"Gesundheitssystem ist nicht leistungsfähig genug"

Ulrike Rabmer-Koller
Ulrike Rabmer-Koller(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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„Ich bleibe weiter lästig“, sagt Ulrike Rabmer-Koller. Seit elf Monaten leitet die Unternehmerin als Präsidentin den Hauptverband der Sozialversicherungsträger.

Sie haben das Gesundheitssystem einmal einen Dschungel genannt. Während noch vor dem Sommer auch in der Regierung viel von einer Kassenreform gesprochen wurde, ist es jetzt darum still geworden. Ist das Vorhaben einer großen Flurbereinigung tot?

Ulrike Rabmer-Koller: Nein. Ich werde alles tun, damit das Thema auf der Agenda bleibt. Aber wir brauchen natürlich die Politik, um im Gesundheitssystem Weichen zu stellen. Wir geben sehr viel Geld für Gesundheit aus, aber das führt nicht dazu, dass die Österreicher mehr Jahre gesund erleben können als andere Europäer. Das System ist nicht leistungsfähig genug.

Noch vor Monaten haben sogar Landeshauptleute von der Reduktion der Kassen auf neun Länderkassen gesprochen, auch der Bundeskanzler hat von Reform geredet. Ist jetzt Ernüchterung bei Ihnen da?

Ernüchterung ist das falsche Wort, aber ich habe mir mehr politischen Willen und Schwung erwartet. Zusammenlegung (der Krankenkassen; Anm.) allein ist zu wenig. Wir müssen uns anschauen, welche Struktur optimal und kundenorientiert ist. Dazu soll es eine Studie geben, die der Sozialminister in Auftrag gibt.

Bis wann sind Ergebnisse zu erwarten?

Eigentlich wollte ich diese Studie schon im Herbst haben. Aber bis jetzt wurde sie nicht einmal in Auftrag gegeben. Wann immer ich den zuständigen Sozialminister Stöger treffe, frage ich ihn danach. Ganz wichtig dabei ist, dass sie frei von Ideologie ist. Davon haben wir in der Gesundheitspolitik ohnehin schon zu viel. Wenn sie 30 Gesundheitsexperten fragen, was geändert werden soll, kriegen sie 30 verschiedene Antworten. Und ich brauche keine Studie, die sagt, dass wir alles beibehalten und nur mehr Geld eintreiben sollen. Das ist nicht mein Zugang.

Unser Sozialversicherungssystem ist mit einem Finanzvolumen von 60 Milliarden Euro eine der größten Geld-Mischmaschinen. Die jährlichen Steigerungsraten betragen zwischen vier und sechs Prozent, Kritiker sagen, das geht ungebremst gegen eine Wand.

Daher müssen wir an allen Schrauben drehen, um die Effizienz zu erhöhen und das Geld bestmöglich für die Versorgung einzusetzen. Wir haben im Finanzausgleich die jährlichen Steigerungsraten reduziert, bis 2021 von 3,6 auf 3,2 Prozent Steigerung maximal per anno. Das bedeutet, dass wir in den Jahren 2016 bis 2021 in Summe 13,9 Mrd. Euro mehr für die Gesundheitsversorgung der Menschen in Österreich ausgeben werden. Und das muss bei den Patienten ankommen.

Das ist doch eine Kapitulation?

Darum sage ich, dass das System noch effizienter werden muss. Wir müssen die Finanzierung aus einer Hand umsetzen. Die Zahl der Player muss reduziert werden, wir müssen die Patienten von den Spitälern und den Ambulanzen zu den niedergelassenen Einheiten lenken. Wir müssen Doppeluntersuchungen vermeiden, auf Prävention setzen. Viele kleine Dinge machen es aus, wir brauchen neue Versorgungsformen, längere Öffnungszeiten, umfassendere Betreuung. Es gibt immer weniger Ärzte, die sagen, ich bin Einzelkämpfer, der sieben Tage die Woche 360 Tage im Jahr Dienst schiebt. In den nächsten Jahren werden 50 Prozent der Ärzteschaft in Pension gehen. Deshalb wollen wir die Primärversorgungseinheiten zusätzlich zum Hausarzt weiter ausbauen. 2017 starten wir auch das Projekt Teweb. Es wird österreichweit eine Telefonnummer geben, unter der eine Erstberatung angeboten wird. Wenn ein Kind plötzlich Fieber bekommt, müssen die Eltern dann nicht gleich in die Ambulanz, sie erfahren über Teweb, wie sie sich verhalten sollen. Und dann werden sie zum nächsten Arzt, die nächste Primärversorungseinheit oder das Krankenhaus geleitet.

Gegen diese neuen Zentren läuft die Ärztekammer Sturm.

Die Kammer ist schon im Vorwahlmodus, denn im März wird gewählt. Ich versuche trotzdem, eine gute Gesprächsbasis mit der Kammerspitze aufrechtzuerhalten, denn wir brauchen im Sinne der Patienten dringend Verbesserungen und Innovationen. Die Lebenswelten der Patienten haben sich geändert und auch die der Ärzte – da können wir nur gemeinsam aktiv werden. Vieles ist eben nicht mehr zeitgemäß, gehört hinterfragt und geändert. Das muss auch die Ärztekammer einsehen.

Was?

Zum Beispiel die Honorarordnung. Wenn die Ärzte länger erreichbar sein sollen, muss ich das durch Pauschalen abgelten. Ich bin für Infrastrukturpauschalen, Fallpauschalen und eine Leistungskomponente. Wenn ein Arzt es schafft, bei 20 Prozent seiner Diabetespatienten den Zuckerwert zu reduzieren, so soll er dafür einen Bonus erhalten. Es geht um ein leistungsgerechtes Honorarsystem.

Warum nennen Sie ausgerechnet Diabetes?

Weil das die größte Zeitbombe ist. 600.000 Österreicher leiden an dieser Erkrankung. Wenn wir es nicht schaffen, die Folgeerkrankungen zu vermeiden oder deren Auswirkungen zu reduzieren, dann ist das ein immenser Schaden – sowohl für das Gesundheitssystem als auch für jeden einzelnen Erkrankten. Daher müssen wir handeln, bevor es zu spät ist. Das ist eine gesamtpolitische Aufgabe, Zucker, Bluthochdruck, Rückenleiden sind Zivilisationskrankheiten. Zu ihrer Vermeidung müssen alle mitwirken – vom Kindergarten bis zur Stadtplanung. Daher ist das auch eine politische Querschnittsmaterie.

Wie stark belasten die Krankenstände das System? Steigen die Kosten, oder sinken die Krankenstände angesichts einer unsicheren Wirtschaftslage?

Wir schauen uns auch dieses Thema im Zuge unserer Finanzstrategie an. Die Aufwendungen für Krankengeldfortzahlung steigen kontinuierlich – auf 632 Millionen Euro im Jahr 2015. Besonders stark steigen die Kurzkrankenstände. Wenn wir ideologiefrei darüber reden wollen, müssen wir uns auch das anschauen. Daher mehr Prävention. Wir dürfen aber auch nicht die Augen vor möglichem Missbrauch verschließen. Das ist kein Kavaliersdelikt.

Das Kassensystem ist hochgradig ungerecht. Kleine Kassen mit höherem Steuerzuschuss gewähren oftmals den Versicherten bessere Leistungen. Sogar unter den Gebietskrankenkassen gibt es große Unterschiede.

Richtig. Kein Versicherter versteht, warum das so ist. Daher habe ich auch das große Thema Leistungsharmonisierung auf meiner Agenda.

ZUR PERSON

Ulrike Rabmer-Koller ist seit knapp einem Jahr die erste Frau an der Spitze des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger. Die 52-jährige verheiratete Mutter ist Unternehmerin, stammt aus Oberösterreich und ist auch Vizepräsidentin der Wirtschaftskammer. Auf europäischer Ebene ist Rabmer-Koller Vizepräsidentin der UEAPME (Europäische Union des Handwerks und der Klein- und Mittelbetriebe). Das Interview mit ihr fand im Rahmen eines Treffens der Chefredakteure von „Presse“ und den Bundesländerzeitungen statt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.11.2016)

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