Koalition: Sollbruchstelle Sozialgeld?

Sagten die Verhandlungen am Mittwoch ab: Kanzler Kern (l.) und Vizekanzler Mitterlehner.
Sagten die Verhandlungen am Mittwoch ab: Kanzler Kern (l.) und Vizekanzler Mitterlehner. (c) APA/ROLAND SCHLAGER (
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Maßgebliche Kräfte in SPÖ und ÖVP suchen schon länger einen Weg raus aus der Regierung. Am Konflikt um die Mindestsicherung soll sie nun aber doch (noch) nicht scheitern.

Zerschellt die Regierung an der Mindestsicherung? Es wäre jedenfalls ein eleganter Ausweg für die beiden Parteien, die ohnehin nicht mehr miteinander können und diese Beziehung lieber heute als morgen beenden wollen.

Mit Ausnahme von ÖVP-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner vielleicht. Aber große Teile seiner Partei wollen das ebenso wie die SPÖ-Führung um Christian Kern. Der Kanzler droht, je länger er in dieser Koalitionsregierung sitzt, immer mehr von seinem Nimbus des Neuen zu verlieren. Von großen Reformvorhaben bleiben nur kleine übrig. In der Causa Ceta geriet er bereits unter Druck seiner Partei, vor allem des linken Flügels, Ähnliches drohte nun bei der Mindestsicherung. Daher zog Christian Kern jetzt einmal die Notbremse.

Einen emotionalen Höhepunkt hatte die Zerrüttung im Windschatten des Finales der US-Wahl erreicht. Im Ministerrat am Dienstag ließ der Kanzler die ÖVP-Regierungsmitglieder eine Dreiviertelstunde auf sich warten. Als er dann kam, tat er so, als wäre nichts gewesen. Mitterlehner machte seinem Ärger laut und deutlich Luft. Später erklärte Kern dann, dass die ÖVP bei der Mindestsicherung nun eine rote Linie überschreite.

Kein geeigneter Zeitpunkt

Die Regierung an der Mindestsicherung scheitern zu lassen böte beiden Parteien taktische Vorteile: Die SPÖ könnte sich als die soziale Partei für die Armen und Benachteiligten profilieren und damit auch bei der mitfühlenden Mittelschicht punkten – zumindest jener aus dem linksliberalen Segment, die auch als Meinungsmacher eine Rolle spielt. Und die ÖVP könnte sich als Partei der fleißigen und hart arbeitenden Menschen inszenieren, deren Gerechtigkeitsempfinden wenig Spielraum dafür zulässt, dass jene, die gerade erst ins Land gekommen sind, die gleichen Ansprüche haben sollen wie jene, die hier schon länger leben.

Aber noch – einmal noch – scheint man sich doch wieder zusammengerauft zu haben, indem man den Ball an die Länder weiterspielte. Es ist die Angst vor der eigenen Courage: nicht nur wegen der Bundespräsidentenwahl. Sondern auch, weil noch eine große Unbekannte bleibt: die FPÖ, die von den Neuwahlen am stärksten profitieren könnte. Außerdem hätten sich beide Regierungsparteien noch nicht gut genug auf einen Wahlkampf vorbereiten können, heißt es.

Der Ball liegt nun, wie gesagt, wieder bei den Ländern. Die bundeseinheitliche Lösung ist vom Tisch, die dafür vorgesehene gestrige Verhandlungsrunde wurde abgesagt. Wenn die 15a-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern Ende des Jahres ausläuft, kann jedes Bundesland für sich eine eigene Regelung finden. Das wird in einigen Fällen einfacher, in manchen schwieriger werden. Schließlich müssen ÖVP und Grüne in Tirol, Grüne und SPÖ in Wien, SPÖ und FPÖ im Burgenland und FPÖ und ÖVP in Oberösterreich einer Meinung sein.

Vizekanzler Mitterlehner verteidigte am Mittwoch diese Entscheidung, die er gemeinsam mit Kanzler Kern gefasst habe. Mehr noch: Er versuchte, das Positive zu sehen. Wenn man sich im Bund nicht einigen könne, müsste jedes Bundesland die Mindestsicherung nach eigenen Regeln umsetzen. „Das spiegelt auch die unterschiedliche Lebenskultur in Österreich wider“, sagte Mitterlehner.

Obergrenze vs. Wohnsitzpflicht

So seien in Vorarlberg oder Tirol die Wohnungen teurer als in anderen Bundesländern – genauso wie die sonstigen Lebenskosten. Daher sei er auch der Meinung, „dass wir unterschiedliche Umsetzungen nicht nur vertragen, sondern wir uns diese auch einmal ein Jahr lang anschauen“. Wenn es weitere Vorschläge gäbe, werden man diese gern aufgreifen. SPÖ-Sozialminister Alois Stöger hätte den Verhandlungen jedenfalls geschadet, indem er während der Gespräche immer wieder die Öffentlichkeit gesucht und ständig einen Showdown veranstaltet habe.

Inhaltlich scheiterte eine Lösung an den unterschiedlichen Vorstellungen. Während die ÖVP eine Obergrenze von 1500 Euro für Familien forderte, wollte die SPÖ diesen Deckel nur für arbeitsfähige Vollbezieher. Die SPÖ wollte eine Wohnsitzpflicht, hier bremste die Volkspartei. Und: Die ÖVP pochte auf eine Wartefrist. Nur jene sollten Sozialhilfe erhalten, die in den vergangenen sechs Jahren fünf in Österreich verbracht haben.

Auf einen Blick

Mindestsicherung. Kanzler Christian Kern (SPÖ) und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) erklärten die Verhandlungen für beendet: Da sich die Koalitionsparteien nicht einigen können, sollen nun die Länder ihre eigenen Regelungen beschließen. Von Vorarlberg über das Burgenland bis hin zu Tirol gibt es sehr unterschiedliche Zugänge, auch über Parteigrenzen hinaus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2016)

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