht.

Und seine Epigonen?

Katschnig: Es ist schwierig, nach dem jetzt so heroisierten Haider zu regieren. Ich hoffe, dass sich unsägliche Geschichten wie der Ortstafelstreit nicht wiederholen. Für mich wäre es schön gewesen, zweisprachig aufzuwachsen. Meine Oma war Kärntner Slowenin, ich habe die Sprache von ihr aber leider nicht mehr gelernt. Kärnten hin oder her: Hier sind zwar meine Wurzeln, aber ich fühle mich als Europäerin und Weltenbürgerin.

Müsste die Politik mutiger zu Europa stehen und weniger vor der „Krone“ in die Knie gehen?

Katschnig: Unbedingt. Politik und Medien haben die Aufgabe, der Bevölkerung Vorteile der EU besser zu kommunizieren. So könnten sich auch Grenzen in den Köpfen öffnen.

Bisher erschienen: Gustav Peichl, 13. 7., Barbara Helige, 17. 7., Jazz Gitti, 25. 7., Reinhard Haller, 29. 7., Werner Lampert, 5. 8., Christoph Badelt, 6.8., Fatima Ferreira, 8.8., Kurt Palm, 10. 8., Abt Bruno Hubl, 14. 8.

ZUR PERSON

Nina Katschnig (37) ist Geschäftsführerin der Galerie Gugging und Standortmanagerin des Museums im Art Brut-Center. Seit 12 Jahren ist die Kärntner Pädagogin an diesem geschichtsträchtigen Ort nahe Klosterneuburg tätig. Der Begriff Art Brut – rohe, unverfälschte Kunst – wurde von Jean Dubuffet geprägt. Die Werke der Künstler aus Gugging – zum Beispiel August Walla, Johann Hauser, Oswald Tschirtner – zählen dazu und wurden international ausgestellt. In einem ehemaligen Pavillon der Klinik befindet sich das Museum. Unweit davon, im bunt bemalten „Haus der Künstler“ leben noch neun Künstler – als Patienten will Katschnig sie nicht betrachten. Auch andere kommen zum Malen in das offene Atelier.

In Gugging entsteht derzeit auch das „Institute of Science and Technology Austria“. Es soll naturwissenschaftliche Forschung auf höchstem Niveau liefern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2009)

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